Seine 10. Ausgabe feiert tanz nrw vom 8. bis 18. Mai in neun Städten. Obwohl das Festival mit gekürztem Budget auskommen muss, ist für hochkarätige choreografische Überraschungen gesorgt – vom Duett mit dem Gabelstapler bis zum architektonischen Parcours.
»Das Festival ist gefährdet.« Die Stimme von Stefan Schwarz klingt angespannt. Der langjährige Programm-Chef des tanzhaus nrw zeigte sich in Düsseldorf bei der Präsentation der 10. Ausgabe der beliebten Biennale tanz nrw ernsthaft besorgt: Die Einsparungen bei der Kultur treffen die freie Szene ins Mark. Die nächste Tanzmesse 2026 wurde bereits gestrichen. Und das Budget für das aktuelle Festival tanz nrw 25 ist geschrumpft.
Heike Lehmke, Geschäftsführerin vom nrw landesbuero tanz, beklagt, dass große Stücke nicht ins Programm aufgenommen werden konnten: »Die Förderungen der Kunststiftung und des NRW Kultursekretariats sind weggefallen. Gleichzeitig haben wir die Honorare der Künstler*innen erhöht.« Viel unbezahlte Arbeit sei bei der Organisation geleistet worden: »Für die Jubiläumsausgabe war das noch zu akzeptieren«, räumt sie ein. Aber: »Man muss sich fragen, was es für ein Länderfestival bedeutet, wenn sehr gute Tanzstücke nicht ins Programm aufgenommen werden können, weil das Geld fehlt. Es sollte zumindest einen Etat haben, der ermöglicht, alle herausragenden Arbeiten zu zeigen und damit eine Sichtbarkeit für den Tanz aus NRW bundesweit zu generieren.« Immerhin: Für die nächste Biennale (2027) gebe es bislang keine Andeutungen des Ministeriums, dass die Mittel gekürzt werden.
Das Festivalprogramm kann sich dennoch sehen lassen – auch wenn Größen wie Ben J. Riepe, Stephanie Thiersch oder hartmannmueller fehlen. Das Publikum erlebt 16 völlig unterschiedliche Produktionen mit bekannten und neuen Gesichtern, darunter zwei Uraufführungen. Bühne frei also für die Theater in Bonn, Düsseldorf, Essen, Köln, Krefeld, Mülheim, Münster, Viersen und Wuppertal!
Pas de deux mit einem Gabelstapler
Thematisch dominieren die gesellschaftspolitischen Veränderungen unserer Zeit, in der Gewissheiten hinterfragt und Strukturen aufgebrochen werden: Queerness, patriarchalische Machtstrukturen, Erderwärmung, neue Gemeinschaftsformen. Die Lage ist ernst. Dennoch, Humor zeigt sich gleich bei der Eröffnung in und vor dem tanzhaus nrw neben Provokation: In »Jungmann und Jungklaus« tanzt Performerin Thaddäus Maria Jungmann einen halbstündigen Pas de deux mit einem Gabelstapler. Im Fokus stehen diskriminierende Arbeitserfahrungen einer queeren Person in einem Logistikzentrum. Und die Verbindung zwischen Mensch und Maschine. Jungmann fragt, »wie wir technische Objekte ›entmännlichen‹ können, um kapitalistische und patriarchalische Systeme zu ›verqueeren‹ und neu zu denken.« Die Grenze zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Performern löst auch Brig Huezo in ihrer postdigitalen Performance »The Death at the Code« auf (Krefeld/Köln).
Hardcore erwartet offenbar die Besucher*innen des »Lotus Fight Club«. Die Uraufführung von Raymond Liew Jin Pin mit dem Folkwang Tanzstudio Essen führt in einen Club, wo das Sodomie-Gesetz aus der Kolonialzeit in Malaysia die Performer*innen einholt. Die Bänder des traditionellen chinesischen Tanzes verwandeln sich in Peitschen, deren Rhythmus das Ensemble ausgeliefert ist. Der kolonialen Gewalt trotzt es mit queerem Widerstand – zwischen Fantasien von Vergnügen und Bestrafung (Essen).
Nach entspannender Harmonie klingt dagegen die neue Arbeit der immer lohnenden CocoonDance Company: »Choreia – ein Polyballett« wird in Kooperation mit einem lokalen Chor präsentiert. Auf der Suche nach einem Raum der Gemeinschaft wird die Trennung zwischen Künstler*innen und Publikum aufgelöst. Über die Kraft der Stimme sollen neue Formen von Verkörperungen imaginiert und hergestellt werden (Düsseldorf).
Dialog mit der Architektur
Nach einer Zukunft der nachfolgenden Generation fragt die Hamburger Choreografin Antje Velsinger. Die Tanzkünstlerin, bekannt für ihre zeitkritischen Themen und gründlichen Recherchen, beschäftigt sich in ihrer neuen Produktion »Their Future« mit Zukunftsmodellen. Ihre Basis sind Interviews mit Eltern und Menschen, die sich wegen der Klimakrise gegen Kinder entschieden haben. Zu einer akustischen Wetterlandschaft bewegen sich ein Trio und eine Sängerin durch wechselnde klimatische Zustände. Dabei verhandeln sie die Aufteilung von Ressourcen und Verantwortung, um den Alltag in den Griff zu bekommen – ein Balanceakt zwischen Hoffnung und Selbstvorwürfen (Münster).
Es gibt auch das: Emanuele Soavis enigmatische Performance »The Day I became a Cloud«, uraufgeführt 2023 im Pariser Musée d‘Art Moderne. Sie verstreut choreografische Splitter, die in einen Dialog mit der Architektur treten. An- und Abwesenheit werden hier spürbar. Die Arbeit ist in der Form eines Parcours inszeniert und passt sich den örtlichen Gegebenheiten an, in diesem Fall dem ehemaligen Schauspielhaus in Wuppertal und dem Domforum Köln. Das Publikum folgt den Tänzer*innen und verschmilzt so mit der performativen Installation. Ein mittlerweile weitverbreitetes Konzept – und meist ein beeindruckendes Erlebnis.
Das Festival berücksichtigt vielfältige Bedürfnisse und bietet beispielsweise Tastführungen für blindes und sehbeeinträchtigtes Publikum an. Außerdem Live-Audiodeskription und Übersetzungen in Deutscher Gebärdensprache.
tanz nrw 2025 – Festival zeitgenössischer Tanz
8. bis 18. Mai
Stationen: Bonn, Düsseldorf, Essen, Köln, Krefeld, Mülheim, Münster,
Viersen, Wuppertal