Jeden Januar aufs Neue ist das wieder überraschend, wie das Jazzfestival Münster vor ausverkauften Rängen stattfindet – obwohl kaum jemand unter den Anwesenden die auftretenden Künstler*innen kennt. Auch die Kurzausgabe »Shortcut« spannte mit drei Konzerten einen weiten und ungemein spannenden stilistischen Bogen.
Herz und Hirn des Festivals, das jetzt ins 45. Jahr gegangen ist, ist seit langem Fritz Schmücker, der es immer wieder schafft, Deutschlandpremieren oder sogar Uraufführungen nach Münster zu bringen. Als erstes stand so als Deutschlandpremiere ein Trio um die italienische Geigerin Anaïs Drago auf der Bühne, das allein vom Instrumenten-Einsatz her das klassische Verständnis einer Jazz-Gruppe aufsprengte: Neben der Bandleaderin an Violine und Elektronik, die selbst in Fachkreisen hierzulande kaum bekannt ist, musizierten ein Klarinettist und ein Schlagzeuger. Das klang mal nach neuer Kammermusik, mal nach Klang-Experiment und mal nach ungeheurem Groove-Monster. Die ersten Jubelrufe des Abends schallten durch den Saal.
Eine echte Uraufführung war der Auftritt des Quartetts Alchemia Ocean, dessen Gründung Fritz Schmücker angeregt hatte, und das wohl tatsächlich erst einen Tag vorher zu Proben zusammenkam. Auch hier sorgte eine extrem ungewöhnliche Besetzung für außergewöhnliche Klangeindrücke zwischen östlicher und westlicher Musiktradition: Franzose Michel Godard spielte eine Art historische Tuba – die Serpent, die Griechin Sofia Labropoulou die Kastenzither Kanun, Österreicher Matthias Loibner zeigte, wie ungemein wandelbar die Drehleier sein kann, und der Schweizer Lucas Niggli, den das Münsteraner Publikum schon gut kennt, überzeugte einmal mehr als mitreißender Schlagzeuger.
Bis nachts um viertel vor zehn waren bei diesem Jazzfestival also weder ein Klavier noch ein Saxophon zu hören. Der Reflex zum Zwischenapplaus für klassische Soli juckte einigen Besucher*innen sicher schon in den Fingern. Doch auch da hatte der Programm-Macher natürlich vorgesorgt: Das Oktett um die britische Pianistin Zoe Rahman am großen Flügel schloss nahtlos an die großen Zeiten von Bebop, Modern Jazz und sogar Big-Band-Sound an – in der Bläsersektion spielten sogar zwei Saxophone. Zwischen ihren Eigenkompositionen vom Album »Colour of Sound« und der Zugabe, einer Interpretation von Duke Ellingtons »Blue Pepper (Far East of the Blues)« bestand also durchaus Verwandtschaft. Zum gemeinsamen Selfie der Band mit Publikum gab es sogar Standing Ovations.