Seit 13 Jahren moderiert Mike Litt den Literatur-Musik-Mix »Klubbing« auf 1Live. In seiner jährlichen Weihnachtssendung ist er außerdem »Der einsamste DJ der Welt«. Denselben Titel trägt auch seine gerade erschienene (Fast-)Autobiografie. Ein Gespräch über Radiokarrieren, Kultur im Mainstream und Moderatoren als Psychotherapeuten.
»Sie sind der einsamste DJ der Welt!«, ruft die Bedienung aus in diesem kleinen Düsseldorfer Café. Vielleicht hat sie Mike Litts Stimme erkannt. Oder das Buch auf dem Tisch gesehen. Apropos Buch: Ob er Lust habe, bei der monatlichen »Suppenlesung« in ihrem Café mitzumachen? Litt schaut sich um. Die Szene könnte aus seinem Buch stammen – eine dieser leicht absurden Fan-Anfragen, die man irgendwie parieren muss. Litt bleibt freundlich. Er sei ja schon auf Lesetour, da bleibe nicht viel Zeit. Aber danke.
K.WEST: Auf Ihrem Buch steht »Roman«, obwohl Handlung und Figuren zum Großteil real sind. Oder täuscht der Eindruck?
LITT: Der Anfang ist komplett echt, auch die Geschichte mit meiner Mutter …
K.WEST: … die in Amerika verschwunden ist, als Sie noch ein Kleinkind waren.
LITT: Manche Leute denken, der arme Kerl hat die schlimmste Kindheit gehabt. Später wird das Buch immer literarischer. Da tauchen Personen auf, die kann ich gar nicht beim Namen nennen.
K.WEST: Um Persönlichkeitsrechte zu schützen.
LITT: Einmal das. Aber auch, um die Dinge zu überspitzen. Das macht ja auch Spaß.
K.WEST: Wenn man Ihr Buch liest, hat man den Eindruck, Sie sind eher auf Zickzack-Wegen zum Radio gekommen.
LITT: Auf jeden Fall. Im Grunde ist »Der einsamste DJ der Welt« ein Bildungsroman – wie wurde ich der, der ich bin. Das Radio ergab sich eher zufällig. Was nicht heißen soll, dass ich das Medium nicht geliebt hätte. Ich war immer ein Junkie, der als Kind Musik unter der Bettdecke gehört hat. Andererseits bringe ich fürs Radio keine idealen Voraussetzungen mit.
K.WEST: Sie meinen Ihre Aussprache.
LITT: Ich habe einen Ruhrgebietsakzent. Als ich anfing, hieß es ganz klar: Du schreibst gute Texte, aber dich kann man eigentlich nicht auf die Allgemeinheit loslassen (lacht).
K.WEST: Was hat den Ausschlag gegeben, dass es dann doch geklappt hat?
LITT: Vielleicht lag es daran, dass der Senderchef Jochen Rausch – wie ich – aus dem Printbereich kommt. Außerdem wurden damals neue Leute gebraucht. Mitte der 90er Jahre stand es um den WDR nicht gut bestellt – gerade beim jungen Publikum. Die Quote von WDR1 war unterirdisch im Vergleich zu seinem Nachfolger. Das war eine Zeit, in der 1Live auch solchen Leuten eine Chance gegeben hat, die vielleicht nicht perfekt waren, was klassische Radiostimmen oder -ausbildung anging.
K.WEST: Was hat sich in der Radiolandschaft in den 18 Jahren, seit Sie dabei sind, am meisten verändert?
LITT: Technisch ist natürlich am meisten passiert. Man kann heute zuhause Dinge machen, die vorher nur im Sender möglich waren – Schnitt, Soundeffekte, so was. Auf der anderen Seite hat sich ein unglaublicher Konkurrenzdruck aufgebaut. Das merkt man in Hamburg oder Frankfurt noch mehr als in NRW. Dort herrscht buchstäblich Radio-Krieg. Für alle gilt: Man beugt sich dem Quotendruck – macht formatiertes Radio, weil man glaubt, so würde man die Leute erreichen.
K.WEST: Erfüllen Sender wie 1Live eigentlich noch ihren öffentlich-rechtlichen Auftrag, auch Neueres und/oder Schwierigeres vorzustellen? Tagsüber ist davon ja recht wenig zu merken.
LITT: Ich denke, dass 1Live im Rahmen seiner »Massenunterhaltung« immer noch Sachen vorstellt, die anderswo nicht laufen. Und bei »Klubbing« und in der Weihnachtssendung lässt mich der Sender machen, was ich will.
K.WEST: Warum haben sich Musiksendungen im Radio besser gehalten als im Fernsehen? Oberflächlich betrachtet, geht es in beiden Fällen um moderierte DJ-Shows.
LITT: Das Musikfernsehen war ein Übergangsphänomen der Technikgeschichte, denke ich. Plötzlich gab es Videoclips. Und es gab eine Plattenindustrie, die Unsummen in dieses Medium gepumpt hat. Als es dann abwärts ging mit den Verkäufen, war für Videos kein Geld mehr da. Dadurch stand das Medium irgendwann still. Am Ende ist es wahrscheinlich ganz einfach: Musik ist etwas zum Hören, weniger zum Sehen.
K.WEST: Heute holen sich viele Musikfans Empfehlungen in sozialen Netzwerken oder auf Seiten wie last.fm. Ist der Moderator da nicht überholt?
LITT: Ich denke, man freut sich immer noch, wenn jemand etwas mit Leidenschaft vorbereitet. Das hat ja auch etwas Journalistisches. Ich hoffe jedenfalls, dass diese Kultur nicht verschwindet. Was die Zukunft bringen könnte, sieht man u.a. am digitalen Radio. Da gibt es Sender mit tollen Programmen, in denen z.B. eine ganze Musiksendung albumorientiert ist. Ich mache so etwas ja schon in meiner Sendung »Lärm by Litt« auf Radio Wissen, das ist das dritte Vollprogramm des Deutschlandradios.
K.WEST: Warum laufen solche Shows nur in den digitalen Nischen der öffentlich-rechtlichen Sender? Sind die Gebühren nicht dazu da, solche Experimente generell zu ermöglichen, ohne Quotendruck?
LITT: Das digitale Radio wird auf die großen Sender abfärben, denke ich. Im Moment ist es noch ein Schreckgespenst für die Gralshüter. Aber in der Entwicklung liegen auch große Chancen, wenn man die entsprechende Infrastruktur und Manpower hat. Vielleicht wird der Quotendruck obsolet, wenn es 80 Sender gibt.
K.WEST: Sie erzählen in Ihrem Buch auch von den unheimlichen Seiten, die die Verehrung für Radiomoderatoren haben kann. Da ist eine Frau, die dauernd Liebesbriefe schreibt. Und ein Hörer, der Sie zum Logopäden schicken will.
LITT: Das kommt tatsächlich vor. Wir bekommen ja auch Berge von Post, besonders an Weihnachten.
K.WEST: Glauben Sie, das hat mit Einsamkeit zu tun?
LITT: Nein, das glaube ich nicht, zumindest nicht generell. Die Sendung wird ja auch von ganzen Familien gemeinsam gehört. Andererseits gibt es schon Leute, die einsam wirken und die sich durch die Sendung mit der Welt verbunden fühlen.
K.WEST: In den Briefen, aus denen Sie an Weihnachten vorlesen, geht es oft um sehr intime Dinge. Wie kommt es, dass Radiomoderatoren für manche Menschen wie Psychotherapeuten sind?
LITT: Das muss etwas mit der Stimme zu tun haben. Man fühlt sich angesprochen von diesem oder jenen Moderator. Im Laufe der Zeit ist er für die Hörer ein guter Bekannter geworden, obwohl man die Person nie gesehen hat.
K.WEST: Wie ist eigentlich »Klubbing« entstanden? Die Kombination aus Literatursendung und DJ-Set liegt ja nicht unbedingt nahe.
LITT: Das hatte auf der einen Seite mit dem Sendeplatz zu tun. 23 Uhr ist »Auftragszeit«. Da passieren immer irgendwelchen kulturellen Dinge.
K.WEST: Alexander-Kluge-Zeit …
LITT: Sozusagen. Wir wollten eine Literatursendung machen, die junge Menschen erreicht. Als »Klubbing« losging, zur Jahrtausendwende, haben die Verlage ihre Autoren vermehrt auf die Straße geschickt. Aber einige Charaktere wie Benjamin von Stuckrad-Barre haben das auch von selbst massiv gemacht. Es gab also viele Leute, die lesen wollten, und die noch kein Forum hatten.
K.WEST: Welche Gäste haben am meisten Spaß gemacht und welche waren am anstrengendsten?
LITT: Erstaunlicherweise hatte ich immer sehr gute Sendungen mit Charlotte Roche – von dem gemeinsamen Auftritt mit Stuckrad-Barre abgesehen. Da waren sie beide ziemlich dicht, und es ging drunter und drüber. Clemens Mayer mag ich auch sehr gerne. Das Schlimmste waren zwei Absolventen des Leipziger Literaturstudiengangs, die waren früher ein Paar und haben in dieser Zeit gemeinsam ein Buch geschrieben. Das Problem war nur, dass sie sich vor der Promotion-Tour getrennt hatten. Sie hatte einen neuen Freund, er ist damit nur mit Wodka und Tabletten klargekommen. Der Anblick war ein einziges Trauerspiel.
K.WEST: Gibt es jemand, der noch nicht da war, den Sie aber gerne in der Sendung hätten?
LITT: Generell würde ich den Kreis gerne auf internationale Autoren erweitern. Da wird sich im nächsten Jahr sicher einiges verändern. So jemand wie T.C. Boyle in der Sendung zu haben, das wär schon toll.
Mike Litt: »Der einsamste DJ der Welt«, Dumont Verlag, Köln, 220 S., 8,99 Euro