Der Jazzpianist Brad Mehldau bestreitet einen Solo-Abend in der Philharmonie Essen und verbindet dabei Klassik, Pop und Jazz.
Brad Mehldaus Klavier-Solo-Konzert in der Philharmonie Essen ist schlicht mit »Jazz« überschrieben – aber das ist nicht die ganze Wahrheit. Mit seinen aktuellen Alben entdeckt er auch die Welt der Klassik neu. Sie heißen »After Bach II« und »Après Fauré« und so wundert es nicht, dass der Pianist schon mit seinem zweiten Stück ins klassisch-romantische Repertoire einsteigt und eine frühe Nocturne von Gabriel Fauré spielt.
Der 54-Jährige hat sich schon Ende der 1990er-Jahre, als sein erstes Soloalbum erschien, dazu bekannt, dass er viel Inspiration aus der europäischen Romantik schöpft. Davor hatte er das Repertoire des klassischen Jazz-Trios aus Klavier, Bass und Schlagzeug neu definiert, indem er nicht nur American Standards für Improvisationen und Neu-Interpretationen heranzog, sondern auch Popsongs. Wenn er jetzt also allein am Flügel sitzt, muss man im Prinzip auf alles gefasst sein: Ein Nocturne fließt in eine darauf antwortende eigene Komposition: »Après Fauré«. Plötzlich scheint eine bekannte Melodielinie auf – sind das nicht die Beatles? Ja, es ist »Lucy In The Sky With Diamonds«, variiert, umspielt, umgeformt als Verbeugung und Hommage, aber auch eine Demonstration, dass aus allen Materialien Jazz werden kann.
Wie im Wohnzimmer
Brad Mehldau ist keiner, der überbordende Virtuosität ausstellen würde, er ist kein Hoch-Energie-Spieler. Wenn er am großen Flügel in der fast ausverkauften Philharmonie sitzt, dann zieht er irgendwann die Schuhe aus, weil er zuhause in Amsterdam oder New York die Pedale ja auch nicht anders benutzt und sie ihm wie ein Fremdkörper erscheinen. Den großen Raum macht er durch diese kleine Geste intimer, wie ein Wohnzimmer. Man hat das Gefühl, dass man ihm ungewöhnlich nah kommt, durch seine impressionistisch-introspektive Musik direkt in seine Seele blicken kann.
Eine zartfühlende, zu Melancholie fähige Seele muss das sein – und so passt es gut, dass er am Abend ankündigt, bald ein Album mit Interpretationen von Songs Elliott Smith‘ zu veröffentlichen. Smith war ein depressiver, auch alkohol- und drogensüchtiger Typ, der Anfang der Nuller-Jahre früh verstarb und nur fünf Alben hinterließ mit zerbrechlich-schönen Songs. Es ist wunderschön, wie zwei dieser Songs unter Brad Mehldaus Händen in einen neuen, ganz eigenen Fluss gelangen. Aber es ist noch schöner, wenn der Jazzpianist eigene Kompositionen wie »August Ending« spielt. Vielleicht sollte er ihnen in Zukunft noch mehr vertrauen.