Vier Schauspieler*innen, fünf Türen, jeder zweiter Satz eine Pointe – so lässt sich das Prinzip Boulevardtheater zusammenfassen. Vorteil: Die Gefahr, aus Langeweile sanft wegzudämmern, ist angesichts des entfesselten Radaus auf der Bühne äußerst gering. Es wird gerannt, gestikuliert und diskutiert, Türen fliegen auf und zu, dass es eine wahre Freude ist. Ein theatraler Actionfilm, das »Stirb langsam« unter den Bühnen, wenn man so will.
Das Boulevardtheater entstand im Paris des ausgehenden 18. Jahrhunderts und bezeichnete als Begrifflichkeit die Spielstätten selbst und nicht ein besonderes Theater-Genre. Die städtischen Strukturen wuchsen rasant, im Gegensatz zu den hölzernen Schaubuden des Volkstheaters auf den Jahrmärkten waren die Boulevardtheater in fest gebauten Gebäuden an repräsentativen Straßen untergebracht. Die vier Theater Cirque Olympique, Théâtre des Folies-Dramatiques, Théâtre de la Gaîté und das Théâtre des Funambules lagen direkt nebeneinander am Boulevard du Temple, der aufgrund der vielen Kriminalstücke im Programm schnell den Spitznamen »Boulevard des Verbrechens« weghatte.
Die damaligen Kriminal- und Abenteuerstücke aus den Spielplänen der gegenwärtigen Boulevardtheater sind heute weitgehend verschwunden. Geblieben sind die Komödien und Schwänke, die von Theaterkritiker*innen gern als leichte und anspruchslose Kost benasrümpft werden. So mögen sie denn mäkeln und murren, das Publikum hat derweil richtig Spaß. Die leichte Boulevard-Unterhaltung hat ihren berechtigten Platz, ähnlich wie die Schlager- und Countrymusik. Schließlich hat nicht jeder Lust, sich nach hartem Tagwerk abends noch einen vierstündigen Shakespeare-Monolog in die Gehirnwindungen zu zimmern.
Balder oder Biedermann
Inhaltlich sind Boulevard-Stoffe angenehm übersichtlich, meist geht es um Beziehungskisten, Verwechslungen und einen heißblütigen Hausfreund mit Schwiegermutter-Charme, der seit Jahrzehnten vom ewig jungenhaften Herbert Herrmann mit weit geöffneten, weißem Hemd gespielt wurde. Überhaupt ist das Boulevardtheater für das Publikum ein Wiedersehen mit alten Bekannten. Ehemalige TV-Sternchen toben sich vor Live-Publikum etwa im Düsseldorfer Theater an der Kö oder im Essener Theater im Rathaus aus – wie Martin Semmelrogge, Jeanette Biedermann, Hugo-Egon Balder, Peter Bongartz oder der unverwüstliche Jochen Busse.
Die Bühnenarchitekturen machen aufgrund der hohen Türen-Population jedem Portas-Mann große Freude. So wird nur im Boulevardtheater gebaut, wofür braucht ein Raum sonst fünf Eingänge? Egal, das funktioniert perfekt für das Spiel ohne großen Umbau, für schnelle Auftritte und Abgänge. Bühnen haben sowie ihre eigene Raumdimension. So wird der Liebhaber, versteckt hinterm räudigen Gummibaum, nie vom Ehemann entdeckt, der nur einen Meter entfernt steht. Angst braucht er jedenfalls nicht zu haben – geschlachtet und in Kunstblut gewatet wird auf anderen Bühnen. Stattdessen gibt’s ein Happy End mit abgewandeltem Kafka-Zitat: »Im Theater gewesen. Gelacht.«