Neun Orte an der belgischen Küste, freier Blick aufs Meer, neue Perspektiven auf die Kunst – Beaufort24 lädt ein, dort Gegenwartskunst zu entdecken, wo sich sonst auch Urlaub machen lässt.
Zwei Eigenschaften vor allem braucht, wer Großausstellungen wie die Biennale in Venedig oder die documenta in Kassel bewältigen will: Spaß an der Kunst und gute Kondition. Als noch nützlicher erweist sich diese Kombination, wenn man die Beaufort-Triennale am Meer erkunden will. Hier nämlich erstreckt sich das Terrain der zeitgenössischen Kunst im öffentlichen Raum über die gesamte belgische Nordseeküste – immerhin 65 Kilometer. Rekordverdächtig, was den Radius einer Kunstausstellung angeht.
Neun Orte machen mit bei der Triennale, die bis Anfang November Werke von 18 Künstler*innen unter dem Motto »Fabric of Life« vereint. Jede der teilnehmenden Küstengemeinden präsentiert zwei Arbeiten, die eigens für diese achte Ausgabe erstellt wurden. Wer den abwechslungsreichen, weitläufigen Parcours von West nach Ost durchforschen will, startet in De Panne, am westlichsten Punkt Belgiens, nur einen Katzensprung von Frankreich entfernt. Auf ungefähr halber Strecke liegt Ostende, größtes Seebad Westflanderns. In Knokke-Heist, das nahe der niederländischen Grenze liegt, endet die Tour.
Der Küstenraum als Shuttle-Service
Unterwegs macht man außerdem Halt in Koksijde, Nieuwpoort, Middelkerke, Bredene, De Haan und Blankenberge. Klingt nach einem stressigen Programm, doch der Eindruck täuscht: Die Küstentram, die sämtliche Beaufort-Orte anfährt, bietet den perfekten Shuttle-Service. Einfach erreichen lassen sich die Beaufort24-Kunstwerke zudem über eigens ausgewiesene Wander- und Radtouren. Angesichts dieser geballten Logistik mag es scheinen, dass die Wege zur Kunst an der »Vlamsche Kust« so leicht begehbar sind wie im Museum. Was diese Triennale am Meer von anderen Sonderausstellungen unterscheidet, ist ihr Mix aus temporärer Präsentation und dauerhaftem Verbleib der Exponate: Acht Werke sind nicht an die Laufzeit von Beaufort24 gebunden. Sie bereichern dauerhaft den Skulpturenpark an der Küste, der dann 50 Werke umfasst. Was 2003 von Willy Van den Bussche, damals Direktor des Kunstmuseum aan Zee (Mu.ZEE), aus der Taufe gehoben wurde, hat sich zu einem Vorzeigebeispiel der Public Art gemausert. Auf Sand gebaut und dennoch grundsolide.
Schwerlich lässt sich eine Open-Air-Ausstellung finden, die derart vielfältige Schauplätze in sich vereint wie Beaufort. Natürlich, da sind das Meer, der Strand, die Uferpromenaden oder die Deiche – gleichsam das natürliche Reservat einer Triennale am Meer. Doch abseits der maritimen Kulisse lassen sich weitere Entdeckungen machen. Häfen, Dorfzentren, Märkte, Straßen und Plätze, Felder oder Parks – all diese Tatorte der Kunst gehören zum Beaufort24-Programm. Eingeladen hat die Kuratorin Els Wuyts sowohl international renommierte Künstler*innen wie Alexandra Bircken, Richard Deacon oder Monika Sosnowska, aber auch Kunstschaffende, die vornehmlich in Belgien bekannt sind.
Aktfigur mit Hering
Ein besonders eindrucksvolles Beispiel für Gegenwartskunst mit Blick aufs Meer findet sich am Strand von Sint-André in Koksijde. Hier zieht Johan Cretens Monumentalskulptur »The Herring« die Blicke auf sich. Die bronzene Aktfigur hält einen Fisch wie ein Wappenschild vor sich – eine Anspielung auf den legendären Heringswinter 1942/43, als sich die Fische, die in riesigen Mengen an die belgische Küste gespült wurden, mit bloßen Händen einfangen ließen.
Ebenfalls am Strand von Koksijde hat der Argentinier Jorge Macchi eine Betonkonstruktion errichtet, die einer Computer-Tastatur mit ausgestanzten Tasten nachempfunden ist. »All the words in the world« rahmt den Blick auf die Nordsee und erinnert daran, dass sich mit einem begrenzten Vorrat an Tasten buchstäblich sämtliche Wörter der Welt hervorbringen lassen. Sprache als Thema der Kunst steckt auch in der Stahlplastik »Lost For Words«, die Driton Selmani aus dem Kosovo am Dünenweg in Blankenberge installiert hat.
Am weitesten ins Wasser wagte sich Ivan Morison – sein »Star of the Sea« am Strand von Zeebrugge macht den Wechsel von Ebbe und Flut zum Teil des Kunsterlebnisses. Wer in die Röhren der Betonkonstruktion klettern will, sollte den Gezeitenwechsel im Blickpunkt behalten. Andernfalls kann es passieren, dass man sich auf dem Rückweg mindestens nasse Füße holt. Mit seinem Seestern, einem Mittelding aus Sandburg und Bunker, das als Gemeinschaftsprojekt von Beaufort24 und der parallellaufenden Triennale Brügge entstanden ist, bezieht sich der in Großbritannien lebende türkische Künstler auf die Befestigungsanlagen an der belgischen Küste. Noch heute zeugen sie davon, dass sich dieser idyllische Landstrich im Ersten und Zweiten Weltkrieg in ein mörderisches Inferno verwandelte.
Kein Meer in Sicht
Indirekt auf das Meer verweist Filip Vervaet mit seinem zwölfeckigen Brunnen »Staging Sea« vor der ehemaligen Kirche Sint-Pieterskerk in De Panne. Hier ist die Nordsee unseren Blicken entzogen. Doch bildet die Höhe der von blaugrünen Glaswänden eingefassten Fontäne den Gezeitenunterschied an der belgischen Küste ab; er beträgt rund fünf Meter. Kein Meer in Sicht ist auch bei der Turnstunde, die Alexandra Bircken vor und auf dem Koning-Albert I-Monument in Nieuwpoort inszeniert hat. Im Ersten Weltkrieg kämpfte der belgische König als Kommandeur der Heeresgruppe Flandern gegen die übermächtige deutsche Besatzung. Zum Dank dafür wurde dem Monarchen ein Ehrenmal mit Reiterstatue gewidmet. Dessen gravitätisches Erscheinungsbild bürstet die deutsche Künstlerin mit zwei munteren Turnerinnen aus Aluminium gegen den Strich. Modell stand ihr die eigene Tochter.
Kunst als Dienstleistung, als Möglichkeit, bei der Beaufort-Tour eine Pause einzulegen, auch das kommt nicht zu kurz. Am Strand von De Haan hat Pei-Hsuan Wang, eine in Gent lebende taiwanesische Künstlerin, eine Bank durch zwei exotische Bronzefiguren eingerahmt und auf diese Weise hervorgehoben. In Blankenberge platzierte der Franzose Romain Weintzem zwei seiner Sitzrondells, deren geschwungene Formen an den Jugendstil erinnern.
Derweil stellte die Spanierin Selva Aparicio an einem Wanderweg in Nieuwpoort eine Bank auf, die von einem ganz besonderen Windschutz eingefasst wird: Er besteht aus 4.400 Bronzeplättchen mit Abgüssen von Handinnenseiten; sie stammen von den Bewohner*innen des an der Mündung der Yser gelegenen Badeortes. Wer hier Pause macht, wird automatisch Teil der Gemeinschaft von Nieuwpoort. Zur Rast animiert auch ein eleganter Pavillon, den Lucy + Jorge Orta im Normandpark von Middelkerke-Westende errichtet haben. Bekrönt wird »Gazing Ball: Reflective Dialogues« durch eine verspiegelte Kugel – eine Hommage an Radio Oostende, das einst mit einer seiner Stationen in der Nähe des idyllischen Parks vertreten war.
Ein Denkmal für den Plastikstuhl
Bei ihrer Recherche vor Ort beschränkten sich die Teilnehmer*innen von Beaufort24 nicht auf die Schokoladenseiten der belgischen Küste. Sara Bjarlands Bronzeskulptur »Monobloc Moments« besetzt einen Ort, der in touristischer Hinsicht eher als No-Go-Area zu bezeichnen ist. Die frisch bepflanzte Insel eines unwirtlichen Kreisverkehrs in De Haan hat die in Amsterdam lebende Finnin zum Skulpturenareal umgewidmet. Dort erhebt sich nun ein sechs Meter hoher, wacklig wirkender Turm, zusammengesetzt aus jenen Plastikstapelstühlen, die als Monoblocs in den 1970ern einen weltweiten Siegeszug im Reich des Massendesigns antraten.
Dem Kunststoffmöbel begegnet man beinahe überall – auch und gerade im Außenbereich von Cafés oder Restaurants am Strand. Sind Sara Bjarlands »Monobloc Moments« als Kritik an der Konsumgesellschaft zu verstehen? Oder, im Gegenteil, als Apotheose jener Gegenstände, die für nichtig erachtet und bei erstbester Gelegenheit weggeworfen werden? Vielleicht stimmt beides. »Fabric of Life«, das Gewebe des Lebens, ist weitgestrickt und lässt reichlich Raum für verschiedene Sichtweisen auf die Kunst und auf das Leben.
»FABRIC OF LIFE«, BEAUFORT24 – TRIENNALE AM MEER, BIS 3. NOVEMBER