Ein Stück Fell mit winzigen Lederbeinen daran. Ein Buzzer, der Musik spielt. Eine Fernsehzeitung und eine Fernbedienung mit roten Punkten darauf. Es ist ein irritierendes Sammelsurium, das hier vom Fachbereich Gestaltung der Essener Folkwang Universität präsentiert wird. Und es sieht so gar nicht nach Design aus. Bei den Objekten handelt es sich um Ergebnisse eines Social-Design-Prozesses. Das Social-Design mache nicht einfach alles nur schön, so erklärt es die Professorin an der Folkwang Universität und gestalterisch-wissenschaftliche Leiterin des Projektes, Carolin Schreiber. Vielmehr begebe man sich gemeinsam »auf die Suche nach dem Potential und den Möglichkeiten«. Zu diesem Zweck habe man sich die »Ressourcenbrille« aufgesetzt, um im persönlichen Umfeld der Erkrankten und gemeinsam mit ihnen und ihren Bezugspersonen Probleme erst zu identifizieren und danach passgenaue Lösungen zu erarbeiten. Dieses interdisziplinäre Projekt wurde von der Stiftung Wohlfahrtspflege finanziert, war bei der Theresia-Albers-Stiftung verortet und wurde gemeinsam mit Einrichtungen vor Ort durchgeführt.
Es kann die abgeklebte Fernbedienung sein, auf der nur noch die wichtigsten Tasten benutzbar sind. Oder der Buzzer, der sich regelmäßig meldet, um die Person mit Demenz zu mehr Bewegung zu animieren – die Lieblingsmusik, die er nach dem Knopfdruck spielt, regt sogar zu einem kleinen Tänzchen an. Die Lösungen sind so individuell wie die erkrankten Personen selbst, auch wenn es Gemeinsamkeiten gibt wie die, sich an Termine zu erinnern.
Für die »DemenzDinge« sind Design-Expert*innen gemeinsam mit Demenz-Expert*innen zu den Erkrankten nach Hause gegangen – und haben zunächst nur beobachtet. Fünf Monate war zum Beispiel Mara Vöcking wöchentlich in einer Demenz-WG. »Aufgefallen ist, dass bei Menschen mit fortgeschrittener Demenz die Kommunikation eingeschränkt war«, berichtet sie. Sie hätten zwar beisammengesessen, aber nicht miteinander interagiert. Daraus ermittelte sie ihre Aufgabe, die Kommunikation zu verbessern. Bei ihren Besuchen probierte Mara Vöcking aus, was bei den Bewohner*innen ankommt. Mit unterschiedlichen Materialien gefüllte Luftballons waren unter den ersten Testobjekten. »So wurde der Tastsinn angesprochen«, sagt Vöcking. »Die Beteiligten sind sofort über die Sachen ins Gespräch gekommen, und einige waren auch nicht mehr so unruhig, wenn sie etwas in der Hand hatten.«
Zukunftsfähig und nachhaltig
In anderen Workshops mit den Bewohner*innen experimentierte sie mit dem Hören. Um dann am Ende Fühlen und Hören zusammenzubringen. »Mitgefühlt« heißt das Ergebnis. Für einen ersten Prototyp hatte Vöcking eine einfache Tasche aus dem Drogeriemarkt benutzt, die Geräusche dazu kamen aus dem Innenleben einer Musik-Glückwunschkarte. Die Idee wurde weiterentwickelt. Der 3D Drucker kam zum Einsatz. Auch sind die »Fühlkissen« mit Bewegungsmeldern ausgestattet worden. »Sie machen sich bemerkbar, wenn sie auf dem Tisch liegen«, erklärt Vöcking. Die Benutzer*innen sollen sie in die Hand nehmen, ihre unterschiedlichen Bezüge erspüren und die verschiedenen Geräusche wahrnehmen. »Das hat für Stimmung in der Demenz-WG gesorgt«, davon ist Mara Vöcking überzeugt. »Und die unterschiedlichen Geräusche – Musik, Stimmen, Tiergeräusche – sprechen auch unterschiedliche Personen an.« Nachdem »Mitgefühlt« ihre Bachelorarbeit war, hat sich Mara Vöcking auch im Master auf Social-Design spezialisiert. »Es ist zukunftsfähig und nachhaltig«, davon ist sie überzeugt. »Hier kann man wichtige gesellschaftliche Fragen angehen, statt einfach noch eine ergonomische Wasserflasche zu entwerfen.«
Entstanden ist das Projekt »DemenzDinge« aus einer ganz persönlichen Erfahrung heraus: Als der Großvater von Professorin Carolin Schreiber dement wurde, suchte die Familie einen Umgang damit. »Mein Opa war ein Büromensch, es hat ihm Freude gemacht, sich mit Akten auseinanderzusetzen, sie zu sortieren«, so Schreiber. Das hat er auch noch gemacht, als er bereits erkrankt war. Die Familie befürchtete Chaos in den Unterlagen. Die Lösung: »Ich habe meinem Opa eigene Ordner mit Fake-Dokumenten angelegt. Die konnte er dann in der ganzen Wohnung verteilen und sortieren«, erzählt Schreiber, ohne das ethische Dilemma zu vernachlässigen. Schließlich wird die demente Person ja belogen. Man müsse abwägen, meint Schreiber. Den positiven Effekt der Fake-Ordner gegen das, was passiert, wenn man nicht lüge. »Sieht man, wie die Person Freude hat und strahlt, ist es für mich legitim.«
2015 trug Schreiber das Thema Demenz dann zum ersten Mal an die Studierenden heran, um drei Jahre später im multidisziplinären Forschungsprojekt »DemenzDinge« auch die Frage zu beantworten, ob und wie ein Co-Design-Prozess gemeinsam mit den erkrankten Personen gelingen kann. Das Prinzip der »DemenzDingen« wird im Grunde schon überall im Alltag angewendet und gemeinhin »Lifehack« genannt. »Dieser Begriff ist jedoch bei der älteren Generation extrem schlecht angekommen«, berichtet Schreiber. »Aber im Prinzip gestaltet jeder selbst seine Umgebung.« Es kleben Zettel auf Geräten, der Besenstiel hilft, wenn der Knopf an einer unzugänglichen Stelle liegt, und leere Klopapierrollen verhindern den Kabelsalat.
Alltagshelfer
Bei den »DemenzDingen« wurde das Prinzip nur professionalisiert: »Wir als Designer können ganz gut detektieren, wo eigentlich die Probleme entstehen, deshalb ist die primäre Methode hier auch die teilnehmende Beobachtung über lange Zeit.« Dass Gestalter*innen einen anderen Blick auf die Situation haben, der über den Pflegealltag und die schwindenden Fähigkeiten hinaus reicht, haben auch die Projektpartner aus der Pflege erkannt. Sogar den Demenz-Expert*innen hat die Teilnahme am Projekt geholfen, sich besser in die erkrankten Personen hineinzufühlen.
Die »DemenzDingen« sind aber nur ein Ergebnis des Projekts. Daneben wurde Schulungsmaterial erstellt, um zu demonstrieren, wie einfach es ist, individuelle Alltagshelfer zu produzieren. Viele Menschen würden sich scheuen, ihre Umgebung zu modifizieren oder meinten, handwerklich nicht ausreichend begabt zu sein, so Claudia Schreiber. »Aber sie haben die Berechtigung, Dinge zu verändern«, appelliert sie. »So ein Projekt soll motivieren, etwas für den eigenen Alltag zu tun.«