…ist, dass mein Orchester und ich zurzeit in Monheim leben können. Wir alle sind bei den Kulturwerken unter Vertrag. Zugleich arbeiten wir als unabhängiges Kollektiv mit eigenem Management. Es gibt Pläne, unsere Verträge für bis zu drei Jahre zu verlängern, was auch auf Vorhaben für das kulturelle Leben hier hindeutet. Der Plan, eine große neue Konzerthalle in der Stadt zu bauen, wird Monheims Platz auf der kulturellen Landkarte stärken.
Für mich ist es eine neue Art von Stadt, da ich bislang in Großstädten wie Kharkiv, Kyiv und Berlin gelebt habe. Jetzt entdecke ich Nordrhein-Westfalen. Es ist ein besonderer Spirit, weil man alles an jedem Punkt dieses Landes finden und machen kann. Das gibt mir das Gefühl, in einer sehr großen Stadt zu leben. Da sind so viele Namen, kleine Gemeinden und gepflegte lokale Identitäten.
Ich habe Erfahrung mit Tourneen – meist hat man ein Konzert und reist 300 Kilometer zum nächsten Ort. In NRW aber kann man 50 Prozent einer Europa-Tournee allein in dieser Gegend abdecken. In diesem Kontext nehme ich Monheim als kleine Stadt mit Ambitionen für die Zukunft wahr. Jeder kennt Spätis in Berlin, aber niemand weiß, dass es sie auch in Monheim gibt. Gleiches gilt für das Konzertleben: Wir hatten ein Konzert mit Musik aus Filmen hier, Melodien, die jeder kennt – und später sah ich das gleiche Line-up in Berlin. Wir hatten auch ein Picknick-Konzert für die gesamte Stadt auf einer Wiese. Oder ein riesiges Sommerfestival, wie eine Party für alle Bürger. So etwas findet man vielleicht nicht so ganzheitlich in größeren Städten. Hier funktioniert es sehr gut.
Die Idee des Kyiv Symphony Orchestra ist, die ukrainische Kultur auf der Bühne zu repräsentieren. Natürlich ist ein Teil des kulturellen Lebens mit Politik verbunden. Aber da geht es mehr um Arbeitsbedingungen und Zukunftsperspektiven, nicht um Fragen des Repertoires. Ich habe das Gefühl, dass die Menschen in Deutschland wirklich interessiert und offen sind, neue Musik trotz aller Politik zu entdecken. Deswegen denke ich in Deutschland nie, Standards spielen zu müssen. Nein, ich versuche immer etwas Neues und Interessantes ergänzend zu finden, etwa ein Programm, das ukrainische und türkische Musik moderner Komponisten kombiniert. Die Entdeckung ukrainischer Musik im Einklang mit anderen europäischen Komponisten ist sehr bereichernd.
Jeder versucht, hilfreich zu sein
Wir repräsentieren unsere Kultur im Kontext europäischer Musik und klassischer Geschichte. Es gibt viele Verbindungen zwischen der Ukraine und Deutschland: Diverse ukrainische Komponisten haben hier studiert, hatten lebenslang Kontakte hierher. Ich schreibe an einer Doktorarbeit über ukrainische Cello-Repertoires an der Universität von Kharkiv und habe dafür etwa eine Biographie von Sergii Bortkiewicz gelesen, der an vielen Orten Europas gelebt hat. Besonders in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben viele ukrainische Komponisten Jahre in anderen Ländern verbracht. Wenn wir unsere Situation jetzt betrachten, könnte man sagen, dass die Geschichte sich wiederholt, wenn auch aus anderen Gründen. Vor der großangelegten Invasion hatte ich zwei Jobs in Kharkiv: Ich habe in einem Orchester gespielt und war Dozent an der Universität. Jegliche akademische Ausbildung findet nun online statt, weil die Stadt konstant unter Beschuss steht. Es gibt drei sichere Untergrund-Schulen und weitere werden gebaut, aber die russische Grenze ist zu nah, um in anderen Kontexten sichere Bildung zu gewährleisten.
Ich werde manchmal gefragt, wie ich über den Krieg denke, wo ich doch nun lange Zeit nicht in meinem Heimatland bin. Aber ich verstehe sehr gut, was vor sich geht. In den ersten Kriegsmonaten habe ich ein Projekt begonnen: Ich habe in Ruinen und ausgebombten Orten Kharkivs gespielt, um Spenden für den Wiederaufbau und humanitäre Hilfe zu sammeln. Die Musik habe ich in meinem Herzen gehört, als ich die zerstörten Orte sah: Die Cello Suite Nr. 5 c-Moll BWV 1011 von Johann Sebastian Bach, die mit dem Leben Christi im Neuen Testament verknüpft ist. Ich hoffe, diese Musik wieder zu spielen, als Auferstehung, wenn die Orte wiederhergestellt sind. Mein erstes Video wurde von dem bekannten Cellisten Yo-Yo Ma geteilt und plötzlich gab es sehr viel Aufmerksamkeit dafür. Aber zu der Zeit waren wir an der Front und unser Verständnis vom Leben änderte sich. Ich hatte daher keine großen Emotionen dazu, sondern versuchte zu überleben und als Freiwilliger zu helfen. Aber ich bin froh, dass wir nun diesen Weg gefunden haben, als Künstler etwas zu tun.
Bis heute bin ich in Kontakt mit Freunden, die in Kharkiv leben. Ich beginne meinen Tag mit Nachrichten und Telefonaten, bleibe verbunden und versuche, alles für unsere Heimat zu tun, unsere Kultur und Verbindung zu Europa. Jeder von uns versucht, hilfreich zu sein. Das geht auch ohne Waffen, als Musiker, mit Spenden. Unsere Kultur zu entwickeln und zu teilen ist auch sehr wichtig für unser Land. In harten Zeiten sind unsere Verbindungen und unser gegenseitiges Verstehen das Wichtigste.
Aufgezeichnet von Melanie Schippling
Name: Denys Karachevtsev
Alter: 32
Beruf: Stimmführer Cello des Kyiv Symphony Orchestra
Wohnort: Monheim am Rhein
Am 24. Februar jährt sich der Angriff Russlands auf die Ukraine zum dritten Mal. Seit Sommer 2024 lebt das Kyiv Symphony Orchestra in Monheim. Es war auf Auslandstournee, als der Krieg begann. Nun hat die Kleinstadt am Rhein die 73 Musiker*innen und ihr Begleitpersonal bei sich aufgenommen – sie dürfen zunächst die nächsten drei Jahre bleiben und in Häusern der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Monheimer Wohnen GmbH leben. Zu ihnen gehört der Cellist Denys Karachevtsev, der vor zwei Spielzeiten zum Orchester stieß, vor dem Krieg in Kharkiv lebte und das kulturelle Erbe der Ukraine bewahren und zeigen will.