Übrig blieb die Müngstener Brücke. 107 Meter hoch, von 950 000 Nieten zusammengehalten und seit 120 Jahren die gerade Verbindung zwischen Solingen und Remscheid. Mit etwas Glück wird sie, zusammen mit fünf weiteren Großbogenbrücken des 19. Jahrhunderts in Italien, Frankreich und Portugal, das kommende UNESCO-Welterbe aus NRW. Ministerin Ina Scharrenbach hat diesen Vorschlag jetzt weitergeleitet an die zuständige Kultusministerkonferenz, die über die weitere Auswahl der aus allen Bundesländern eingereichten Vorschläge entscheiden wird. Am Ende steht im günstigsten Fall die Erklärung zum Welterbe durch die UNESCO.
Auf der Strecke blieben diesmal: die Düsseldorfer Gasbeleuchtung und das jüdisch-mittelalterliche Viertel in Köln. Außergewöhnliche universelle Werte, wie sie eine Bewerbung um den Welterbestatus brauchen, konnte die Jury nicht erkennen. Und das Ruhrgebiet? Die Hüttenwerke und Kokereien in Duisburg, Dortmund oder Hattingen? Der Gasometer Oberhausen? Was ist mit den Werkssiedlungen und Halden, den Kanälen, Flüssen, Eisenbahnen, die die Industrie mit Macht nach ihren Wünschen gestaltet hat, das Gasnetz nicht zu vergessen. Auch sie waren angetreten – und haben eine Chance vertan, schon zum zweiten Mal.
Zugegeben: Die reine Aufzählung, was sich da alles findet, macht schwindelig. Und es wundert nicht, dass bei aller Wucht und Größe und vielbeschworenen Kathedraligkeit die Jury dem Antrag ein Zuviel an Aspekten bescheinigte. Zwar wurde die internationale Bedeutung dieser industriekulturellen Landschaft anerkannt. Weniger ist mehr, lautet aber die Empfehlung, die die Jury den Antragstellern mit auf den Weg gibt.
Die Kritiker aus Politik und Wirtschaft, die sich zwischenzeitlich teils lautstark gemeldet hatten, mögen sich freuen – und haben doch einen nicht geringen Anteil am Scheitern. Denn auch das steht in der Begründung der NRW-Jury, die von enttäuschter Seite bereits mit dem Vorwurf der Befangenheit konfrontiert wurde: »Der gewählte Ansatz, möglichst das gesamte Ruhrgebiet zu umfassen, wird aufgrund der öffentlich geäußerten Ablehnung des Antrags in Teilen der Region selbst als nur bedingt durchsetzbar angesehen.« Also noch einmal zurück auf Los für die Idee, mehr Welterbe aus dem Revier und seiner Industriekultur herauszuholen als die Zeche Zollverein.
Gescheitert an sich selbst
Just dort hatte gerade der Kongress »Industrielles Welterbe – Chance und Verantwortung« stattgefunden. Es gab Austausch und viel Wundenlecken. Und einmal mehr wurden die bereits vorgebrachten Positionen durchgewalkt: Die Angst, der Titel werde wie Blei an den Füßen von fünf Millionen Menschen und vor allem an der so zukunftstrebenden Wirtschaft kleben. Man möchte vor diesem Hintergrund Paris bedauern ob seines maroden Seine-Ufers. Amsterdam wäre zu beklagen für seine Grachten, die ungenutzten Raum für Gewerbeflächen darstellen. Und was hätte nicht aus Moskau werden können ohne seinen Kreml? Die Sorge vor der Verklärung. Wirkt es nicht seltsam, wenn ausgerechnet jene Kreise eine fehlgelenkte Emotionalisierung beklagen, die üblicherweise wenig Probleme mit Fetischbildung haben, wenn es dem Konsum oder dem Stakeholder Value dient? Ihre Alternative ist oft die Investition in eine inhaltliche wie architektonische Gleichgültigkeit, die man gerne Fortschritt nennt.
Schließlich: Braucht man so etwas überhaupt, ein Welterbe, wo sich doch mittlerweile 1154 Orte weltweit mit dieser Auszeichnung schmücken? Mag sein. Aber so lange London, Luxemburg oder Granada nicht an die Niederlegung ihrer Titel denken, sollte es da nicht Ansporn sein, in diese Riege aufzuschließen? Ob es den Titel verdient, mögen die Jurys entscheiden. Verdient hätte es einen Anlauf, der selbstbewusst berechtigte Kritik an der Industrialisierung mit längst erfolgter Identitätsstiftung versöhnt – und nicht unfreiwillig alte Klischees bestätigt. Denn gescheitert ist das Ruhrgebiet nicht an der überwältigenden Konkurrenz oder an schwergewichtigen Gegenargumenten. Gescheitert ist es an sich selbst, an fehlender Entschlossenheit und einem preisverdächtigen Hang zu Zögerlichkeit und Selbstzweifel. Vielleicht böte eine Bewerbung im Bereich des immaterielles Welterbes bessere Aussichten auf Erfolg.