Alles beginnt mit einem Brief. Im Frühjahr 1932 hat ihn die Tänzerin, Filmschauspielerin und Regisseurin Leni Riefenstahl geschrieben. Der Adressat war niemand anderes als Adolf Hitler. Die damals noch junge Künstlerin hatte ihn am 27. Februar 1932 bei einem seiner Auftritte im Berliner Sportpalast erlebt und war sofort in heftigster Bewunderung entbrannt. Hitlers Fähigkeit, die Massen in seinen Bann zu ziehen und nach Belieben zu manipulieren, hat sie derart begeistert, dass sie ihm einen ebenso schwärmerischen wie servilen Brief geschrieben hat, in dem sie um ein persönliches Treffen mit ihm bat.
Mit diesem Brief, der bei all der dick aufgetragenen Unterwürfigkeit etwas Berechnendes an sich hat, beginnt John von Düffels Stück »Die Wahrheit über Leni Riefenstahl (inszeniert von ihr selbst)«. In Kathrin Mädlers Uraufführungsinszenierung stehen drei Leni Riefenstahls auf der Bühne, neben der jungen Leni (Maria Lehberg) auch Leni-M (Ronja Oppelt), die erfolgreiche Regisseurin von propagandistischen Filmen wie „Triumph des Willens“ und „Olympia“, und Leni85 (Anke Fonferek), eine altgewordene Künstlerin, die mit Argusaugen über ihren Nachruhm wacht und alle, die ihn gefährden, mit Klagen überzieht. Den Brief tragen sie gemeinsam vor und zeichnen so von Anfang an das Bild einer unverbesserlichen ›Unpolitischen‹, die ihre Verstrickung in das NS-Regime ein Leben lang verharmlost oder gar verleugnet hat. Schließlich hat sie nur Filme gedreht, also Kunst erschaffen. Dass diese Kunst marschierende SS- und SA-Mitglieder ins Mythische überhöht und damit genau die Bilder produziert hat, die Hitler und Goebbels für ihre politischen Zwecke nutzen konnten, spielt für die Riefenstahl keine Rolle.
Akribisch recherchiert
John von Düffels akribisch recherchiertes Stück spannt einen Bogen von den frühen 30er Jahren bis in die 90er Jahre, als Alice Schwarzer die Filmemacherin als feministische Vorkämpferin feierte und sie gegen die für Riefenstahl eigentlich vernichtenden Recherchen von Nina Gladitz verteidigte. Die Dokumentarfilmerin hatte in den 80er Jahren einen Film über die Entstehung von Riefenstahls letztem Spielfilm »Tiefland« gedreht, in dem sie nachweisen konnte, dass die Komparsen des Films Sinti und Roma waren, die vor den Dreharbeiten in KZs interniert waren und später mehrheitlich in Auschwitz ermordet wurden – die Filmemacherin wusste davon, prozessierte allerdings gegen Gladitz und gewann.
Von Düffel und Kathrin Mädler erzählen die Geschichte allerdings nicht nur quasi-dokumentarisch nach. Sie verwandeln sie in eine gallige Revue und ein doppelbödiges Spiel im Spiel. Die von Anke Fonferek als meisterliche Regisseurin ihrer selbst gespielte Künstlerin sieht dem restlichen Ensemble dabei zu, wie es ihr Leben nachspielt. Dabei greift sie immer wieder ins Spiel ein, etwa wenn Hitler (Torsten Bauer) oder Goebbels (Jens Schnarre) ihrem jüngerem Ich zu nahetreten oder wenn die Kritik an ihrer Zusammenarbeit mit den Nazi-Größen zu laut wird. So will sie das Bild der unabhängigen Künstlerin und Filmpionierin aufrechterhalten. Aber irgendwann kann selbst sie die Wahrheit, die sie verbogen und manipuliert hat, nicht mehr kontrollieren. Der Auftritt eines KZ-Überlebenden (auch Torsten Bauer), der genau berichten kann, wie die Sinti und Roma, die sie für »Tiefland« ausgenutzt hatte, ins Gas gegangen sind, bringt ihre kunstvolle Version der Wahrheit zum Einsturz. In diesem Moment kippt die Revue tatsächlich ins Dokumentarische und gewinnt dadurch eine enorme Kraft. So bleibt den drei Lenis nur noch, gemeinsam Zarah Leanders Schlager »Davon geht die Welt nicht unter« anzustimmen.
17. und 19. März
Theater Oberhausen