»Davon haben die Paparazzi lange geträumt!« erkannte Thomas Gottschalk wie immer geistesgegenwärtig die Situation im Hinblick auf sein Wohnzimmer. In der ersten Ausgabe der kurzlebigen »Quarantäne-WG«, die der Sender RTL zu Beginn der Pandemie kurzfristig ins Programm hob, trafen sich Günther Jauch, Oliver Pocher und Thomas Gottschalk zum Corona-Plausch. Zusammengeschaltet per Skype aus ihren privaten Wohnungen. Während der instagramgestählte Pocher routiniert eine weiße Wand mit etwas grellbunter Event-Kunst im Hintergrund zeigte, waren Jauch und Gottschalk da weitaus offener. Jahrzehntelang hatten es beide geschafft, sich und ihre Familien weitgehend vor Fotografen und Homestorys zu schützen, nun zwang sie die Technik der Videokonferenz zu privaten Einblicken. Auch weil sie vielleicht noch nicht den Unschärfefilter kannten, der den Hintergrund sanft im Stil David Hamiltons vernebelt. Jauch, den man bisher vor allem im Südflügel eines Potsdamer Anwesens wähnte, meldete sich aus einem unglamourösen und sympathisch angerümpelten Kellerbüro, und der manchmal grob gepixelte Gottschalk (Baden-Baden!) hatte sein Wohnzimmer mit allerlei Unterhaltungselektronik im Nacken.
Ob bei Prominenten oder den Arbeitskolleg*innen: Das Zeitalter der Videokonferenzen zwingt zu einer Selbstinszenierung des Privaten. Der Leitsatz lautet: Die Jogginghose sieht man nicht, aber den Rest! Unwillige Purist*innen suchen sich eine weiße Wand oder kippen die Kamera direkt ins Hochformat, auf das wenig vom eigenen Biotop sichtbar sei. Denen gegenüber stehen jene, denen es schlicht egal ist, was wer wie sieht. Wieder andere gestalten den passenden Bildausschnitt gewissenhaft selbst. Bücherwände sind da sehr beliebt, das sie von der Belesenheit der Person zeugen und passend zum Thema der Videokonferenz umgeräumt werden können. In Nerd-Haushalten ist hingegen die videothekengroße DVD-Sammlung der Standard, auch hier lassen sich, je nach Anlass, sowohl die Wim-Wenders-Collection als auch die Box mit allen Staffeln von Al Bundy bedeutungsvoll ins Bild rücken.
Der NDR hat übrigens aus dem Skype-Experiment bei RTL gelernt und augenscheinlich die Moderator*innen der »NDR-Talkshow« darauf hingewiesen, den Hintergrund bei einem ähnlichen Format entsprechend hübsch zu gestalten. Das Ergebnis schwankte zwischen Lustlosigkeit (Hubertus Meyer-Burkhardts freudlos-graues Sachbearbeiterbüro) und manufactumhafter Überdekoration (Jörg Pilawas dramatisch beleuchtete Wand voller Holzstämme). Bettina Tietjen suggerierte hingegen mit einem New-York-Poster Weltläufigkeit; zudem wissen wir jetzt, dass Barbara Schöneberger die Petersburger Hängung mag.
Der Brief brachte die Menschen einst zusammen, das Telefon später noch mehr. Durch die Videokonferenz, durch Skype und Zoom, erscheint der Mensch in seinem eigenen Biotop so nah wie nie – ob er nun im Zimmer nebenan sitzt oder in Bandar Seri Begawan, der Hauptstadt Bruneis. Den nächsten technologischen Schritt kennen wir aus dem Rat der Jedi: Ganzkörperhologramme. Das blöde daran – man sieht die Jogginghosen.