Pina Bauschs »Kontakthof« wird in Wuppertal neu aufgelegt – auf ungewöhnliche Art. Denn Archivmaterial sorgt dafür, dass die Tänzer*innen von einst ihren jüngeren Ichs begegnen.
Pina Bauschs Schlüsselwerk »Kontakthof« von 1978 erfährt eine »Neubegegnung«: Meryl Tankard, damals selbst eine der zentralen Protagonistinnen, arbeitet mit einem Teil der Originalbesetzung. Sie verbindet die Live-Performance mit Projektionen von Archivmaterial, das die Tänzer*innen mit ihren jüngeren Ichs konfrontiert. Parallel zu »Kontakthof – Echoes of ’78« – tanzt das aktuelle Ensemble des Tanztheater Wuppertal die Originalversion an fünf Abenden.
Verklemmt sitzen die Schüler*innen in einer langen Stuhlreihe wie die Hühner auf der Stange. In einer alten Schul-Aula, erklärt zum »Kontakthof«, wird den jungen Damen in Kleidern im Stil der 50er Jahre und Herren in eleganten Anzügen Tanzunterricht erteilt – im Tango. Alte Schlager erklingen, verheißen ungetrübtes Liebesglück. Ein zynischer Kontrast zum Bühnengeschehen.
Ein Paar tritt heraus. Man überbietet sich gegenseitig in kleinen Folterstückchen. »Er« zieht ihr an den Haaren, dreht ihr den Arm um, würgt ihr die Luft ab. »Sie« revanchiert sich mit Beißen, Kneifen, Schlagen. Jeden sadistischen Einfall belohnt die Truppe mit Beifall. Ebenso die masochistische Variante, die so grotesk wirkt, dass sie unwillkürlich für Heiterkeit sorgt. »Sie« läuft hysterisch lachend gegen die Wand, »er« klemmt sich genüsslich die Finger im Klavierkasten. Wenn »sie« schließlich ruft »ich bin nicht böse, ich will nur allein sein«, und »er« ihr »du unerotisches Gestell« an den Kopf wirft, dann ist in diesem Werk von 1978 Pina Bauschs frühe Kern-Problematik des Geschlechterkampfs auf den Punkt gebracht. Und, natürlich, die schmerzliche Poesie darf nicht fehlen: Ein Schaukelpferd am Bühnenrand symbolisiert den wehmütigen Traum von der Kindheit.
Dieses wunderbare Werk aus der Zeit, als die junge Choreografin sich allmählich international durchsetzte, nimmt das Tanztheater Wuppertal wieder auf. Mehr noch, es gibt eine weitere, außergewöhnliche Produktion: »Kontakthof – Echoes of ’78« führt acht Mitglieder der Originalbesetzung wieder zusammen – und stellt sie ihren Ichs von vor 46 Jahren gegenüber.
Es ist eine Zusammenarbeit der Pina Bausch Foundation, die die Aufgabe hat, das künstlerische Erbe der Ikone zu wahren und in die Zukunft zu tragen, mit dem Sadler’s Wells Theatre London. Damit wird eine Vision der großen Choreografin wahr. Denn sie soll sich während der Entstehung des Stücks oft ausgemalt haben, wie es wäre, ihre Tänzer*innen im »Kontakthof« in höherem Alter tanzen zu sehen. Nun konzipiert und inszeniert Meryl Tankard die Arbeit neu. Im Cast von 2024: Elisabeth Clarke, Josephine Ann Endicott, Lutz Förster, John Giffin, Ed Kortlandt, Beatrice Libonati, Anne Martin, Arthur Rosenfeld.
»Wir sind älter geworden«, sagt Meryl Tankard, »einige aus der Originalbesetzung sind leider nicht mehr unter uns, und es gibt Grenzen, was wir physisch tun können. Doch gerade darauf richtet sich das Interesse.« Als sie sich die Videos von der Premiere damals angeschaut habe, sei sie beeindruckt gewesen von der kraftvollen und zeitlosen Qualität der Aufnahmen. Rolf Borzig, Bauschs Bühnenbildner und früh verstorbener Lebenspartner, hat sie gemacht. Tankard: »Das hat mich darauf gebracht, wie ich dieses Projekt angehen könnte. Ich möchte unsere lieben Freunde nicht ersetzen, sondern ihre Abwesenheit spürbar werden lassen. Wir werden mit Projektionen unserer jüngeren Ichs spielen und tanzen.« Sie verwendet dazu Material aus dem Bausch-Archiv. Die Australierin freut sich über diese Aufgabe: »Es ist ein Privileg, zu diesem ikonischen Werk zurückzukehren. ‚Kontakthof‘ ist wie so viele von Pinas Werken von anhaltender Relevanz.« Die Produktion geht anschließend international auf Tournee.
23. November bis 1. Dezember, Opernhaus Wuppertal