Bei der Art Cologne wird der rote Teppich für Charlotte Zander ausgerollt: Eine Sonderausstellung des ZADIK würdigte die Sammlerin, Galeristin und Museumsgründerin als engagierte Fürsprecherin der Outsider Art.
Vom 6. bis 9. November lockt die 58. Ausgabe der Art Cologne rund 165 Galerien und Händler*innen aus 25 Ländern an den Rhein. Alphabetisch gesehen, reicht das heterogene Spektrum der Messe in diesem Jahr von 10 A.M. ART aus Mailand bis zur Galerie Zink, die ihren Sitz in Seubersdorf in der Oberpfalz hat. Moderne und zeitgenössische Kunst sind wie gewohnt über drei Marktplätze verteilt – »Galleries« (versammelt etablierte Galerien und Platzhirsche auf dem Kölner Messeparkett), »Neumarkt« (Galerien, die nicht älter als 13 Jahre sind) und »Collaborations« (Gemeinschaftsprojekte). Derweil finden Design und angewandte Kunst eine Nische im Sektor »Art + Object«.
Wenn der Satz stimmt, dass Sonderausstellungen das Salz in der Messesuppe sind, dann dürfte das Publikum, das in die Hallen 10 und 11 strömt, besonders neugierig sein auf das, was sich am Stand des ZADIK tut. Das Zentralarchiv für deutsche und internationale Kunstmarktforschung (so der vollständige Name) eröffnet bereits am 10. Oktober in seinem Domizil im Mediapark eine materialreiche Ausstellung über Charlotte Zander (1930-2014). Als Sammlerin, Galeristin und Museumsgründerin hat sie sich mit Herzblut und immenser Expertise für die sogenannte Naive Kunst eingesetzt. Also für Künstler*innen, die keine akademische Ausbildung durchlaufen haben; für jene, die als Zöllner, Putzfrau, Gärtner oder Postbeamter die Leidenschaft für die Kunst befiel.

In veränderter Form zeigt das ZADIK seine Hommage an die Grande Dame der Naiven Kunst auf der Art Cologne (Halle 11.1, Stand D-19). Nadine Oberste-Hetbleck, die Leiterin des Archivs, rekapituliert dort mit zahlreichen Dokumenten und Kunstwerken das ereignisreiche Leben Charlotte Zanders und fragt: »Wie ging sie vor, um den von ihr geschätzten künstlerischen Positionen Sichtbarkeit zu verschaffen? Wie funktionierte ihr Netzwerk mit Künstlerinnen und weiteren Akteurinnen des Kunstbetriebs?«
Eine hochverdiente Würdigung, die an diesem Ort besonderen Sinn macht. Schließlich war Zander, die von 1971 bis 1995 in München die »Charlotte Galerie für Naive Kunst« betrieb (seit 1987 unter dem Namen »Charlotte Galerie für Naive Kunst und Art Brut«), selbst Teilnehmerin der Kölner Messe. 1997 wurde sie wegen ihres nachhaltigen Engagements für die unorthodoxe Kunstrichtung mit dem Art-Cologne-Preis geehrt. In diesem Jahr geht die mit 10.000 Euro dotierte Auszeichnung, verliehen von der Koelnmesse und dem Bundesverband Deutscher Galerien und Kunsthändler (BVDG), übrigens an die Galeristin Andrée Sfeir-Semler; mit ihren Niederlassungen in Hamburg und Beirut baut sie seit Jahrzehnten eine Brücke zwischen der Gegenwartskunst des Westens und des Nahen Ostens (Preisverleihung am 7. November im Historischen Rathaus zu Köln).
Eine Brückenbauerin war auch Charlotte Zander. Ihr Anliegen: jenen Sonderlingen und Eigenbrötlern, die im Kunstbetrieb – und oft auch in der Gesellschaft – eine Außenseiterposition einnehmen, einen prominenteren Platz inmitten der Kunsthierarchie zu sichern. In gewisser Weise führte sie damit fort, was schon viele Künstler*innen der Moderne umgetrieben hatte: Auf der Suche nach ursprünglichen Bildwelten ließen sie sich im frühen 20. Jahrhundert inspirieren von außereuropäischen Kunstwerken, der Malerei von Kindern, psychisch Kranken oder den Hervorbringungen von Autodidakten. Dienten diese kreativen Zeugnisse in der Moderne jedoch meist als Mittel zum Zweck, so billigte Charlotte Zander der Naiven Kunst von Beginn an autonomes Existenzrecht zu.
Offener Blick für die Kunst
1930 als Tochter eines Seifenfabrikanten in Krefeld geboren, begeisterte sie sich schon früh für Kunstschaffende, die der offizielle Betrieb in der Regel belächelt – oder ignoriert. »Meine Mutter«, erinnert sich Susanne Zander, Galeristin in Köln, »begann Anfang der 1960er Werke der damals sogenannten ›Naiven Kunst‹ zu sammeln. Die Nähe zur Volkskunst und den Votivgaben, die sie in den Bildern erkannte und die sie schon als junge Frau sammelte, sprach sie an. Und obwohl meine Eltern auch die Werke zeitgenössischer Künstler*innen sammelten, konnte sie ihren Blick für die Kunst öffnen, die nicht dem westlichen Kanon entsprach.«
Zunächst erwarb Charlotte Zander Naive Kunst aus dem damaligen Jugoslawien. Später erweiterte sie das Profil ihrer Sammlung um die sogenannten »Maler des heiligen Herzens« (eine Bezeichnung des Kunsthistorikers Wilhelm Uhde), darunter André Bauchant, Séraphine Louis und Henri Rousseau.
Schon damals fiel Charlotte Zander nicht nur wegen ihrer Vorliebe für Naive Kunst auf, sondern auch wegen ihrer eleganten Erscheinung. 1963 begleitete sie ihren Mann, den Gynäkologen Josef Zander, zu einem Ärzte-Kongress nach Marseille – vor allem ihr leuchtend roter Hut zog im Vortragssaal die Blicke der versammelten Endokrinologen auf sich. Bei dem Kongress entstand ein Foto, das Gerhard Richter zwei Jahre später als Vorlage für eines seiner typischen Schwarzweiß-Porträts verwendete. Zwar ist das »Portrait Prof. Zander«, das 2000 bei Christie’s für knapp fünf Millionen Dollar versteigert wurde, nun nicht Teil der ZADIK-Ausstellung, wohl aber der rote Hut.
Nachdem Charlotte Zander ihre Tätigkeit als Galeristin 1995 beendet hatte, war ihr Tatendrang noch lange nicht gestillt. Im Gegenteil: Jetzt gab sie erst recht Vollgas und suchte nach einem musealen Domizil für ihre Sammlung, die inzwischen rund 4500 Arbeiten umfasste. Fündig wurde sie in der Provinz. Genauer: in Bönnigheim bei Ludwigsburg in Baden-Württemberg. Von der Stadt mietete sie das dortige spätbarocke Schloss für einen Zeitraum von 15 Jahren und machte daraus ein öffentlich zugängliches Zentrum der Naiven Kunst. Knapp 40 Ausstellungen hat sie dort präsentiert. Werke von Camille Bombois, Morris Hirshfield, Adalbert Trillhaase, Louis Vivin oder Alfred Wallis waren hier zu sehen, Klassiker des Genres wie Adolf Wölfli, Madge Gill und Carlo Zinelli oder die Künstlerinnen aus Gugging.
Schenkung an das ZADIK
Seit 2020 gehört das Museum Charlotte Zander in Bönnigheim der Geschichte an. Glücklicherweise hat die Tochter Susanne Zander den Staffelstab übernommen. Seit dem vergangenen Herbst macht die Kölner Galeristin Teile der Sammlung in Räumen an der Jülicher Straße zugänglich. Dort zeigt sie zudem Sonderausstellungen – gerade waren Bilder des serbischen Malers Emerik Feješ (1904-1969) zu sehen. Charlotte Zanders Spezialbibliothek zum Themenfeld der Sammlung hat sie im vergangenen Jahr der Kunst- und Museumsbibliothek Köln (KMB) gespendet. Das Archiv der Mutter, das Auskunft gibt über ihren weitgespannten Radius als Sammlerin, Galeristin und Museumsgründerin, ging als Schenkung an das ZADIK. Dort wird es für die Kunstmarkt-Forschung erschlossen.
Weil die Sammlung Zander bei der Art Cologne im merkantilen Kontext ausgestellt wird, liegt die Frage nahe, welche Rolle die Naive Kunst derzeit auf dem Kunstmarkt spielt. Susanne Zander weiß von einer Trendwende zu berichten: »Einige Künstler*innen aus der Sammlung Zander wie Séraphine Louis, Henri Rousseau und Morris Hirshfield erzielen auf Auktionen oder in Galerien sehr hohe Preise. Das kann auch mal schnell in die Millionen gehen. Viele Künstler*innen wurden aber über Jahrzehnte hinweg kaum gezeigt und sind heute fast vergessen. Das ändert sich gerade: So zeigen zum Beispiel internationale Kurator*innen wie Adriano Pedrosa oder Cecilia Alemani die Werke von Autodidakt*innen auf Biennalen ganz selbstverständlich neben den Bildern akademischer Künstler*innen – und das mit der Überzeugung, dass Diversität unsere Gesellschaft reicher macht.«
Dass das Terrain der Naiven Kunst längst nicht erschöpfend sondiert ist, will Susanne Zander mit der nächsten Ausstellung im Projektraum der Sammlung Zander demonstrieren. Dabei geht es um die Beziehung zwischen dem französischen Maler André Bauchant (1873-1958) und dem Architekten Le Corbusier (1887-1965). Dass der rigide Zuchtmeister des modernen Städtebaus ausgerechnet für die kindlich-unbefangene Bildsprache von Bauchant schwärmte und dessen Werke sammelte, hätte man wahrlich nicht gedacht. Es gibt eben auch aus kunsthistorischer Warte mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als unsere Schulweisheit sich träumen lässt.
»CHARLOTTE ZANDER: SAMMLERIN, GALERISTIN, MUSEUMSGRÜNDERIN«,
ZADIK | ZENTRALARCHIV FÜR DEUTSCHE UND INTERNATIONALE
KUNSTMARKTFORSCHUNG, KÖLN
BIS 25. SEPTEMBER 2026
IN VERÄNDERTER FORM WIRD DIE AUSSTELLUNG VOM 6. BIS 9. NOVEMBER
AUF DER ART COLOGNE GEZEIGT (HALLE 11.1, STAND D-19).
ALS BEGLEITPUBLIKATION ERSCHEINT IM HERBST 2026 DIE AUSGABE 35 DER
ZADIK-PUBLIKATION »SEDIMENT«.
 
			


 
			 
			 
			 
			 
			 
			 
			 
			 
			 
			