Gleich am Eingang zeigt eine schlichte schematische Karte an der Wand die Umrisse Nordrhein-Westfalens. Gut zu erkennen sind unsere Nachbarn: Rheinland-Pfalz, Hessen und Niedersachsen, auch Belgien und die Niederlande. Man sieht ein paar Flüsse und mehrere größere Städte. Das Wichtigste allerdings fehlt: Die beiden früheren preußischen Provinzen Nordrhein und Westfalen sowie der vormalige Freistaat Lippe sind nicht eingezeichnet. Aus ihnen entstand aber jenes Nordrhein-Westfalen, um dessen Geschichte es in der Ausstellung mit dem Titel »Unser Land« geht. Wo sie lagen und wie die Grenzen zwischen ihnen verliefen – man erfährt es hier nicht.
Dieser eklatante Mangel, das Fehlen des Wesentlichen an entscheidender Stelle, erweist sich im Verlaufe der Ausstellung nicht als bedauerliche Ausnahme, sondern als roter Faden. Fatalerweise sogar als der einzige: Eine schlüssige Erzählung der Landesgeschichte, ob nun chronologisch oder inhaltlich, sucht man vergebens. Dabei lässt sich in den acht Räumen zu jeweils einem thematischen Schwerpunkt durchaus Interessantes entdecken. Das beginnt beim Original der »Verordnung Nr. 46«, mit der die britische Besatzungsmacht das neue (Bundes-)Land gründete. Man liest, hört und sieht beeindruckende Zeitzeugenberichte, sowohl aus der unmittelbaren Nachkriegszeit wie aus späteren Jahren. Es werden berührende Geschichten erzählt, von den ersten Gastarbeitern während des »Wirtschaftswunders« bis zu jenen Flüchtlingen, die nach den Kriegen auf dem Balkan, in Afghanistan oder Syrien in Nordrhein-Westfalen eine neue Heimat fanden. Der Strukturwandel in Landwirtschaft und Industrie wird ebenso breit thematisiert wie die Arbeitskämpfe an der Ruhr. Irgendwann stößt man dann auf den pinkfarbenen Plüschflamingo von Mike »Socke« Lüdorf, der 30 Jahre lang als Obdachloser in Düsseldorf lebte und 2019 verstarb. NRW-Sozialgeschichte, veranschaulicht an einem Stofftier.
In diesen, leider raren Momenten zeigt die Ausstellung, was sie können könnte, wenn sie ein tragfähiges Konzept hätte. Das aber fehlt, und so vermittelt die Schau nicht, was Ministerpräsident Armin Laschet sich in seiner Festrede am Tag der Eröffnung erhoffte: »Ein Gefühl für das Land.« Das liegt auch daran, dass sie tragende Säulen der Geschichte und Identität Nordrhein-Westfalens und seiner Bürger*innen zu Randnotizen macht: Der Fußball, der sich nirgendwo sonst in Deutschland in solcher Klasse wie Masse finden lässt, ist den Ausstellungsmacher*innen keine Handvoll Objekte wert. Das größte inhaltliche Manko offenbart sich beim Thema Kultur. Sie wird quasi auf den Streit um Joseph Beuys‘ Wirken an der Düsseldorfer Kunstakademie Anfang der 1970er Jahre reduziert; daneben gibt es noch einen kümmerlichen Verweis auf die wiedereröffneten Theater nach dem Weltkrieg und die Ruhrfestspiele… das war’s. Von Kraftwerk oder Pina Bausch, Fluxus oder Zero – um nur die weltweit einflussreichsten Künstler*innen(gruppen) zu nennen – findet sich keine Spur. Auch nicht von Herbert Grönemeyer, den Toten Hosen oder der Hagenerin Nena, die mit »99 Luftballons« als bisher einzige Deutsche einen Nummer-Eins-Hit in den USA hatte. Ausgerechnet auf seinem Eröffnungsrundgang hatte Ministerpräsident Armin Laschet gesagt: »Die Kultur ist die DNA des Landes.« Das scheinen die Verantwortlichen für das künftige Haus der Geschichte Nordrhein-Westfalen rund um den (noch) ehrenamtlichen Stiftungspräsidenten Hans-Walter Hütter jedoch nicht zu wissen – oder nicht wissen zu wollen. Vielleicht, weil sie kein Gefühl für das Land haben.