Mit stürmischen Akkord-Kaskaden und Passagenläufen reich gefüllt, so unterzog im 18. Jahrhundert ein gewisser Joseph-Nicolas-Pancrace Royer das Cembalo einem irrwitzigen Belastungstest. Seitdem gehört sein Bravourstück »Le Vertigo« für jeden Cembalisten zu den absoluten Herausforderungen. Nicht aber, so scheint es, für Jean Rondeau. Auf seiner neuen CD mit Werken des französischen Hochbarocks geht er bei »Le Vertigo« nicht einfach auf volles Risiko. Mit schmetterlingsgleicher Leichtigkeit bewegt er sich über die Tasten und verwandelt sein zartbesaitetes, zweimanualiges Instrument mal eben in eine wild donnernde Furie. Wer wie Rondeau auf dem Cembalo spieltechnische Grenzen mir nichts, dir nichts aushebelt, wird zumindest in der Alten-Musik-Szene nicht mehr als geheimer Star gehandelt. Zumal er 2012 den prestigeträchtigen Cembalo-Wettbewerb in Brügge gewinnen und sich damit in die mit Christophe Rousset und Scott Ross hochrangig besetzte Siegerliste eintragen konnte.
Nun ist es nicht die Regel, dass ein führendes Großlabel einen Cembalisten mit einem Exklusivvertrag ausstattet. Doch dass Rondeau einen neuen Musiker-Typ verkörpert, der jüngere, andere CD-Käuferschichten anspricht, lässt allein sein Äußeres erkennen. Mit seiner Vorliebe für ausgefallene bis exzentrische Kleidung und Kostümierung ist er das Gegenteil der zumeist brav zugeknöpften Cembalo-Kollegen.
Darüber hinaus besitzt der in Paris geborene 25-Jährige ein zweites Standbein, das er gleichermaßen professionell pflegt. Den Jazz hat Rondeau ebenso gewissenhaft studiert wie Orgel, Klavier, Cembalo und Chordirigat. Seit einigen Jahren ist er parallel Mitglied im Barockensemble »Nevermind« wie in der Jazzband »Note Forget«, mit der er auf internationalen Festivals gastiert. Als Anerkennung gewannen sie den renommierten »Trophées du Sunside«.
Obwohl Rondeau betont, wie inspirierend Barockmusik für seine Jazzkompositionen sei, schlagen zwei Herzen in seiner Solistenbrust. Am klassischen Flügel gibt er sich als Fan des amerikanischen Jazz-Pianisten Brad Mehldau und flüchtet sich wie dieser in zumeist melancholische Improvisationen und Melodien. Wechselt Rondeau dann vom schwarzen Hochglanz-Instrument an ein Jahrhunderte altes Cembalo, kostet er die Klangfarbenpracht des Ancien Régime von Joseph-Nicolas-Pancrace Royer und Jean-Philippe Rameau aus.
Oder der von den Alte-Musik-Granden Blandine Verlet, Olivier Baumont und Kenneth Weiss ausgebildete Jungstar widmet sich, wie jetzt bei seinen Debüt-Konzerten auf zwei NRW-Festivals, Johann Sebastian Bach. Während er bei den Brühler Haydn-Festspielen mit dem Kammerorchester Basel und drei Cembalo-Konzerten von Bach gastiert, porträtiert er beim Klavier-Festival Ruhr den Bach-Clan rund um Vater Johann Sebastian. Rondeau gibt u.a. Kostproben der Bach-Söhne Wilhelm Friedemann und Carl Philipp Emanuel. Im Zentrum des Abends stehen Werke des Thomaskantors, die für Tasteninstrumente arrangiert wurden. Bei einer der berühmtesten Bearbeitungen hat Rondeau selbst Hand angelegt: Die von Johannes Brahms für linke Klavierhand eingerichtete Bach-»Chaconne« hat er auf zwei Cembalohände übertragen, um dem »Gigantischen, Überwältigenden und Großartigen seiner Musik« gerecht zu werden.
16. Juni 2016, Schloss Hohenlimburg, Hagen; 22. August, Schloss Augustusburg, Brühl