Hinter dem Theater Oberhausen liegt eine schwierige Zeit. Nicht nur die Pandemie und die Maßnahmen, die in den vergangenen zweieinhalb Jahren gegen sie ergriffen wurden, haben hier ihre Spuren hinterlassen. Auch ein von vielen Unwägbarkeiten und vor allem von einer ganzen Reihe dramatischer Verzögerungen begleiteter Umbau haben die Arbeit an dem Haus zuletzt sehr erschwert. So konnte in der vergangenen Spielzeit, der letzten unter der an sich umstrittenen künstlerischen Leitung von Florian Fiedler, die große Bühne des Theaters kaum bespielt werden. »Kohlenstaub und Bühnennebel«, die aufgrund von Corona um ein Jahr verschobene Inszenierung anlässlich des 100-jährigen Jubiläums des Theaters, musste in einer Schulaula gezeigt werden, und das in einer Zeit, in der sich sowieso schon ein großer Teil der Bühnen fragt, wie sie ihr Publikum zurückgewinnen können.
Eben diese Frage stellt sich nun Kathrin Mädler, der neuen Intendantin des Hauses am Will-Quadflieg-Platz, auf besonders drängende Weise. Aber davon lässt sich die 1976 in Osnabrück geborene, promovierte Theaterwissenschaftlerin, die in den vergangenen sechs Jahren als Intendantin dem Landestheater Schwaben in Memmingen zu überregionaler Beachtung verholfen hat, nicht schrecken. Schon auf dem Weg zu ihrem Büro, der knapp zwei Monate vor der Eröffnungspremiere am 10. September vorbei an leeren Farbeimern und anderen Zeichen der noch nicht ganz abgeschlossenen Renovierungsarbeiten führt, strahlt sie eine unbändige Energie aus. Eine Energie, die Menschen ohne Zweifel begeistern kann.
Mittlerweile sind wir in ihrem Büro angekommen, einem recht schmalen, eher länglichen Raum, in dem einige Wochen vor Spielzeitbeginn noch keine persönlichen Gegenstände zu entdecken sind. Kathrin Mädler ist hier noch nicht so richtig eingezogen, das steht erst bevor. Aber schon der Raum selbst erzählt einiges über sie und ihre Vorstellungen. Anders als viele Intendantenbüros strahlt dieser Raum keinerlei Grandezza aus. Er wirkt sachlich, und zugleich erweckt er durch seine moderaten Ausmaße einen Eindruck von Nähe und Nahbarkeit, vor allem wenn man es sich auf der Couch oder den beiden Stühlen, die um einen kleinen Tisch gruppiert sind, gemütlich macht. So spiegelt sich schon in Kathrin Mädlers Büro ihre Vorstellung davon, was Theater ausmacht: »Ich glaube fest daran, dass das Theater die Fähigkeit hat, eine Einladung an alle auszusprechen. Es muss nicht hermetisch und elitär sein, sondern kann Wärme und Emotionalität erzeugen.«
Sehnsucht nach Wärme
Diese Sehnsucht nach Emotionen und Wärme, auf die Kathrin Mädler im Gespräch immer wieder zurückkommt, ist gegenwärtig in der deutschen Theaterlandschaft alles andere als selbstverständlich. An vielen Häusern dominieren Arbeiten den Spielplan, die sich eher den aktuellen gesellschaftlichen Diskursen als Geschichten und Figuren widmen. In ihnen geht es meist nicht um Emotionen und Identifikation, sondern um einen möglichst distanzierten Blick, der nach der Vorstellung dieser an Bertolt Brecht und seinen Theorien geschulten Theatermacher unerlässlich ist, wenn man die Welt verändern will. So war es letztlich auch in Oberhausen während der vergangenen fünf Jahre. Dieser Hang zu Verfremdungseffekten und einem Theater, das Identifikation möglichst vermeiden will, ist Kathrin Mädler eher fremd. »Brecht hat nicht immer recht«, sagt sie mit einem so entwaffnenden Lächeln, dass man ihr sofort zustimmt, und sicher nicht zu Unrecht, schließlich kann auch eine Kunst, die Menschen sehr direkt berührt, politisch wirksam sein.
Florian Fiedlers Spielpläne zeugten zwar von einem großen gesellschaftlichen und politischen Engagement, aber sie waren nicht unbedingt eine Einladung an alle, wie Kathrin Mädler sie aussprechen möchte. Entsprechend schwierig war das Verhältnis zwischen dem Theater Oberhausen und seinem Publikum in den letzten Jahren. Aber auch das beunruhigt die neue Intendantin, die in den vergangenen anderthalb Jahren schon viel Zeit in Oberhausen verbracht und dabei immer wieder das Gespräch mit den Bürger*innen gesucht hat, nicht sonderlich. Sie ist sich sicher, dass »es innerhalb der Stadt einen großen Stolz auf das Haus und seine künstlerische Tradition gibt.« Dem trägt sie »mit einem Spielplan Rechnung, der zwar viele Ur- und Erstaufführungen und nur wenige bekanntere Stücke umfasst, aber dafür den Wunsch nach großen Geschichten ebenso ernst nimmt wie den nach Nahbarkeit und vor allem nach Rollen, die es dem Publikum ermöglichen, sich mit den Figuren zu identifizieren und Verbindung zum Ensemble aufzubauen.«
Gerade die Bindung zwischen Ensemble und Publikum ist Kathrin Mädler enorm wichtig. Insofern ist ihre Entscheidung, ihre Intendanz mit einem Liederabend zu beginnen, den sie selbst inszeniert, längst nicht so ungewöhnlich, wie man zunächst vielleicht denkt. Mit der Premiere von »Gute Hoffnung – Songs für Oberhausen« stellen sich am 10. September alle Spieler*innen des Hauses vor. Die Songs, die sie spielen und singen, werden, wie es eigentlich immer bei solchen Liederabenden ist, eine sehr unmittelbare Verbindung zwischen denen auf der Bühne und denen im Saal erzeugen und so im Idealfall neugierig auf die Stücke und Inszenierungen machen, die später kommen.
Das Motto: »Gute Hoffnung«
Zugleich etabliert Mädler mit dieser Produktion auch das Motto, unter dem diese Spielzeit steht: »Gute Hoffnung«, das für sie »Zaghaftigkeit und Brüchigkeit beinhaltet, die unserer momentanen, von der Pandemie und dem Krieg in der Ukraine gezeichneten Situation entspricht.« Es sind diese so zahlreichen Verwerfungen, auf die das Theater mit drei größeren Schwerpunktthemen reagiert, die sich um Fragen nach Frauen und Macht, nach der Klimakrise und nach den sozialen Verhältnissen drehen.
Jedes dieser Themen unterstreicht Kathrin Mädlers Anspruch, »das Theater zu einem gesellschaftlichen Mittelpunkt der Stadt zu machen.« In diesem Sinne hat sie eine ›neue Sparte‹, das »Open House«, eingerichtet, die von Anne Verena Freybott geleitet wird. Dieses fasst alle Angebote zusammen, die das Theater in Richtung Stadt öffnen sollen. Dazu gehören Spielclubs für alle Alltagsklassen, die an zwei Inszenierungen der Spielzeit beteiligt sein werden, ebenso wie Veranstaltungsreihen in der Bar. Mädlers Idee ist es, »das Haus den Menschen der Stadt als öffentlichen Ort zur Verfügung zu stellen.« Sollte dieses Konzept aufgehen, wäre das nicht nur ein Weg, dem allgegenwärtigen Publikumsschwund zu begegnen. Das Theater Oberhausen könnte so auch den Menschen helfen, sich aus der von der Pandemie diktierten Isolation zu befreien und in einem lebendigen Austausch von Meinungen wieder zueinander zu finden.
Das Theater Oberhausen startet am 10. September mit dem Theaterfest und der Premiere von »Gute Hoffnung – Songs für Oberhausen« in Kathrin Mädlers erste Spielzeit.