Eric Packer ist 28 Jahre alt und hat an der Börse Milliarden gemacht. Der Soziopath besitzt eine 48 Zimmer-Wohnung inklusive Haifischbecken mit Blick über den East River. Zum ökonomischen kommt ein lyrischer Instinkt: Er liest in schlaflosen Nächten Gedichte und weiß zu beurteilen, dass die Verse seiner Ehefrau, einer reichen Erbin, »scheiße« sind. Ein Morgen im April 2000. Eric Packer lässt sich in seiner schallgedämpften Stretch-Limousine zum Haareschneiden in sein Jugendviertel Hell’s Kitchen kutschieren. Unterwegs ist Zeit, um über sein Computersystem zu fachsimpeln, seinen Analysten zu konsultieren, mit der Aktie Yen zu spekulieren und sein Vermögen zu verzocken, seine Frau zu treffen, Sex mit der Geliebten und seinem weiblichen Bodyguard zu haben und von einem Stromschlag mit 100.000-Volt getroffen zu werden. Noch allerlei passiert auf dem von Don DeLillo in pathetischer Sachlichkeit geschilderten Trip durch Manhattan, der als allegorische Höllenfahrt auch Annäherung an die Wirklichkeit ist. Packer beobachtet eine gewalttätige Demo von Globalisierungsgegnern, sieht eine Selbstverbrennung, gerät mit seinem luxuriösen Sarg-Wagen in einen Beerdigungszug und Techno-Rave. Am Ende wird er sterben – erschossen. Was vom Tage übrig bleibt, ist Packers Leiche.
Der 2003 erschienene, schmale Roman wäre ein Super-Erzählstoff, filmdramaturgisch ideal in der Konzentration auf Ort und Zeit. Gerade auch für David Cronenberg, der das Alien in uns zu wecken vermag und klaustrophobische Verdichtungen schätzt. Aber augenscheinlich kann er wenig anfangen mit dem Stationendrama »Cosmopolis«, das mit kalkulierter Kälte, diagnostischer Schärfe und neutraler Kopfnote das System Cyperkapitalismus, die vermeintliche Rationalität der Märkte, das Rauschen der Zahlen und die Leere der Zukunft beschreibt. Das Auto ist (im Film mehr als im Buch) der Schauplatz, Packers Kontaktpersonen sind passagere Begleiter. Was man als konzeptuelle Wort-Welt bei DeLillo gern liest, lässt man sich als Dialog-Text nicht gern sagen: Aufsagetheater. Die raffinierten Asymmetrien, komplexen Beziehungs-Koordinaten und symbolischen Aporien des Textes laufen ins Leere. Die banale Thriller-Musik passt nicht. Und Robert Pattinson ist in der stilisierten Haupt- und Kunstfigur Packer eine eklatante Fehlbesetzung und bloß Konzession ans jugendliche Publikum. Zwar eignet ihm abstrakte Makellosigkeit und verchromte Oberflächenstruktur, aber er hat nicht die geringste Variation von Ausdruck im Angebot, kann nur einfältig bös’ grinsen und von unten nach oben äugen, was sardonisch wirken soll, aber nur einstudiert ausschaut. Tote Augen. »Ein Quantum Staub«. Eine Portion Zelluloid.
»Cosmopolis«; Regie: David Cronenberg; Darsteller: Robert Pattinson, Juliette Binoche, Mathieu Amalric, Sarah Gadon, Paul Giamatti, Samantha Morton; USA 2012, 105 Min.; Start: 12. Juli 2012.