»Wer seine Wunde zeigt, wird geheilt, wer sie verbirgt, wird nicht geheilt.« So stand es an der Wand der Duisburger Gebläsehalle, als Christoph Schlingensief dort 2008 seine theatrale Messe und Austreibung der Dämonen, »Eine Kirche der Angst – vor dem Fremden in mir«, zelebrierte. Da war Schlingensief, der 2004 im Heiligtum Bayreuth das Weihefestspiel »Parsifal« inszeniert hatte, schon selbst zum sagenhaften Amfortas geworden, der seine Wunde herzeigt – als erlösende Spende an uns alle.
Christoph Maria Schlingensief, der katholische Apothekersohn aus Oberhausen, zwei Jahre vor Ausrufung des »Oberhausener Manifests« geboren, wäre am 24. Oktober 50 Jahre alt geworden. Er starb am 21. August, dem Tag, da seine Produktion »S.M.A.S.H.« bei der Ruhrtriennale in Mülheim an der Ruhr hätte Premiere haben sollen, wo er in den achtziger Jahren seine Assistenzzeit bei dem Filmemacher Werner Nekes absolviert hatte. In Mülheim befand sich damals auch das von den Künstlern selbst verwaltete NRW-Filmbüro, das seine ersten Arbeiten gefördert hatte, darunter das Spielfilmdebüt »Tunguska, die Kisten sind da« von 1983/84.
Schlingensief kam immer wieder zurück in die Heimat, wo auch seine frühen Trash-Filme entstanden waren. Bei den Ruhrfestspielen veranstaltete er, der gleichzeitig größte Wagnerianer und Anti-Wagnerianer seit Nietzsche, eine »Wagner-Rallye«; beim Festival »Theater der Welt« bannte er mit einer Art Voodoo-Zauber den bösen Geist des Jürgen Möllemann; zuletzt, im März diesen Jahres, nahm er in Düsseldorf den Helmut-Käutner-Preis der Landeshauptstadt entgegen. Der afrikanischste Deutsche, netteste Anarchist, dem die Paranoia auf der Schulter hockte wie ein Haustier, christliche Schamane, Medien-Artist, Partisan gegen die vielen faulen sozialen Frieden, Stiefkind von Fassbinder und Pasolini, des Chaos wunderlicher Sohn vor und hinter der Kamera, auf Bühnen und Podien von Berlin, Hamburg, Wien und Venedig bis Manaus und Burkina Faso, stets tapfer Auge in Auge mit der Angst, ist seinem Krebsleiden erlegen. Tschüss, Christoph. | AWI