Die Katastrophe wird Bild: Martin Zehetgruber entwirft für die Ruhrtriennale in der Kraftzentrale des Duisburger Landschaftsparks die Bühne für Shakespeares »Ein Sommernachtstraum«, den Barbara Frey inszeniert.
Der Segen hängt schief – vielleicht ist das seine natürliche Ausrichtung. Wir alle sind aus krummem Holz geschnitzt. Und des Menschen Seele gleicht dem Wasser. William Shakespeare, der Bescheidwisser der Liebe, spielt seinen Figuren gut und böse mit: Jungen wie Alten, Eltern und Kindern, närrischen, melancholischen und weisen, mörderischen wie tugendhaften, Männern wie Frauen, die auf der Bühne von Männern dargestellt wurden, die mitunter wiederum vorstellten, sich in ihrer Rolle als Mann zu verkleiden. Der Athener Wald im »Sommernachtsraum« ist kein locus amoenus, vielmehr ein Stück ungezähmter und unbezähmbarer Natur.
Es ist davon auszugehen, dass Barbara Freys Inszenierung nicht der legendären von Max Reinhardt am Deutschen Theater Berlin gleichen wird. Besessen von dem Projekt, insistierte der: »Die Drehbühne muss her!« Alles sollte bewegt sein, Rhythmus haben, Klang sein. Berlin, so erzählt es Günther Rühle in seiner Chronik »Theater in Deutschland« nach, sprach von einem »Waldgedicht«, das Publikum fand kollektiv in die Kindheit zurück bei der Natur-Bühne mit Birken, Gebüsch, moosigem Boden, der Anmutung eines Sees, Hügel und Lichtung, Mondschein, Nebelstreifen, Sternen. Die vollkommene Illusion im Erlebnisraum Theater. Das war 1904/05.
Und 2023, im Zeitalter des Mars? »Martin Zehetgruber liefert nur Fragmente. Flashs. Bilder, die auf der Netzhaut nachbrennen. Die Verbindung der Bruchstücke, die Erzählung überlässt er anderen«, schreibt die Dramaturgin Judith Gerstenberg in ihrem Text zu dem Bildband »Alles Katastrophe!«, das die Arbeit des Bühnenbildners resümiert und ihr nachspürt. Wieder wird er mit Barbara Frey für den »Sommernachtstraum« arbeiten.
Mit den Zeichen von Verfall kennt Zehetgruber sich aus
Seine Bühnen, die Elementarkräfte der Natur bändigen und entfesseln, Wasser etwa und auch Holz, stellen Behauptungen auf, bieten Reibungsflächen, sind harsch und unbedingt. Dass ihn mit dem Kärntner Johann Kresnik eine Freundschaft und Arbeitsbeziehung verband, sagt etwas über den 1961 geborenen Steiermärker. Dort, wo er groß wurde, stand auch ein Stahlwerk, das Staub und Schmutz in die Landschaft trug. Mit dem Ausbeuten der Natur, den Zeichen von Verfall kennt er sich aus. Die Maschinenhalle Gladbeck für den »Untergang des Hauses Usher« (2021) wird ihm vertraut gewesen sein; ebenso der gewaltige Tunnelbohrer, der sich am Ende von Schnitzlers »Das weite Land« (2022) in das Gesellschaftspanorama hineinfräst und aus ihm herauswühlt. Eine konkrete Metapher.
Der Boden kann sich auftun und uns verschlingen. Die Gefahr besteht immer. Das Leben ist eine Verunsicherungsanstalt, der Mensch ein Untergeher – auch diese Einsicht eine (nicht allein) österreichische Spezialität von Karl Kraus, Robert Musil, Thomas Bernhard bis Werner Schwab, von Ingeborg Bachmann bis Elfriede Jelinek. Absturz, das Haltlose, der Abgrund, das Vernichtende wird in Zehetgrubers Bildwelten – seit 40 Jahren – stofflich fassbar: die verkantete Treppenschräge in »Clavigo« (1995), der tödliche Waschsaal in »Kill Pig Devil Passion Finish God« (1994), die hell erleuchteten Korridore der Macht in »Don Carlos« (2004), der Puppenfriedhof in »Lulu« (2010), der verkohlte Wald in »Prinz Friedrich von Homburg« (2012), das Stelenfeld roter Kreuze (»Hexenjagd«, 2016) oder das bleiche Urtierskelett (»Eines langen Tages Reise in die Nacht«, 2018). Das »Es« des Wieners Sigmund Freud hat in ihnen seinen Ort.
»Die Liebe ist eine Krise der Berührungsorgane.« So steril wie Gottfried Benn muss man es nicht sagen. Aber dass es sich um Berührte handelt, die sich im »Sommernachtstraum« begegnen und bekämpfen, missverstehen, in Eifersucht brennen, begehren bis zum Verzweifeln, ist – mehr als Psychologie – reine Menschenkunde. Die Liebe konvertiert nicht unbedingt oder unbedingt nicht zum Idealen, Guten und Schönen. Als Himmelsmacht bezieht sie ihre Kräfte aus der Tiefe.
Zehetgrubers Räume, oft auch für Martin Kusej und Andrea Breth entworfen, scheinen Poren und Sinnesorgane zu haben, zu atmen, autonomer Organismus zu sein. Körper-Material, konstruiert von einem Demiurgen, für den Heimat und Unbehaust-Sein womöglich kein Widerspruch meint. Die Schauspieler-Figuren bewegen sich in Unterwelten, Seelen-Bunkern mit Ausguck, unheiligen Hallen, Schreckenskammern, Zivilisations-Zwingern, auf Schädelstätten und Deponien von Entmenschlichtem. Dass er selbst seine Bühnen als »Spielplätze« bezeichnet, ist nichts weniger als verkleinernd und niedlich gemeint. Das Existentielle verwandelt sie in fremd-vertraute Zonen, in denen Drinnen und Draußen nicht klar geschieden sind, sondern verwachsen, wo Wasser sich Bahn bricht, das Wilde wuchert.
Zarte Seelengehäuse
Mehr als ein Jahrhundert nach Max Reinhardt sind wir um manche Illusion ärmer, skeptisch, geschult an der Dialektik der Aufklärung, trauen der Liebe alles und damit zugleich weniger zu. Frey inszeniert mit dem Ensemble des Burgtheaters Shakespeares wohl populärstes Stück. Sie hatte zu Anfang ihrer Ruhrtriennale einen Edgar Allan Poe-Abend kreiert, jenen Ahnherrn des Gespensterwesens und seelischen Geheimwissens, der von dem »spirit of perverness« als ursprünglichem Impuls des menschlichen Herzens sprach. Dieser Geist pulsiert auch durch Shakespeares Komödie, deren Lachen freilich klingt wie das schauerliche Esels-Iiiiaaaa der gequälten Kreatur, die nicht nur Zettel heißt, sondern auch Helena und Hermia, Demetrius und Lysander.
Wie wird Martin Zehetgruber der Kraftzentrale begegnen, die ihm adäquate Partnerin und Widerpart sein wird. Barbara Frey sagt es vorausschauend so: »Zehetgrubers Bilder mögen bisweilen monumental anmuten – stattdessen sind sie zarte Seelengehäuse. Sie sind Nachtbauten, das All und die entfernte Milchstraße sickern in sie ein. Auch das Tagwerk des Menschen kann darin verrichtet werden, aber man traut den Sonnenstrahlen nicht; sie scheinen von einem ewig nächtlichen Himmelskörper zu kommen, genauso wie das Tagwerk eher aus Schlaf und Traum kommt als aus einem irgendwie gearteten ‚Alltag’.«
»Ein Sommernachtsraum« von William Shakespeare, Regie: Barbara Frey, Bühne: Martin Zehetgruber, Ensemble: Burgtheater Wien, Premiere: 10. August, Vorstellungen: 11., 12., 13., 16., 17. August, Kraftzentrale, Landschaftspark Duisburg-Nord.
»Alles Katastrophe! Bühnen Martin Zehetgruber«, herausgegeben von Judith Gerstenberg, Theater der Zeit, 272 S. mit vielen Abbildungen, Berlin 2023, 35 Euro.