Basteln – das Wort hört Peter Dahmen nicht gern, wenn man mit ihm über seine Papierarbeiten spricht. Abschätzig soll das aber nicht klingen, sagt er, aber Basteln sei als Tätigkeit wenig zielgerichtet. »Als ob man an einem Motorrad herumschrauben würde.« Das, was Peter Dahmen mit Papier anstellt, erfordert hingegen hochkonzentrierte Konzeption und Arbeit. Mit den einfachen Glückwunschkärtchen, wo beim Öffnen gerade mal eine flache Geburtstagstorte hervorploppt, haben seine Projekte nichts zu tun.
Stattdessen klappen komplexe geometrische Figuren aus weißem Karton elegant auf, sobald man die Karte öffnet. Dreidimensionale Kugeln, Würfel und architektonische Strukturen. Bei seinen kommerziellen Arbeiten ist der Inhalt seiner Pop-Up-Karten gegenständlicher – ein Fächer mit floralen Strukturen faltet sich auf, Schmetterlinge »bewegen« ihre Flügel, Blüten öffnen sich, oder das markante Dortmunder U entsteht aus flachliegenden Papierelementen. Faszinierend und poetisch zugleich. Und immer noch äußerst aufwändig und teuer herzustellen. Pop-Up-Karten sind nichts für das schnelle Werbe-Mailing zwischendurch, sondern etwas Besonderes. Für die Gestaltung und Konstruktion braucht man Wissen und Erfahrung.
Peter Dahmen, Jahrgang 1967, hat zwar bereits als Achtjähriger gerne Dinge aus Papier gebaut, zur Pop-Up-Karte kam er aber erst während des Studiums der »Visuellen Kommunikation« an der FH Dortmund. Nicht nur der Lehrplan, auch das Wetter war schuld. Neben klassischen Kursen wie Illustration und Typografie gab es die Aufgabenstellung, dreidimensionale Objekte aus Papier und Karton zu entwickeln. Dahmen fuhr damals meist mit der Straßenbahn zur Fachhochschule, es herrschte herbstliches Mistwetter – »da hätte ich dann diese tolle architektonische 3D-Landschaft aus Papier gebaut, aber wie sollte ich die transportieren, ohne dass sie aufweicht oder weggeweht wird?« (…)
Schon bald fiel ihm die Lösung ein. Er konzipierte das Ganze als faltbare Pop-Up-Karten und erforschte so die verschiedenen Bewegungsabläufe und Klapp- und Falttechniken. Aus der ursprünglichen Idee, am Semester-Ende mit einem Angebermodell in der Prüfung aufzuschlagen, wurden im Lauf des Kurses stattdessen aufregende, abstrakte Modelle. Schließlich verschwanden die Pop-Up-Karten in der Schublade, nach dem Studium arbeitete er als freiberuflicher Grafikdesigner, u.a. für das damalige »Heyda«-Werk in Hagen, einem Hersteller von Schulheften und Bastelpapieren, und leitete ab 2002 festangestellt dessen Werbeabteilung. Eine durchweg zweidimensionale Tätigkeit, er gestaltete Oberflächendesigns für Geschenkpapiere und die Umschläge von Schulheften.
Als 2007 das Werk geschlossen wurde, machte er sich erneut selbstständig, musste aber bei einem Designerstammtisch erst von Kollegen mit der Nase wieder auf die Pop-Up-Karten gestoßen werden. Die waren von seiner mitgebrachten Karte schwer begeistert und räumten Dahmens Zweifel – »Wer braucht denn sowas? Davon kann man doch nicht leben!« – beiseite und ermutigten ihn, seine Arbeiten im Internet zu präsentieren und auf Messen gezielt auf sich aufmerksam zu machen. Das funktionierte bestens: »Ich hatte mit 20 bis 30 Klicks gerechnet, nach einer Woche waren es aber schon 1000; nach vier Wochen 8000 Klicks. 2010 kamen erste Anfragen für konkrete Projekte. Heute arbeite ich nur noch in diesem Bereich, an der Entwicklung von klappbaren Objekten, faltbaren Strukturen, Verpackungen, kleinen Pop-Up-Karten oder großen Messebaudekorationen und Bühnenbilder in Pop-Up-Technik.«
Die meisten der Begeisterten und Interessierten stellen sich die Entwicklung einer Pop-Up-Karte einfacher vor, als sie ist. »Es fragen Werbeagenturen aus Australien an, und möchten 1000 Stück von den Pop-Up-Kugeln bestellen, die sie auf meiner Webseite gesehen haben. Meine Antwort lautet dann leider, dass ich allein drei Tage benötige, um eine der Kugeln zu montieren, da diese 400 Klebepunkte hat. So etwas eignet sich eben nicht für größere Auflagen; oft kommen Projekte leider nicht zustande. Hersteller von Luxusgütern sind da oft professioneller, die wissen, dass das teuer ist und planen den Job entsprechend.« Natürlich werden die einzelnen, filigranen Papierelemente für eine Karte mit einem Laser ausgestanzt – dennoch gibt es heute keine Maschine, die eine vollständige Pop-Up-Karte ausspuckt. Peter Dahmen arbeitet mit der israelischen Firma »Highcon« zusammen, die zwar eine neue digitale Nut- und Stanzmaschine entwickelt hat, eine komplette Montage ist aber auch mit ihr nicht möglich. In der Regel werden die Pop-Up-Karten von Hand zusammengesetzt und geklebt.
Dahmen, der im Dortmunder Stadtteil Hörde lebt und arbeitet, unterscheidet seine Aufträge in zwei Arten: »Viele Kunden wünschen sich ein bestimmtes Gebäude, wie das historische Fußballstadion von 1860 München, ein Produkt oder ein anderes konkretes Motiv, das aus der Pop-Up-Karte dreidimensional herauskommen soll. In diesem Fall ist das Motiv bereits in allen Details festgelegt. Ich baue erst ein Modell und schaue, wo und wie man das Ganze falten und klappen kann. Wie lässt es sich in der Karte flachlegen, und wie stellt es sich wieder aus eigener Kraft auf? Das ist ein eher technischer Prozess, der zwar auch Kreativität erfordert, aber doch mehr Tüfteln bedeutet. Die andere Art von Aufträgen ist, irgendetwas Cooles für einen Event zu entwickeln. Das ist ein freieres Arbeiten. Die Sachen sehen anfangs wenig konkret aus, da ich zuerst eine schöne und interessante Bewegung und Struktur entwickle, die dann immer mehr verfeinert wird. Das sind die Jobs, die ich lieber mache, weil das viel kreativer ist.«
Die Bewegung der Objekte fasziniere ihn, sagt er: »Ich habe eine Tendenz zum Abstrakten, weil konkrete Formen oft wie eine Nachbildung wirken. Eine abstrakte Form ist perfekt; die ist so, wie sie ist – eine coole Struktur, ein schöner Rhythmus. Solche Objekte sehen schon interessant aus, wenn die Karte nur einen Spalt geöffnet ist, bevor sie sich während des Aufklappens mehr und mehr verwandeln.«
Seine Kundschaft ist international – für den Shop des New Yorker Museum of Modern Art hat er 2016 drei Festtagskarten mit aufpoppendem Feuerwerk, Schneekristallen und einem Nikolaus-Schlitten entworfen; für einen schwedischen Papierhersteller ist in diesem Jahr eine sehr aufwändige Weihnachtskarte entstanden. Dahmen kann aber noch größer – für die Automarke »Mini« konstruierte er 2011 für einen Messestand die Klapptechnik für die höchstwahrscheinlich »größte« Pop-Up-Karte der Welt. Während der Fahrzeugpräsentation klappten eindrucksvoll ein riesiger Löwenkopf, ein Stier und ein springender Tiger aus Papier auf. Dahmen arbeitete dafür eng mit Messebauern und Statikern zusammen, schließlich wog die Konstruktion über zwei Tonnen.
Wer will, kann Dahmen nacheifern – auf dessen Webseite und in seinem Youtube-Kanal bietet er Anleitungen und Tutorial-Videos an, mit deren Hilfe man selber Pop-Up-Karten für die nicht-kommerzielle Nutzung bauen kann. Glückwunschkarten mit Feuerwerk, Weihnachtsbäume und ein poetischer Papp-Stern.
Bleibt noch die Frage, ob den Papierdesigner an seinem Lieblingswerkstoff doch irgendetwas stört? Dahmen denkt kurz nach und antwortet: »Die Vergänglichkeit. Die Objekte aus meinem Studium sind vergilbt, weil ich damals kein säurefreies Papier genommen habe.« Sagt einer, zu dessen Berufsalltag es gehört, die Papiermodelle aus den Entwurfsphasen regelmäßig wegzuwerfen. Aber was soll’s? Die besten Designer haben die größten Papier-
körbe. So lautet jedenfalls eine alte Branchenweisheit.
peterdahmen.de
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