Havanna 1999. Marita Lorenz ist zusammen mit ihrem Sohn Marc und dem Filmemacher Wilfried Huysmann noch einmal nach Kuba zurückgekehrt. 40 Jahre zuvor hatte sie dort den gerade siegreichen Revolutionär Fidel Castro kennengelernt und sich auf den ersten Blick in ihn verliebt. Es war eine schicksalhafte Begegnung auf der MS Berlin, dem Schiff, das ihr Vater als Kapitän unter seinem Befehl hatte. Das Treffen mit Castro, das in eine mehrere Monate währende Affäre mündete, hat Marita Lorenz’ Leben nicht nur verändert. Nichts, was ihr danach geschehen ist, wäre ohne diese eine Begegnung auch nur vorstellbar gewesen. Trotzdem wartet sie 1999 vergeblich auf ein Treffen mit ihrem früheren Geliebten. Selbst als sie ihn in seinem Büro aufsucht, schickt er seinen Privatsekretär vor und lässt sich entschuldigen.
Der Moment in Huysmanns Dokumentation »Lieber Fidel – Maritas Geschichte«, in dem die abgewiesene Marita Lorenz vom Regierungssitz weggeht und in ein Taxi steigt, bleibt unvergesslich. Die Kamera blickt von oben zu ihr herunter, und sie wirkt mit einmal ganz klein und verletzlich. Eine von der Welt und ihren eigenen Gefühlen bezwungene Frau, die trotz allem nicht aufgeben kann. Man fragt sich unweigerlich, ob das nicht auch Fidels Blick ist, der in seinem Büro am Fenster steht und sie heimlich beobachtet.
In diesem Augenblick versteht man aber auch, dass Marita Lorenz kaum einmal wirklich die Herrschaft über ihr eigenes Leben hatte. Immer wieder ist sie, die am 18. August 1939 in Bremen geboren wurde, zum Spielball weitaus mächtigerer Kräfte geworden. Als Fünfjährige kam sie mit ihrer Mutter, die Zwangsarbeitern geholfen hatte, in das Konzentrationslager Bergen-Belsen. Mit 19 wurde sie schwanger von Fidel Castro. Als sie das Baby im sechsten Monat durch eine erzwungene Abtreibung verlor, war sie gerade 20. Nicht einmal ein Jahr später kehrte sie im Auftrag der CIA nach Kuba zurück, um Castro zu vergiften. Doch das konnte sie nicht. Ihre Liebe war stärker als die Manipulationen durch den US-Geheimdienst.
Dennoch beschäftigte sie die CIA weiter. Es folgten Jahre in Florida im Umfeld der Agenten, Exil-Kubaner und Söldner, die Castro mit allen Mitteln stürzen wollten. In diese Zeit fiel auch ihre Affäre mit dem ehemaligen venezolanischen Diktator Marcos Pérez Jiménez, dem Vater ihrer Tochter Monica. Auch zum Attentat auf John F. Kennedy in Dallas gibt es ihren eigenen Aussagen nach eine Verbindung. Dabei lässt Marita Lorenz’ Version der Ereignisse praktisch nur einen Schluss zu: Die CIA war beteiligt an den Vorgängen in Dallas. Allerdings gibt es für diese Behauptungen keine stichhaltigen Beweise. Sie bleiben eine der vielen Geschichten, die sie seit den 70er Jahren immer wieder erzählt hat.
Umzug in ein Oberhausener Seniorenzentrum
Was nun wahr und was einfach erfunden ist, bleibt in Marita Lorenz’ oft schier unglaublicher Lebensgeschichte nicht selten offen. Davon zeugt auch Dominik Buschs Stück »Alles ist wahr«, ein Auftragswerk für das Theater Oberhausen, dessen Uraufführung in der Regie von Babett Grube am 11. Oktober stattfindet. »Man hat das Gefühl, dass sie selbst eine Autorin war, die mit dem Material sehr frei und kreativ umgegangen ist«, erzählt Busch, der sie mit der Oberhausener Dramaturgin Patricia Nickel-Dönicke im April diesen Jahres noch in New York besucht und dort das letzte Interview mit ihr gefilmt hat. Dann vergleicht er sie mit Ibsens Peer Gynt, der seine »Erzählungen immer wieder übertreibt und zuspitzt«. Aber es sind nicht nur diese Ausschmückungen und dichterischen Freiheiten, die Ibsens Figur und Marita Lorenz verbinden. Für beide ist dieser kreative Umgang mit dem, was geschehen ist, eine Form des Widerstands, der Selbstermächtigung.
Marita Lorenz’ Machtlosigkeit, ihr Ausgeliefertsein, zunächst an die Nationalsozialisten, später dann an die widerstreitenden Kräfte des Kalten Krieges, spielen für Busch eine entscheidende Rolle. »In gewissen Momenten war sie so sehr Opfer, wie man das nur sein kann.« Indem sie ihre eigentlich geheime Geschichte erzählt hat und mit ihren Erlebnissen an die Öffentlichkeit gegangen ist, hat sie sich zumindest stückweise aus ihrer Opferrolle befreit. Allerdings hat sie so auch sich und ihre Familie, vor allem ihre Tochter Monica, immer wieder in Gefahr gebracht.
Dass Marita Lorenz’ Lebensgeschichte in Oberhausen endet, ist im Prinzip ebenso verblüffend wie alles andere in ihrer Biographie. Seit sie in den 70ern die CIA der (Mit-)Täterschaft an der Ermordung Kennedys beschuldigt hat, musste sie sich in New York durchschlagen und lebte lange Zeit von Sozialhilfe. Dem wollte sie zum Ende ihres Lebens durch eine Rückkehr nach Deutschland entkommen. Eine Verbindung nach Oberhausen gab es seit 2014. Damals hatte der ehemalige BND-Agent Ingo Mersmann im Oberhausener Spionage-Museum eine Ausstellung über weibliche Spione kuratiert und Marita Lorenz mit ihren Kinder Monica und Marc ins Ruhrgebiet eingeladen. Diese Freundschaft zwischen Mersmann und Lorenz war nicht nur der Ausgangspunkt für ihren Umzug in ein Sterkrader Seniorenwohnheim. Ihr verdankt sich auch, wie Patricia Nickel-Dönicke erzählt, die Entstehung von »Alles ist wahr«. Der Vorschlag, ein Stück über sie auf die Bühne des Oberhausener Theaters zu bringen, stammte von ihr selbst – es ist tragisch, dass sie die Uraufführung nun nicht mehr erleben kann: Am 31. August ist Marita Lorenz in Oberhausen verstorben.
»Alles ist wahr«, Theater Oberhauen
11. Oktober (Premiere), 13., 27. 30. Oktober, www.theater-oberhausen.de