»Methode RWF«: Was bedeutet das? Der Begriff löst ein Echo aus, denn er ist eng verknüpft mit Lee Strasbergs berühmten »Method Acting«, das er seinen Schülern, darunter James Dean und Marlon Brando, in New York beibrachte. In aller Kürze gesagt, diese »Methode« fordert, dass der Schauspieler sich auf das innerliche Erleben der von ihm gespielten und sich mit ihr identifizierenden Figur vorbereitet und konzentriert, indem er eigene Erinnerungen aufruft und sie affektiv, sensitiv und emotional einsetzt. Er oder sie also in die Dunkelkammern des Ichs hinabsteigen. Gilt das so auch für Fassbinders Darsteller? Nein, bei ihm selbst (wenn er spielte, sei es auf der Bühne oder vor der Kamera) und seiner ‚Family’ von Aktricen und Akteuren stand zwischen ihnen und der »Methode« allerdings immer eine gläserne Wand. Sie schuf Distanz, sie funktionierte als Spiegel, der die Gefühlshaltungen zu sich selbst in Abstand brachte, sie sich vom Leibe hielt und reflektierte. Das wie von außen betrachtete Selbstverhältnis blieb immer gewahrt. Es gab kein unmittelbares Spiel. Es gab nur Vermittlung. Fassbinder, der für Volker Schlöndorff im Film Brechts Baal spielte, wendete selbst das epische Theater an, doch verband er es wiederum mit dem analytischen Geist Sigmund Freuds.
Unter dem Titel »Methode Rainer Werner Fassbinder« breiten die Bundeskunsthalle in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Filminstitut, dem Filmmuseum in Frankfurt am Main und der Berliner Rainer Werner Fassbinder Foundation auf 1800 Quadratmetern in Bonn – chronologisch geleitet – Werk und Leben aus. Vier Jahrzehnte nach seinem frühen Tod 1982 ist dieses Œuvre bereits mehr als zeitgebundenes Dokument, vielmehr Ausdruck der Epoche, in die hinein das Kuratoren-Team es in wechselseitigem Bezug stellt.
Ein Gang durch seine Filme ist wie einer durchs Spiegelkabinett: überall Fenster, Glas, Spiegelflächen. Effi Briest, die in diesen Produzenten des Scheins die Selbstentfremdung erschaut, Petra von Kant, die uns durch sie ihre Gefühlserstarrung erkennen lässt, Elvira Weishaupt, die »In einem Jahr mit 13 Monden« dem Schrecknis der Selbstbegegnung ausgeliefert ist.
Nehmen wir eine Szene wie diese: Maria Braun (Hanna Schygulla) erfährt, dass ihr Mann für tot erklärt wurde. Sie steht in der Küche am Waschbecken mit dem Rücken zu uns. Michael Ballhaus’ Kamera schaut ihr nicht ins Gesicht, sondern nimmt den Wasserkran in den Blick, den sie aufdreht, um das Wasser über ihre Hände fließen zu lassen. Der Tränenfluss der Trauernden ist metaphorisch delegiert an das Element des Wassers, das für den Hausgebrauch zivilisiert und über Leitungen gelenkt wurde.
»Methode«, das bezieht sich vor allem auf sein Denken und Fühlen. Wie hat RWF getickt, wofür hat er gebrannt, was hat ihn getrieben, welche große Erzählung bestimmt sein gigantisches Werk, das er zu stemmen schien wie Michelangelo seinen Marmor? Denn, ja, es ist die eine und große Erzählung und tragédie humaine, die sich für diesen deutschen Balzac von Adornos Satz herleitet: Es gibt kein richtiges Leben im falschen.
Dieses Diktum gilt für den Makrokosmos der deutschen Geschichte, über die er vom Kaiserreich (»Effi Briest«), der Weimarer Republik (»Berlin, Alexanderplatz«) und der Nazi-Diktatur (»Lili Marleen«) zur Stunde Null und der Adenauer-Republik (»Die Ehe der Maria Braun«, »Lola«) bis in die Saturiertheit und Selbstgerechtigkeit der reichen Jahre (»Chinesisches Roulette«, »Faustrecht der Freiheit«) und die Bleierne Zeit der RAF (»Die dritte Generation«) berichtet. Thomas Mann hat vom Exil USA aus verkündet: »Wo ich bin, ist Deutschland.« RWF hätte diesen Satz auch sagen können – von innen heraus.
Zugleich gilt die Sentenz vom falschen Leben für die Keimzelle der Gesellschaft, die Zweier-Beziehung, die wie eine Lupe funktioniert, wie ein Brennglas. RWF erzählt das Politische über das Private: Scheitern der Liebe, Terror der Liebe, ihr Macht- und Angstapparat, Ausbeutung des Gefühls und das Verhältnis von Geld und Glück – und seine Trauer darüber, dass der Mensch an all dem zugrunde geht.
Diese »Methode« hat er gelernt in den Filmen von Douglas Sirk, der Detlev Sierck hieß und für die Ufa arbeitete, bevor er in die USA emigrierte und im Hollywood der Fifties himmlische Melodramen gedreht hat wie »Imitation of life« und »All what Heaven allows«. RWF hat sie verinnerlicht und adaptiert, so dass seine ganz andere Version des letzteren Sirk-Films bei ihm »Angst essen Seele auf« heißt und die Geschichte der älteren deutschen Putzfrau Emmi (Brigitte Mira) und des jüngeren marokkanischen Gastarbeiters Ali (El Hedi ben Salem) erzählt und wie das Paar beinahe kaputt geht an etwas, das eigentlich wunderschön ist und sie hätte stark machen sollen. Seit Sirk sehen seine Filme anders aus, werden fließender, eleganter, glamouröser, aber nicht weicher – ihre Härte umhüllt sich nur schmeichelnder.
Das Politische dringt durch
Die Essenz und radikalste Spielart der Methode enthält seine 25-minütige Episode des Films »Deutschland im Herbst«. Ein scheinbar dokumentarisches Kammerspiel, inszeniert in seiner Wohnung in München. Ein verbaler Kampf mit seiner Mutter Lilo Pempeit, die von ihrem Sohn sagte, er sei, kaum habe er sprechen können, eine einzige Herausforderung gewesen. Es ist 1977, die Phase nach der Schleyer-Entführung durch die RAF und deren tödliche Folgen. Auch Fassbinder – fahrig, gereizt, schlecht drauf, ein Nervenbündel – fürchtet als sogenannter Sympathisant die nicht minder gereizte Staatsautorität. Das Politische dringt durch jede Pore. In der Diskussion mit seiner Mutter über die freiheitliche Ordnung und die Entkräftung des Rechtsstaates vertritt er die Gegenposition: Wenn die Exekutive die Rechtsprechung übernähme, drohe faschistische Willkürherrschaft. Fassbinder ist Herr der Rede, er regiert gewissermaßen rhetorisch den Ausnahmezustand. Ein Demagoge im Dienst demokratischer Verfassung. Das hat Shakespeare-Format. Dabei gerät er in die Rolle, die er als moralisches Ich attackiert. Die ebenso nervös aufgelöste filmische Montage – er telefoniert, diktiert ins Aufnahmegerät, kokst, säuft und sieht so einsam aus wie Franz Biberkopf – zeigt in Szenen einer Ehe seine Überlegenheit an dem ihm ebenfalls intellektuell nicht gewachsenen Lebensgefährten Armin. Er macht ihn fertig. Bleibt Sieger. Und ist doch der Verlierer. Rigoros in der Selbstanalyse und Selbstpreisgabe. Es ist die grandiose Verdichtung von vertrackter Dialektik und doppelter Optik. Wahrheit und Methode.
Nicht anders sein Vampirdrama »Martha«, wenn am Ende sie, Margit Carstensen, im Rollstuhl sitzt und er, Helmut Salomon (Karlheinz Böhm), neben ihr steht, an sie gefesselt. Lebenslänglich. Der Triumph des Objekts, der Behinderten über ihren Erzieher und Hüter. Es ist die paradiesische Hölle von Sadist und Masochist. Ein Abhängigkeitsverhältnis – die Travestie von Liebe.
Schlechte Zeit für Gefühle
Sein Leiden an Deutschland und an der Liebe ist ein Leiden an der bürgerlichen Gesellschaft. »Eine schlechte Zeit für Gefühle«, wie es in »Maria Braun« heißt, herrscht immer. Liebe wird zu einer vom kapitalistischen System infizierten, dessen ‚Werte’ adaptierenden Währung. »Eine Liebe, das kostet immer viel«, heißt es an einer Stelle in seinem Werk. In einem Interview sagt RWF: »Ich glaube nicht, dass etwas ohne Käuflichkeit möglich ist. Irgendeine Art von Käuflichkeit ist in jeder Möglichkeit, glücklich zu sein.« Seine Gebrauchsanweisung fürs Leben.
Bei RWF sind Love Stories wie »Die bitteren Tränen der Petra von Kant« in ihrem stilisierten Manierismus, in Spiegelungen, Farbfantasien, Raumgestaltungen, gestischen und sprachlichen Haltungen Katastrophenfilme. Und Teile eines großen finsteren Erziehungsromans, in dem Motive, Figuren und Konstellationen Austausch pflegen und sich dabei in ein und derselben Einstellung als affirmationsfähig und widerständig zeigen.
RWF nimmt sich die Figur des Außenseiters, wie Franz Biberkopf vom »Alexanderplatz«, und schärft durch sie die Sicht auf die Verhältnisse. Bei ihm, dem größten deutschen Filmregisseur von Frauen, ist die Frau immer auch Außenseiter, aber keinesfalls bloßes Opfer. Das wäre verkehrt und langweilig, sondern auch Täter(in): jemand, die Rollen übernimmt, sie produktiv macht, radikalisiert und überbietet im Mimikry und so im herrschenden System funktioniert – erfolgreicher, angepasster, gerissener, gewissenloser, gemeiner. Als Unterdrückte zeigen sich in aller Klarheit bei den Frauen die Mechanismen der Unterdrückung und Ausbeutung. Das, was ihnen angetan wird, wenden sie auf andere an und geben die Normen der Unterdrücker weiter. Ein psychologisches Musterstück. Maria Braun, Mata Hari des Wirtschaftswunders, ist darin Meisterin. Aber jedes Ungeheuer in Fassbinders Filmen, etwa Petra von Kant, ist ebenso ein grotesk leidendes und liebendes Wesen.
Die Ärztin Frau Dr. Katz sagt zu ihrer Patientin, der Schauspielerin Veronika Voss (Rosel Zech), deren Sehnsucht unerfüllt bleibt und die mit den Christ-Glocken des Osterfestes in ihren ewigen weißen Drogentraum eingeht: »Vielleicht sollte ich Ihnen statt Morphium einen Menschen verschreiben, der sie liebt.« Betäubung ist es in dem einen Fall – in dem anderen nicht auch?
Bundeskunsthalle, 10. September bis 6. März 2022; die multimediale Ausstellung wird begleitet von einem Filmprogramm, Diskussionen und Gesprächsrunden, Führungen von Zeitzeugen sowie Lesungen; ein Katalog ist in Vorbereitung.
Biografie
Rainer Werner Fassbinder wird am 31. Mai 1945 in Bad Wörishofen als Sohn eines Arztes und der Übersetzerin Liselotte Eder geboren, die später häufig in seinen Filmen kleinere Rollen übernimmt. Der 16-Jährige schreibt Stücke, Gedichte, Erzählungen, Film-Treatments. Er scheitert in München bei der Aufnahmeprüfung zur Staatlichen Schauspielschule und für die Deutsche Film- und Fernsehakademie. 1966 /77 realisiert er erste Kurzfilme; er stößt zum Münchner Action-Theater um Ursula Strätz, Peer Raben und Kurt Raab, mit denen er bald das »antiteater« gründet. Ingrid Caven, Irm Herrmann, Hanna Schygulla, dann Margit Carstensen, Harry Baer und Günther Kaufmann ergänzen die Family. 1969 dreht er die ersten beiden Spielfilme »Liebe ist kälter als der Tod« und »Katzelmacher«. Sein Gesamtwerk entsteht in nur 13 Jahren, darunter die Fernsehserien »Acht Stunden sind kein Tag« und der 14-teilige »Berlin Alexanderplatz« nach Alfred Döblin. Parallel schreibt er Stücke, Hörspiele und Drehbücher, übernimmt Rollen auch bei Kollegen wie Volker Schlöndorff; parallel auch inszeniert er fürs Theater in Bremen und Frankfurt. »Die Ehe der Maria Braun« (1978) wird ein Welterfolg. Für »Die Sehnsucht der Veronika Voss« bekommt er 1982 den Goldenen Bären der Berlinale, zuvor schon gab es neun Filmbänder in Silber und Gold. Als sein letzter Film »Querelle« nach Jean Genet ins Kino kommt, ist er bereits tot: RWF stirbt am 10. Juni 1982 in München.