Der Mensch hatte auch schon mal bessere Zeiten. Krone der Schöpfung? Würdevolles Vernunft-Subjekt? Eine symmetrische Anordnung von Gliedern, dazu Muskeln, Sehnen, Knochen, die für den aufrechten Gang bestimmt sind? Eigentlich schon. Doch geht es nach der Bonner Tanzkompanie CocoonDance stecken noch ganz andere Kreaturen in ihm, die viel aussagekräftiger für sein heutiges Dasein sind: tierische, insektenhafte, amorph-fantastische, technoide Wesen. Und die brechen sich derzeit mit jedem neuen Stück, das das Ensemble choreografiert, Bahn.
Wie Würmer, die der trommelnde Regen aus dem Erdreich lockt, schlängeln sich drei männliche Performer langsam in die Höhe. Doch stehen sie, sind nichts mehr als vom Techno-Beat getriebene Menschmaschinen. Sie pumpen und vibrieren – bis zur totalen Erschöpfung. Das ist »Momentum«. Eine absolute Erfolgsproduktion, die nun zum letzten Mal in Bonn zu sehen sein wird. Es folgt das Stück »Vis Motrix«. Hier sind es Frauen, die spinnenhaft über die Bühne huschen. Irgendwie verführerisch, aber auch gefährlich unberechenbar. Organisch? Anorganisch? Unklar. Als wären sie gerade einem Science-Fiction-Labor entflohen.
Seit 2004 im Bonner Ballsaal
CocoonDance – hinter dem Label stecken im wesentlichen die Choreografin Rafaële Giovanola und der Dramaturg Rainald Endraß. Schon seit 20 Jahren gibt es die Kompanie in Bonn. In der Ex-Bundeshauptstadt, die sukzessive ihr kulturelles Leben kleinschrumpft, waren sie schon immer wichtig als eine der wenigen freien Tanz-Gruppen dort. 2004 bekommen Giovanola/Endraß mit dem schönen Theater im Ballsaal sogar ein eigenes Haus. Überregional allerdings wird die Kompanie jahrelang kaum beachtet.
Dafür mussten sie sich erst neu erfinden. Sie mussten komplexe dramaturgische Konzepte über den Haufen werfen, ihren Ehrgeiz, eine postmoderne Narration für den Tanz zu erfinden. Sie mussten ihren Drang zu Bewegungsreichtum, zu virtuosen choreografischen Abläufen unterdrücken. Dann passiert es: CocoonDance landet einen Erfolg nach dem nächsten. Das Ensemble bekommt die Spitzenförderung des Landes NRW und ist in diesem Jahr schon zum zweiten Mal Gast beim wichtigsten Festival des freien Tanzes, der Tanzplattform.
Der Choreograf als Körper-Schöpfer
Sie selbst betonen immer wieder, wie inspirierend für sie die Gründung ihrer Juniorkompanie mit dem liebevollen Beinamen »They might be giants« vor sieben Jahren war. Offenkundig befreite die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sie von allzu verschwurbelten Ansprüchen. Heute, sagt Rafaële Giovanola, »interessiert uns, einen neuen Körper zu finden, der so weit wie möglich entfernt ist vom menschlichen Körper, wie man ihn eigentlich kennt.« Der Choreograf als Körper-Schöpfer – ein bisschen wie der uralte Menschheitstraum vom Prometheus, Golem, Blade Runner bis zu den Robotern des Silicon Valley, wo mit animistischem Enthusiasmus die Maschine zum besseren Mensch verklärt wird. Cocoon Dance dekliniert schon mal sein Bewegungsspektrum durch. Eine attraktive Utopie. Der blanke Horror?
»Dream City«: 6. bis 8. Februar 2020, »Momentum«: 2. und 14. bis 15. Februar 2020, Theater im Ballsaal Bonn, www.cocoondance.de