Es glitzert und funkelt ungewohnt im Ruhr Museum. Glas und Licht dominieren den Ausstellungsraum auf Ebene 12 – ganz im Kontrast zu den dunklen Maschinen und Förderbändern auf der Eingangsebene. Auch das Thema der Ausstellung »Eine Klasse für sich« scheint einen Kontrast zu bergen. Es geht um den Adel zwischen Rhein, Ruhr und Lippe. Adel im Ruhrgebiet? Ja, auch hier hat er eine lange Geschichte, wenngleich er nicht mit Königen und Prinzessinnen daherkommt. Bereits aus dem 6. Jahrhundert lassen sich Grabbeigaben wie Schmuck und Schwerter nachweisen, die auf wohlhabende Besitzer*innen schließen lassen.
Aber was ist das eigentlich – Adel? Heute eher dekoratives Klatschblatt-Accessoire. Doch über Jahrhunderte schien es gottgegeben, dass eine kleine Gruppe über viele andere bestimmte, ohne dass dies hinterfragt wurde. In der Ausstellung verdeutlicht durch das Gemälde »Die drei Stände der Christenheit«: Links der Klerus mit seinen Vertretern vom Priester bis zum Papst, rechts die weltlichen Herrscher vom Ritter bis zum Kaiser, alle in prächtigen Gewändern. Und hinten in der Mitte beackern zwei Bauern den harten Boden. Der darüber schwebende Christus legitimiert diese Ordnung, die als Bartholomäus Bruyn d.Ä. sein Bild um 1530/40 malte, längst überholt war, denn die wohlhabende Stadtbevölkerung aus Gewerbetreibenden und Kaufleuten kam nicht vor – womöglich aus Sehnsucht nach früheren Zuständen.
Auch heute ist der Umgang mit Von und Zus offenbar immer noch ein besonderer, wie das Video-Interview mit einer 82-jährigen Hausangestellten beim Grafen von Spee belegt. Auf unglaublich sympathische Art berichtet sie, wie respektvoll ihr Mann und sie von den Dienstherren behandelt wurden. Immer wurden sie mit Namen begrüßt und einmal sei der Graf sogar losgefahren, um ein Medikament aus der Apotheke für ihren Mann zu holen. Die Arbeit war mehr für sie als ein bloßer Job, das wird deutlich – und doch wundert man sich über die Erwähnung dieser Selbstverständlichkeiten.
Dabei hat man die Privilegien des Adels einst rigoros gekappt. Nachdem sie schon im 19. Jahrhundert mit politischen Umbrüchen und wachsendem Selbstbewusstsein des Bürgertums dahinschmolzen, wurden die Sonderrechte mit Ende des Ersten Weltkriegs ganz aufgehoben. In der Weimarer Republik mussten sich die Adeligen in einen demokratisch organisierten Staat eingliedern – diese neue, für sie schwierige, Situation wird in der Ausstellung durch Schriftstücke, Karikaturen und Plakate dargelegt, die allerdings nicht konkret auf das Ruhrgebiet bezogen sind.
Das Revier entdeckt hingegen, wer auf kleine Fotos blickt: Truppen aus Belgien und Frankreich besetzten 1923 das Ruhrgebiet, um die Reparationsforderungen gegenüber Deutschland durchzusetzen. Die Soldaten wurden auch in Schlössern untergebracht. Zum Beispiel im Wasserschloss Strünkede in Herne, das ausreichend große Räumlichkeiten bot und zugleich Schutz vor der ungehaltenen Bevölkerung.
Obwohl das nachfolgende nationalsozialistische Regime den »Adel der Arbeit« beschwor und den alten Adel damit abwertete, konnten sich viele der Adeligen mit dem NS-Staat durchaus arrangieren, einige machten sogar Karriere. Schon 1933 rief Fürst Adolf zu Bentheim-Tecklenburg im Deutschen Adelsblatt alle »reinblütigen Adeligen« dazu auf, der Deutschen Adelsgenossenschaft beizutreten – ein Nichtbeitritt werde als fehlende »Reinblütigkeit« gewertet. Die Deutsche Adelsgenossenschaft war allerdings nicht erst mit der Machtergreifung Hitlers antidemokratisch und antisemitisch geworden – einen »Arierparagraphen« gab es in der Satzung schon seit 1920.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs näherten sich die Biografien von Adeligen und Bürgerlichen immer mehr an. Nur wer noch über große Ländereien oder Burgen und Schlösser verfügte, konnte womöglich davon leben. Alle anderen mussten normale Berufe ergreifen. Die Schau zeigt exemplarisch Fotografien und sehr unterschiedliche Kurzbiografien von Adeligen aus dem Ruhrgebiet auf – vom Vorstandsvorsitzenden eines Bergbaukonzerns bis zum Musikwissenschaftler. Und Werbeprospekte heutiger Ländereien, Burgen und Schlösser in Privatbesitz zeigen nicht nur die erwartbaren Hotels, Restaurants und Hochzeitslocations, sondern auch ein reichhaltiges Angebot an Waldfriedhöfen.
Einst war die Rhein-Ruhr-Region eine der burgenreichsten Gegenden Europas mit über 400 Adelssitzen. Etwa 200 von ihnen gibt es heute noch, auch innerhalb der Städte des Ruhrgebietes finden sich noch viele Schlösser oder Burgruinen. Was aber den Adel ganz spezifisch im Ruhrgebiet ausmacht, wie er die Region vielleicht geprägt hat, wird in der Ausstellung nicht deutlich. Das Kapitel Wirtschaft sollte hier noch am aufschlussreichsten sein, möchte man doch wissen, ob Adelige im Bergbau mitwirkten. Ja, seit dem 17. Jahrhundert unterhielten sie Kohlegruben, ihr Waldbesitz war wichtig zur Gewinnung von Grubenholz. Aber den Steinkohleabbau und damit die wirtschaftliche Grundlage des Ruhrgebietes hätte es auch ohne adelige Prägung gegeben.
Hammelrücken und Hummer
So sind besonders in den zwölf thematisch gefassten Seitenräumen der Ausstellung Stücke zu sehen, die zwar aus der Region stammen, aber für die Welt des Adels allgemein stehen: Grabmonumente und Totentafeln dominieren den Raum über Tod und Begräbnis. Hauptsächlich anhand von Gemälden und Plänen wird die Gartengestaltung beschrieben. Möbel und Gobelins illustrieren die adelige Wohnkultur, und im Raum »Tradition und Selbstdarstellung« sind üppige, kunstvoll gestaltete Stammbäume zu sehen. Im Bereich »Feste und Musik« zieht ein nahezu lebensgroßer Wildschweinkopf die Blicke auf sich – es ist eine Terrine, in der, mit sich verfeinernden Tischsitten, das Wildschweinragout serviert wurde, statt das ganze Schwein auf dem Tisch zu drapieren. Daneben findet sich das Gesellschaftsalbum, in dem Antonie von Fürstenberg um 1900 herum Menükarten von festlichen Diners sammelte. Hier zeichnet sich ab: Hammelrücken und Hummer müssen damals ein gastronomischer Trend gewesen sein.
Im großen Mittelraum hingegen ist die Schau chronologisch gegliedert, erzählt die tausendjährige Geschichte des Adels von den Anfängen über das Mittelalter bis heute. In Unterbereichen geht es um höfische Repräsentation oder Standesbewusstsein. Die Ausstellungsstücke hier sollen abstrakte Zusammenhänge belegen. Dies setzt ein gewisses Adels-Grundwissen voraus. So werden Kirche und Adel oft gleichbedeutend erwähnt, erläutert wird dies aber nicht. Wertvolle Reliquiare und üppig geschmückte Monstranzen werden ebenso als Einzelstücke ausgestellt wie Wappenbüchlein und das Turmsiegel der Stadt Dortmund. Ein besonderes Stück stellt der Prunkharnisch des Herzogs Wilhelm V. von Jülich-Kleve-Berg aus dem 16. Jahrhundert dar. Er ist extra aus dem Kunsthistorischen Museum in Wien angereist – woraus er gefertigt ist, wird sorgfältig dargelegt – nicht jedoch, ob und wofür er verwendet wurde.
Stolz schreibt das Ruhr Museum von mehr als 800 Objekten aus rund 160 Museen, Archiven, Bibliotheken, Privatsammlungen. Und von einem Versicherungswert, der bei fast 30 Millionen Euro liege. Viele der Stücke würden hier erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Ob es jedoch so viele Exponate sein mussten? Das Konvolut wirkt unübersichtlich. Wer mehr mitnehmen möchte, als schöne oder skurrile Einzelstücke gesehen zu haben, sollte nicht nur den Audioguide hören, sondern auch den Katalog konsultieren.
Oder man freut sich an einzelnen Objekten, die oft prächtig, manchmal aber auch kurios sind wie das Fell des Löwen Simon. Egon Reichsgraf von und zu Westerholt und Gysenberg hatte die wohl ungewöhnlichste Idee zur Finanzierung seines Lebensunterhaltes: Auf dem familieneigenen Waldstück in Gelsenkirchen legte er 1968 einen Löwenpark an, den er bei Schalke 04 und mit Prominenten wie Max Schmeling und Willi Millowitsch vermarktete – und der ihm den Beinamen »Graf Löwenherz« einbrachte.
»Eine Klasse für sich. Adel an Rhein und Ruhr«
bis 31. Juli 2022