Die Mülheimer Theatertage feiern ihre 50. Ausgabe. Zum Jubiläum geht es nicht nur um die Entwicklung des bedeutenden Festivals für Gegenwartsdramatik. Sondern auch um Künstlerisches und Kurioses aus den vergangenen Jahren.
Wirklich ernst genommen hatten die Idee wohl nur wenige, damals in den 1970er Jahren. Vom »Hirngespinst eines nicht ganz nüchternen Dezernenten« war die Rede, gemeint war Mülheims sozialdemokratischer Kulturdezernent Helmut Meyer, der die Entwicklung der Theatertage vorantrieb. Das 1975 vorangegangene Modell eines experimentellen Studiotheaterfestivals wurde verworfen, fortan sollten die Stücktexte im Vordergrund stehen. Und so ist es bis heute. Mit großem Erfolg. Die Mülheimer Theatertage, kurz »Stücke« genannt, haben sich zu einem der bedeutendsten deutschsprachigen Theaterfestivals entwickelt – mit dem klaren Fokus auf Gegenwartsdramatik.
Jahr für Jahr treten Autor*innen im Wettbewerb um den Mülheimer Dramatikpreis an. Die sieben bis acht Stücke, ausgesucht von einem Auswahlgremium, sind nicht nur ein Best-of des jeweiligen Jahrgangs, sie liefern immer auch eine Antwort auf die Frage, was die aktuelle Theaterliteratur zum Stand der Dinge zu sagen hat. Entwicklungen im Schreiben bilden sich hier genauso ab wie Entwicklungen der (politischen) Zeitgeschichte.
Größere Öffnung zum Publikum
»Der Grundgedanke der Theatertage, Texte ins Zentrum zu stellen, war eine geniale Idee«, sagt Stephanie Steinberg. Und an der rüttelt die Festivalleiterin auch nicht. Seit 2014 hat sie das Amt inne, ihr Vorgänger Udo Balzer hatte das Festival noch als städtischer Beamter geleitet. Zuvor arbeitete Steinberg schon als Dramaturgin für die »Stücke« und war zuständig für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.
Die Kernidee des Festivals ist geblieben, am Rahmenprogramm hat sich in den vergangenen Jahren einiges verändert. Die noch größere Öffnung zum Publikum liegt Steinberg am Herzen. Seit Beginn ist das Festival ein Ort der Auseinandersetzung, aber neben den öffentlichen Publikumsgesprächen nach den Inszenierungen der Stücke mit Autor*innen, Produktionsteam und Ensemble, verstärkte sie auch die Zusammenarbeit mit Studierenden, die sich in Seminaren, in eigenen Texten beim Festival-Blog oder in Performances mit den Stücken auseinandersetzen. Verhältnismäßig früh hat sich das Festival auch im Internet gezeigt. Die – ebenfalls öffentliche – Jurydebatte als Höhepunkt zum Ende wird seit 2006 live gestreamt.
Entschieden wird in dieser Jurydebatte über den mit 15.000 Euro dotierten Dramatikpreis. Und – in etwas kleinerer Besetzung und zum Ende der KinderStücke-Woche – über den KinderStückePreis. Der ist mittlerweile gleich hoch dotiert. Und auch das ist eine richtige und wichtige Entwicklung.
Stephanie Steinberg versteht sich in ihrer Rolle vor allem auch als Förderin. Da geht es zum einen um die Stücke der Autor*innen, die hoffentlich einen Nachspielschub durchs Festival bekommen und – dank der Werkstatt »Theater übersetzen« – in verschiedene Sprachen übertragen werden. Zum anderen auch um den Anschub junger Theaterschaffender, die ihren Weg als Praktikant oder Bloggerin beim Festival starten und später in den unterschiedlichsten Funktionen nach Mülheim zurückkehren, als Produktionsleitung oder Dramaturgin einer eingeladenen Inszenierung zum Beispiel. Und für noch eine Neuerung hat sich die Festivalleiterin eingesetzt: Alle Nominierten bekommen in diesem Jahr eine finanzielle Anerkennung über 3000 Euro. Und zum ersten Mal wird – dank der Bürgerstiftung Mülheim – auch der Publikumspreis honoriert, mit 5000 Euro.
Die eingeladenen Stücke 2025
»Doping« von Nora Abdel-Maksoud, in einer Inszenierung der Münchner Kammerspiele
10. Mai, Stadthalle Mülheim
»Staubfrau« von Maria Milisavljević, Schauspielhaus Zürich
11. und 12. Mai, Theater an der Ruhr
»Das beispielhafte Leben des Samuel W.« Von Lukas Rietzschel,
Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau
14. Mai, Stadthalle Mülheim
»Frau Yamamoto ist noch da« von Dea Loher, Schauspiel Stuttgart
17. Mai, Stadthalle Mülheim
»Asche« von Elfriede Jelinek, Thalia Theater Hamburg
21. und 22. Mai, Stadthalle Mülheim
»Altbau in zentraler Lage« von Raphaela Bardutzky, Schauspiel Leipzig
28. und 29. Mai, Theater an der Ruhr
»They Them Okocha« von Bonn Park, Schauspiel Frankfurt
28. und 29. Mai, Ringlokschuppen Mülheim
Die eingeladenen KinderStücke 2025
»Aufräumen« von Tina Müller & Theater Fallalpha, Theater Fallalpha Zürich
18. und 19. Mai, Theater an der Ruhr
»Pembo. Halb und halb macht doppelt glücklich« von Ayşe Bosse,
Hessisches Staatstheater Wiesbaden
20. Mai, Ringlokschuppen Mülheim
»T-Rex, bist du traurig? (Steht dein T für Tränen?) Von Fayer Koch,
Theater der Jungen Welt Leipzig
21. Mai, Theater an der Ruhr
»Woche – Woche« von Lara Schützsack, GRIPS Theater Berlin
21. und 22. Mai, Ringlokschuppen
»Freddi und die ganze Katastrophe« vom Ensemble Mummpitz,
Theater Mummpitz Nürnberg
23. Mai, Theater an der Ruhr
50. Mülheimer Theatertage
10. bis 31. Mai

Das erste Mal
1977 wird mit Gerlind Reinshagen die erste Autorin nach Mülheim eingeladen und gewinnt für »Sonntagskinder« auch direkt den Dramatikpreis. Danach steht sieben Jahre lang keine Frau mehr auf der Liste. 1990, nach dem Mauerfall, können zum ersten Mal ostdeutsche Autor*innen und Theater ohne größere politische Hürden eingeladen werden. Erst 1992 entscheidet zum ersten Mal eine Frau im Gremium mit über die Auswahl. 1993 findet die abschließende Jurydebatte zum ersten Mal öffentlich statt. Und die ersten professionellen Übersetzer*innen aus verschiedensten Ländern kommen zur Werkstatt »Theater übersetzen«. 2010 richtet sich der Fokus zum ersten Mal auch auf Texte für junges Publikum: Die ersten KinderStücke werden eingeladen und ausgezeichnet.
Tolle Titel
Jede gute Story braucht auch einen guten Titel, das gilt auch für Theaterstücke. Knackig dürfen die sein oder so, dass kein*e Leser*in sie so schnell vergisst. Wir haben ein paar aus den eingeladenen Stücken der vergangenen 50 Jahre ausgewählt
1981 Christoph Hein startete mit einer Art Regieanweisung: »Lassalle fragt Herrn Herbert nach Sonja. Sie Szene ein Salon«.
1984 Sperrig wie eh und je lässt Heiner Müller verlauten: »Verkommenes Ufer Medeamaterial Landschaft mit Argonauten«.
1991 »Übergewicht Unwichtig: UNFORM« schrieb der früh verstorbene »Brachialdramatiker« und »Sprachberserker« Werner Schwab, wie ihn die Kritik damals bezeichnete.
1997 Niedrig stapelte John von Düffel mit »Das schlechteste Theaterstück der Welt«.
2003 Für »Schieß doch, Kaufhaus!« bekam Martin Heckmanns den Publikumspreis. Das wird nicht nur am Titel gelegen haben.
2010 Bei Ewald Palmetshofer erzählt nicht selten schon der Titel eine ganze Geschichte, zum Beispiel hier: »faust hat Hunger und verschluckt sich an einer grete«.
2012 Unvergessen ist René Pollesch, der 2024 verstarb, zum Beispiel mit »Kill your Darlings! Streets of Berladelphia«.
Die Stücke in Rätseln
- Welche Name steht an der Spitze der am häufigsten eigeladenen Autor*innen?
- Welche*r noch amtierende Intendant*in war mit Produktionen des eigenen Hauses bisher am häufigsten in Mülheim vertreten?
- Wie oft waren sich in den vergangenen Jahren das Publikum und die Fach-Jury einig und vergaben beide Preise an dasselbe Stück? a) nullmal b) zwölfmal c) 27-mal
1. Elfriede Jelinek. Sie ist in diesem Jahr mit »Asche« bereits zum 23. Mal für den Dramatikpreis nominiert
und führt damit unangefochten die Hitliste an.
2. Ulrich Khuon, 22-mal
3. b) zwölfmal