Im Mülheimer Ringlokschuppen Ruhr gibt es keine künstlerische Leitung mehr. Geplant und entwickelt wird ab jetzt kollektiv, verantwortlich ist ein »künstlerisches Komitee«.
Co-Intendanzen und Leitungsteams gibt es seit einigen Jahren immer häufiger an den Theatern. Der Mülheimer Ringlokschuppen Ruhr geht jetzt noch einen Schritt weiter: Nach der Trennung von Daniele Daude, die als künstlerische Leiterin nur wenige Monate im Amt war, hat sich das Haus entschlossen, die Stelle nicht neu zu besetzen, sondern das Programm ab jetzt gemeinsam zu entwickeln und Entscheidungen kollektiv zu treffen.
Die Dramaturgen Sebastian Brohn und Amir Mirzaei sowie die Kuratorin und Programmplanerin für Popkultur Yala Pierenkemper agieren als »künstlerisches Komitee«, wie sie sich selbst bezeichnen und das auch etymologisch begründen – »committere« aus dem Lateinischen bedeutet »zusammenfügen, zusammenbringen«. Darum geht es ihnen: weg von der in ihren Augen nicht mehr zeitgemäßen hierarchischen Struktur, an der eine einzelne Person an der Spitze die Entscheidungen trifft, hin zu einem starken Team mit unterschiedlichen Verantwortungsbereichen. Das sei auch ein Bekenntnis zum demokratischen Vokabular, erklärt Yala Pierenkemper. Und es passt hervorragend zur Struktur des Hauses.
Das Potenzial des Hauses
Der Ringlokschuppen entstand als soziokulturelles Zentrum, ist heute ein wichtiges Haus für die Freie Szene, das immer schon politisch starke Themen gesetzt und sozial engagierte Kunst gezeigt hat. »Wir wollen die Hausstruktur ernstnehmen«, sagt Sebastian Brohn. Ein soziokulturelles Zentrum und ein Haus für zeitgenössische Kunst zu sein, sei kein Widerspruch, sondern vielmehr ein Potenzial. Und auch das Potenzial der einzelnen Mitarbeiter*innen will das Team so neu und anders nutzen. Da konzipiert zum Beispiel ein Techniker eine musikalische Reihe und die Kommunikationsverantwortliche eine Gesprächsreihe. Die Struktur der klassischen Abteilungen bleibt erhalten, kuratiert aber wird das Programm in kleineren gemischten Runden und dann im gesamten Team besprochen. Auch darüber, ob es für das so beliebte wie wertvolle HundertPro Festival, das durch einen Wasserschaden Ende August abgesagt musste, einen Nachholtermin gibt, wird noch entschieden – gemeinsam. Dieser neue Weg der Zusammenarbeit ist ein Prozess, der Zeit und Kraft kostet, darüber sind sich alle einig. Der aber anders wertschätze und Freude bringe.
Der programmatische Filter fürs Festival – »Wahrheit und Widerspruch, Wirklichkeiten und Werte« – bleibt als eine Art Leitmotiv für die Spielzeit bestehen. Im Oktober präsentiert der Schuppen unter anderem Reut Shemeshs »Ultra«, eine Tanzproduktion, inspiriert von Fußballfans, die toxische Männlichkeit behandelt (11. Oktober). Der Verein Pottporus setzt sich in »aware!« mit Künstler*innen aus der Hip-Hop-Kultur und den Urbanen Künsten mit dem Postkolonialismus auseinander (18. und 19. Oktober). Für beide Veranstaltungen gilt das neue Ticketpreis-Konzept: Zahle, was du kannst (ab fünf Euro). Auch damit will der Ringlokschuppen ein Zeichen setzen.
Zugleich gibt es am Mülheimer Theater an der Ruhr eine neue Leitungsstruktur: Auch dort entwickelt und entscheidet jetzt ein größeres, fünfköpfiges künstlerisches Programmteam, zu dem künftig auch ein Mitglied aus dem Schauspielensemble gehört. Am neuen Spielplan-Konzept ändert das aber nichts. Sogenannte Theaterinseln haben am Theater an der Ruhr den Repertoirebetrieb abgelöst. Dreimal pro Spielzeit gibt es ein mehrwöchiges Festival mit Inszenierungen, Konzerten, Workshops, Diskurs und Kunstparcours.