Für die Sängerin und Schauspielerin Larissa Sirah Herlen alias Lary war die strahlende Hauptrolle im Eröffnungsstück der Ruhrtriennale auch eine Heimkehr: Sie ist gebürtige Gelsenkirchenerin und hatte ihre ersten Jobs in Bochum.
Mit dem Ruhrtriennale-Eröffnungsstück »I Did It My Way« haben Regisseur Ivo Van Hove und Star-Schauspieler Lars Eidinger einer Sängerin und Schauspielerin den roten Teppich ausgerollt: Larissa Sirah Herlen alias Lary spielte an der Seite von Eidinger eine Frau, die ihren Mann verlässt. Nicht nur mit ihren großartigen Interpretationen von Klassikern Nina Simones, auch mit ihrer enormen Bühnenpräsenz hatte sie sich zur strahlenden Hauptsache des Abends gemacht. Im Publikum werden sich darüber ganz besonders alte Freunde und Verwandte gefreut haben, denn Lary stammt aus Gelsenkirchen und hat als Schülerin in Bochum in Läden und Kneipen gejobbt. Bis es sie nach New York, Berlin und Paris zog.
Von der Jahrhunderthalle Bochum, wo die in der gesamtdeutschen und auch internationalen Presse besprochene Aufführungen von »I Did It My Way« stattfanden, ist Larissa Sirah Herlen manchmal mit der Straßenbahn 302 zu ihrer Mutter gefahren, die bis heute in Gelsenkirchen lebt. Melancholisch sei sie dabei gewesen, erzählt sie beim Treffen im Bochumer Café Tucholsky. Daran, dass sie weiterziehen musste, nicht im Ruhrgebiet bleiben konnte, hatte sie allerdings schon als 18-Jährige kaum einen Zweifel. »Es war mir immer zu klein hier, zu bleiben stand für mich nie zur Debatte. Ich brauchte mehr Raum und Platz, um mich zu entfalten. Ich wollte raus in die Welt.«
Drang zur Bühne
Einen Drang zur Bühne hatte sie schon als Kind. »Ich habe immer gesungen, war wahrscheinlich schon immer ein Bühnenmensch, der gern im Mittelpunkt gestanden hat. Ich glaube, ich war wahnsinnig nervig als Kind«, erinnert sie sich. »Ich habe ständig ein Ventil für meine Kreativität gesucht: Kinderchor, Kirche, Schule, zu jedem Geburtstag habe ich ein Gedicht geschrieben und vorgetragen. Das war für mich selbstverständlich.«
Mit zehn Jahren erfuhr sie von einem Aufruf: Für eine Musical-Produktion in Essen wurden Kinderdarsteller gesucht. Sie bewarb sich sofort, ganz selbstständig, ohne es ihrer Mutter zu sagen. Und man ahnt es schon: Sie wurde auch genommen und durfte mitwirken in Andrew Lloyd Webbers »Joseph and the Amazing Technicolor Dreamcoat«. Natürlich war ab diesem Zeitpunkt die Mithilfe der Mutter notwendig: »Wir mussten zum Beispiel mit dem Direktor des Gymnasiums sprechen, weil ich dann manchmal in der Schule fehlte. Wenn ich im Nachhinein darüber nachdenke, wo meine Mutter mich überall hingefahren hat… Da ist große Dankbarkeit.«
Nach der Trennung vom Vater, einem Briten jamaikanischer Abstammung, wuchs Lary bei ihrer alleinerziehenden Mutter auf. Und erfuhr von ihr Unterstützung unter einer Bedingung: »Die Schule ist wichtig«, gab sie ihrer Tochter mit. »Du kannst überall mitspielen, aber nur wenn du in der Schule gut bist.« Deswegen war es die angehende Sängerin schon in jungen Jahren gewohnt, »fünfgleisig zu fahren«, wie sie sagt. »Das zieht sich durch mein Leben, dass es selten nur eine Hochzeit gibt, auf der ich gerade tanze.«
Mit der Volljährigkeit jobbte sie in Bochum in einem angesagten Klamotten-Laden in der Innenstadt und einer Kneipe im Bermuda-Dreieck, aber das währte nicht lange. Mit dem Abitur suchte sie sich einen neuen Lebensmittelpunkt, um auf mindestens drei Hochzeiten zu tanzen: Sie zog nach Düsseldorf, wo sie Medien- und Kulturwissenschaften an der Heinrich-Heine-Universität studierte – wohl gemerkt zu Ende, obwohl sie sich nebenbei schon durchaus prominent als Schauspielerin und Sängerin versuchte.

Schon nach ihrem Engagement im Musical »Joseph« hatte sie ein Stipendium für Schauspielunterricht an der Folkwang Universität der Künste bekommen, besuchte dort zwischen 12 und 16 Jahren Kurse, spielte kleinere Rollen am Theater, fand im Schauspiel aber nicht so viele Möglichkeiten, sich zu entfalten. Das Theater habe auf keiner Ebene die deutsche Mehrheitsgesellschaft abgebildet und im Fernsehen sei damals die einzige Schwarze Rolle »die Asylantin im Tatort« gewesen.
Eigentlich ist das aber kein Thema, über das Larissa Sirah Herlen viele Worte verlieren möchte. Ja, sie ist Schwarz und hat in der weißen Mehrheitsgesellschaft auch ihre Erfahrungen gemacht. Aber sie mag keine Opfermentalität, mag nicht erzählen, wie schwer sie es hatte, mag nicht, wenn Journalist*innen dieses Thema in den Vordergrund rücken. »Was mir immer geholfen hat, war meine Art, positiv auf die Welt zu blicken«, sagt sie. Sie versucht nie, geschlossene Türen einzurennen. Als sie sich wegen der wenigen Möglichkeiten nicht so richtig in das Schauspiel verlieben konnte, ist sie anderen Talenten gefolgt, hat Wege gesucht, die sich freier, einladender und natürlicher angefühlt haben. »Ich bin immer interessiert oder inspiriert. Ich wurde von meiner Familie und Freunden mit Liebe zugeschissen, mein ganzes Leben lang. Ich gehe nie alleine in einen Raum, habe gefühlt immer zehn Leute im Rücken.«
Das sagt sie wohl gemerkt, während sie einem allein im Café gegenübersitzt – aber mit einem Selbstbewusstsein und auch einer Coolness spricht, als stärkten ihr zehn Freund*innen den Rücken. Immerhin schlurft zwischendurch ein Kollege vorbei und bleibt kurz stehen: »Was macht ihr denn da?« Es ist Lars Eidinger, der gegen Mittag noch Lust auf Frühstück hat. Er war es auch, der Lary ins Spiel gebracht hat als zweite Hauptdarstellerin für Ivo Van Hoves Produktion »I Did It My Way«. Er hatte vorher bei einem Filmprojekt mit ihr zusammengearbeitet und fand, dass das gut passen würde.
Respekt und Erfolg
Lary hatte bis dahin schon große Erfolge als Sängerin, zum Beispiel eine Goldene Schallplatte für über eine Million verkaufter Einheiten für die Single »So wie du bist« mit MoTrip bekommen. Sie hatte drei eigene Alben veröffentlicht, war Jurorin der Castingshow »Dein Song«, trat 2015 für Berlin beim Bundesvision Songcontest an. Auch als Schauspielerin wirkte sie seit 2018 in einigen größeren Film- und Serienprojekten wie dem Fantasy-Film »The Magic Flute« auf Basis von Mozarts »Zauberflöte« mit. Als die Anfrage der Ruhrtriennale kam, war sie trotzdem erstmal geschockt. »Das war das totale Wagnis. Ich hatte noch nie vorher in dieser Form Theater gespielt und auf der Bühne gestanden – und dann an der Seite von Lars Eidinger, unter der Regie von Ivo Van Hove. Da hatte ich sehr großen Respekt vor und das hat für einen Sprung in meiner künstlerischer Entwicklung gesorgt. Allein musikalisch war es wirklich nicht leicht, mir das zu eigen zu machen.«
Letztlich hat die herausfordernde Rückkehr in ihre Heimat zu einem großen Erfolg geführt. Und auch zu einer neuen Auseinandersetzung mit der eigenen Identität. Im Stück spielt sie eine Frau, die ihren weißen Mann verlässt, ihre eigene Schwarze Identität erkundet und darüber den Schwarzen Befreiungskampf der Bürgerrechtsbewegung in den USA. »Auch die Musik von Nina Simone fußt ja auf dem Ausgeschlossen-Sein, dem Einfordern von Akzeptanz, Sichtbarkeit oder einer Daseinsberechtigung. Damit kann ich mich als Afrodeutsche, die in der weißen Mehrheitsgesellschaft aufgewachsen ist, natürlich identifizieren. In diesem Stück hatte ich die Gelegenheit, diesen Gefühlen auch Raum zu lassen, weil man ja eher dazu tendiert, das ein bisschen herunterzuschlucken.«
Mittlerweile ist Lary von Berlin nach Paris gezogen. Nächstes Jahr wird sie 40 Jahre alt. In der deutschen Hauptstadt hatte sie nur zwei Möglichkeiten gesehen: »Entweder du ziehst nach Prenzlauer Berg und kriegst ein Kind oder hängst mit 40 noch ständig im Berghain rum.« Beides waren keine Optionen. In Paris liebt sie die diverse Kultur auf der Straße, das Kunstempfinden, Musik, Filme, Sprache, wie die Menschen sich kleiden. Sie will die Brücken zur deutschen Szene nicht abreißen, aber vielleicht wird sie mit ihrer Musik in Zukunft auch mehr in Richtung französischsprachiger Chansons gehen. Das nächste Abenteuer wartet und wird sich mit ihrer positiven Lebenseinstellung sicher gut bewältigen lassen.





