kultur.west: Frau Schwedler, wie wird man Trauerrednerin?
Beate Schwedler: Ich bin von Beruf Journalistin, ich habe für Zeitungen, das Lokalradio und später für Werbeagenturen gearbeitet. Als ich 42 war, ist mein Lebensgefährte an Krebs erkrankt. Ich stand völlig unvorbereitet vor dieser Situation mit Pflege, Krankenhaus und alles was da dranhängt. Ich habe das komplett miterlebt bis zum Hospiz am Schluss; auch bei seinem Tod war ich dabei. Einige Wochen später ist dann meine Schwester an Krebs erkrankt. Da habe ich nochmal das Gleiche erlebt, zum zweiten Mal in einem Jahr. Das hat dann eine Menge verändert. Das war ein längerer Prozess, über einige Jahre, die mich persönlich auch verändert haben. Als mein Sohn selbstständig wurde, war ich Anfang Fünfzig und habe mich entschieden, nochmal etwas zu ändern. Ich wollte gerne persönlicher und näher am Menschen arbeiten. Ich hatte viele Ideen, und eine davon war, eben gute Trauerreden zu schreiben und zu halten.
kultur.west: Weil sie genug schlechte Reden gehört hatten?
Beate Schwedler: Bei meinen Lieben war es so, dass beide aus der Kirche ausgetreten waren und dementsprechend freie Redner die Beerdigungen gestaltet haben. Einmal war es besser und einmal war es nicht so gut. Da merkte ich schon, wie wichtig eine gute Rede ist.
kultur.west: Wie arbeiten sie? Kommen die Angehörigen direkt auf sie zu?
Beate Schwedler: Ich gehe direkt zu Bestattern, stelle mich vor und die Bestatter empfehlen mich dann. Es gibt ja auch den Humanistischen Verband, das ist die säkulare Alternative zu den Kirchen, der in NRW Trauerreden vermittelt. Mich stört daran, dass bei einem Pastor in der Rede Gott auftauchen muss und beim Verband darf Gott keine Rolle spielen. So etwas entspricht nicht meiner Idee von Trauerreden. Ich versuche, diese an den Verstorbenen oder den Angehörigen auszurichten. Es geht nicht um meine Weltanschauung, sondern um die Menschen. Ich frage die Angehörigen, ob die Person an Gott geglaubt hat. Es gibt ja genug Leute, die zwar nicht in der Kirche sind, das aber trotzdem tun. Oder im Alter, wenn es ans Sterben geht, zu beten anfangen oder den Gedanken tröstlich finden, dass man sich nach dem Tod wiedersieht. Ich schreibe dann die Rede, mache mir Gedanken über die Musik und bespreche kleine Rituale.
kultur.west: Sie schreiben auf Ihrer Webseite, dass »Rituale die Brücke zwischen den Lebensabschnitten« bilden.
Beate Schwedler: Die Trauerfeier selbst ist ein Ritual. In diesen Ablauf kann man auch eigene Dinge einbringen, indem man etwa dem Toten etwas mit auf den Weg gibt. Das reicht von der Enkelin, die mit Oma immer was gebastelt hat, die dann ein Fläschchen mit Glitzerpulver mitbringt, sich vor das Urnengrab hockt und ein bisschen davon hinein streut, bis zu einem Brief, einem gemalten Bild oder einem persönlichen Gegenstand. Das ist auch für die Hinterbliebenen eine tröstliche Sache.
kultur.west: Wie nimmt man richtig Abschied?
Beate Schwedler: Da gibt es kein Patentrezept. Dafür sind die Menschen zu unterschiedlich. Ich würde sagen, man nimmt nicht Abschied. Wenn einem der Verstorbene nicht besonders nahestand, etwa ein entfernter Nachbar, den man sowieso nicht oft gesehen hat, ist der zwar nicht mehr da, das fällt aber auch nicht so auf. Aber je näher jemand einem kommt, den man wirklich geliebt hat oder der ein wichtiger Mensch war, dann gibt es keinen Abschied. Es gibt nur einen Abschied vom Körper, vom körperlichen Zusammensein. Man kann sich nicht mehr in die Augen schauen, nicht mehr an einem Tisch sitzen. Das ist schon schlimm genug. Aber Abschied von dem Menschen gibt es eigentlich nicht, finde ich. Wen man geliebt hat, den hat man immer bei sich. In der Trauergruppe, die ich gegründet habe, ist es allen ganz wichtig, dass normal über den Angehörigen gesprochen wird. Dass er auf diese Weise am Leben gehalten bleibt und dass man ihn nicht vergisst. Abschied ist ja das, was man gar nicht will. Die andere Frage ist, wie man danach weiterlebt. Wie baue ich mein Leben auf, nachdem jemand gestorben ist, der mir ganz wichtig ist? Wie komme ich jetzt alleine zurecht? Ohne meinen Ehepartner? Oder ohne mein Kind?
kultur.west: Wie lange braucht man dafür? Hat man irgendwann genug getrauert?
Beate Schwedler: Nein. Das ist bei jedem anders. Es gibt diese merkwürdigen Studien, die behaupten, wenn man mehr als sechs Wochen trauert, ist es chronisch. Hanebüchen – wo leben die denn? Das kann man nicht generell sagen. Bei manchen in meiner Trauergruppe ist es gerade mal drei Monate her, bei anderen schon anderthalb Jahre. Das erste Jahr ist immer heftig. Früher gab es das Trauerjahr, in dem man schwarze Kleidung trug. Das ist schon ein interessanter Zeitraum, wenn man große Veränderungen zu bewältigen hat. Ein Jahr – einmal Ostern, einmal Weihnachten, einmal Geburtstag ohne den Verstorbenen – dann hat man alles zum ersten Mal in der veränderten Situation erlebt. Ich finde, das war ein sinnvolles Ritual. Schade, dass wir das immer weniger haben. Im zweiten Jahr ist dann schon einiges anders. Aber manchmal begreift man erst dann tiefgreifend, dass der Andere nicht mehr da ist und man schauen muss, wie man sein Leben neu organisiert. Das ist der Schub hinterher.
kultur.west: Muss man irgendwann ganz loslassen?
Beate Schwedler: Warum sollte man? Menschen sind verschieden. Die einen räumen am ersten Tag alles weg, weil sie es nicht ertragen können, die anderen bauen sich einen Altar aus Erinnerungsstücken. Ich glaube, das ist alles in Ordnung, das sollte man nicht von außen bewerten. Dieses Loslassen ist ja auch mit der Frage verbunden, wie das eigentlich »richtig« gehen soll. Lieber hält man etwas fest. Von der Hamburgerin Anemone Ziem, die »Vergiss Mein Nie«, ein Geschäft für Trauerbegleitung, eröffnet hat, stammt der Satz: »Wenn ich etwas zum festhalten habe, kann ich auch leichter loslassen.« Das kann vieles sein. Eben etwas, das ich anfassen kann, das immer bei mir ist. Dann kann das Loslassen weitergehen.
Beate Schwedler ist gelernte Journalistin und arbeitet heute als freie Trauerrednerin. Zudem hat die 58-jährige Dortmunderin den Verein »Forum Dunkelbunt – Lasst uns reden … über das Sterben, den Tod, die Trauer e.V.« sowie den ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienst »Löwenzahn« mitgegründet.