Das Jazzfestival New Colours in Gelsenkirchen, Dorsten und Marl bringt Farbe ins Alltagsgrau.
Die Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie mal war. Dieses asbachuralte Lamento erfreut sich in der krisengeschüttelten Gegenwart besonderer Beliebtheit. Da tut es gut, wenn jemand mit einer aufmunternden Prognose daherkommt. Beispielsweise über die Zukunft des Jazz. Vor 25 Jahren wurde die Band De-Phazz gegründet, um die »Destination Future Jazz» auszukundschaften. Der vorwärtsgewandte Name ist Programm – die deutsche Kultband der Lounge-Musik hat sich nicht auf ihren Lorbeeren (respektive Hits wie »Mambo Craze» oder »No Jive») ausgeruht, sondern wegweisende Beiträge zur Zukunft des Jazz geleistet. Beim zweiten New Colours Festival, das vom 7. bis 10. September in Gelsenkirchen, Dorsten und Marl über die Bühne geht, sind De-Phazz mit von der Partie. Gemeinsam mit den Sänger*innen Pat Appleton und Karl Frierson geben sie in Gelsenkirchens Heilig-Kreuz-Kirche ein Jubiläumskonzert.
Einer von 16 Acts, mit denen Susanne Pohlen und Bernd Zimmermann, die Leiter*innen des Jazzfestivals, in diesem Jahr aufwarten. Vielfalt haben sich die beiden Macher*innen des Ausrichters PublicJazz events auf die Fahne geschrieben: 52 Musiker*innen aus 16 Nationen sind dabei. Und neben die Spielorte in Gelsenkirchen – darunter der Nordsternturm, Schloss Horst, die Kaue und das Musiktheater im Revier – treten als Außenposten die Scharounschule in Marl und »Das Leo» in Dorsten.
Mit ihrem Festival wollen Pohlen und Zimmermann dem Krisenmodus durch aufmunternde Töne begegnen: »Was wir brauchen – vor allem in ‚schlechten‘ Zeiten –, ist kreative und inspirierende Musik.» Und: »Livekonzerte sind emotionale Kraftquellen.» Wer wollte da widersprechen? Mit fünf Deutschlandpremieren und einer Reihe von Neuentdeckungen bringt New Colours Farbe ins Alltagsgrau. Ein besonderes Augenmerk richtet das Festival auf die Szene in Benelux – eingeladen wurden beispielsweise die Luxemburger Band Klein (Kopf der Gruppe ist der Pianist Jerome Klein) sowie Dishwasher aus Brüssel. Spanien spielt ebenfalls eine prominente Rolle bei New Colours: Der Pianist Daniel García, der am 9. September mit seinem Trio in Schloss Horst auftritt, versteht sein Konzert als Hommage an den Flamenco – immerhin seit 2010 Teil des »Immateriellen Kulturerbes» der UNESCO, also definitiv einer musikalischen Symbiose wert. »Flamenco und Jazz sind Geschwister», sagt Daniel García. Sein New-Colours-Auftritt soll die These bestätigen.
Exzentrische Instrumente
Beim Auftaktkonzert in der Kaue demonstriert Nguyên Lê mit seinem Trio, dass Jazz eine Weltsprache ist. Bekannt ist der französische Gitarrist vietnamesischer Herkunft für sein Crossover von ethnischer Musik und Jazz. Am Tag darauf überraschen Matthias Loibner und Lucas Niggli im Nordsternturm mit einem unorthodoxen Instrument: Die »Hurdy Gurdy» ist unter dem Begriff Drehleier besser bekannt. Wenn Loibner, der Wiener Musiker und Komponist, dieses Instrument aus dem Mittelalter mit Gegenwartsmusik kompatibel macht und sein Partner, der Schweizer Schlagzeuger Lucas Niggli, die rotierende Scheibe mit dem passenden Rhythmus auf Turbospeed hochjazzt, geht mutmaßlich die Post ab.
Stichwort »exzentrische Instrumente»: Eine Orgel würde man eher nicht mit einem Jazzfestival in Verbindung bringen. Der Brite Kit Downes tritt an, um uns eines Besseren zu belehren. In der Matthäuskirche spielt Downes am 10. September auf der von Karl Schuke erbauten Orgel. Von Orgelpfeifen, Manualen und Pedalen zum Kontrabass: Lisa Hoppe, die Berliner Bassistin, ist mit ihrem deutsch-israelisch-schweizerischen Ensemble »YSOP» am 9. September zu Gast im Musiktheater im Revier. Ebenso ungewöhnlich wie die Besetzung – Gesang, Violine, Posaune, Piano und Kontrabass – ist die Allianz aus tiefen Frequenzen und Obertönen, wie sie typisch ist für Lisa Hoppe. In ihrer Musik geht es um Verlust, Verletzungen und Krisen. Mehr noch: »Ein Körper auf einer Bühne ist ein politisches Statement», sagt Hoppe und verweist darauf, dass sie ihre Musik nicht zuletzt als gesellschaftliche Mission versteht.
Das New Colours Festival spricht ein bunt gemischtes Publikum an. Auch Kinder kommen hier auf ihre Kosten, wenn der österreichische Musiker Christoph Pepe Auer am 9. September im Kunstmuseum Gelsenkirchen auftritt. Blick- und Hörfang auf der Bühne ist das sogenannte Pepephon – das Instrument hat entfernte Ähnlichkeit mit einem Murmelspiel und ist auch sonst für manche Überraschung gut. Mit an Bord bei »Pepe & Speedy« sein Landsmann, der Gitarrist Manfred »Speedy» Temmel. Die Klangerkundung für Kinder verheißt eine »vergnügliche Reise rund um Gitarre, Saxophon» und – nicht zu vergessen – Pepephon.
New Colours Festival
Gelsenkirchen, Dorsten und Marl
7. bis 10. September