Zwei Frauen, zwei Alltagsschicksale zwischen Annäherung und Befremden: »Zikaden« von Ina Weisse mit Nina Hoss und Saskia Rosendahl – unser Film des Monats.
Wenn wir uns die deutsche Filmgeschichte vor Augen führen, was sehen wir? Gesichter, vor allem Gesichter von Frauen, beginnend mit Brigitte Helm in Fritz Langs »Metropolis« und Marlene Dietrich als »Der blaue Engel«, mit Hannelore Schroth bei Helmut Käutner, Hildegard Knef in »Die Mörder sind unter uns«, mit der blutjungen Romy Schneider und Karin Baal, später dann mit Hannelore Hoger, Margit Carstensen, Hanna Schygulla, Jutta Lampe, Barbara Sukowa und Angela Winkler, mit Renate Krößner und Angelika Domröse und einigen mehr sowie seit mehr als 20 Jahren mit – Nina Hoss. Das, was diese Schauspierinnen ausmacht, nennen wir etwas unspezifisch Aura, aber es lässt sich genauer beschreiben. Hinzu kommt der Eindruck, dass diese Frauen immer auch Gestalt angenommen haben für ihre Generation, ein Zeitgefühl, ein bestimmtes Klima. Auch, dass sie in ihrem Rollenspiel wandlungsfähig sind, aber im Innersten gleich bleiben. Sie haben jeweils ihre eigene Art.
Bei Nina Hoss sind es Gleichmut und Gelassenheit, Beherrschtheit und Unerschrockenheit, Souveränität im Dialog mit der Kamera und unangestrengte Konzentration. Überraschenderweise scheint die Darstellung nahezu unabhängig davon, ob Fernsehgelder und damit einhergehende Kompromisse in einer Filmproduktion stecken, diese erst möglich machen und ihr Format bestimmen, mittlerweile auch nahezu unabhängig von der Qualität der Regie.
Konflikt und Krisen
Hier nun, in Ina Weisses »Zikaden« – wie zuvor in den Arbeiten mit Christian Petzold oder Filmen etwa von Max Färberböck, Todd Field und schon einmal mit Ina Weisse (»Das Vorspiel«, 2019) – lässt Nina Hoss den Konflikt und die Krisen spüren, die sie auf ihrem inneren Kampfplatz mit sich austrägt, zeigt sie, wie emotionale Zustände möglichst unsichtbar für andere sein sollen, verhält sich analytisch und scharfsinnig auch gegenüber sich selbst und hält ihre Gespanntheit unter wacher Kontrolle.
Schauplatz ist Berlin und seine ländliche Umgebung. Parallel werden zwei Geschichten erzählt: die von Isabell, arriviert, aus gediegenem Elternhaus und Architektin wie das väterliche Vorbild. Und die von der auf dem Dorf mit ihrer kleinen Tochter Greta lebenden, sich von Job zu Job hangelnden und auf jeden Pfenning angewiesenen Anja (Saskia Rosendahl), der der Verlust des Sorgerechts für ihre Tochter droht. Beider sehr unterschiedlich gezogene Lebenslinien treffen sich, manchmal schneidend scharf, manchmal, als könnten sie sich überlagern und zu einer werden. Die Frauen nähern sich an, aber vielleicht nur, um sich zu entfernen.
Isabell, deren französischer Lebensgefährte Philipp (Vincent Macaigne) sich für sie völlig abrupt von ihr löst, um dann plötzlich wieder aufzutauchen, ist außer Balance geraten. Ein Schleudertrauma der anderen Art: Während der Schwangerschaft hat sie ihr Kind verloren. Und sie muss sich damit auseinandersetzen, dass ihre alten Eltern, besonders der halbgelähmte Vater, Hilfe brauchen und ohne Pflege ihre gewohnte Selbständigkeit nicht mehr aufrechterhalten können. Das gilt auch für das selbst entworfene schöne Landhaus der Familie inmitten der brandenburgischen Natur, dessen Instandhaltung zu viel Mühe macht.
Weshalb heißt der Film »Zikaden« – weil sie nicht mehr singen werden für Isabell und ihre Eltern? Sorgfältig inszeniert und mit feinem Gespür bis in kleinste Rollen ebenso besetzt, läuft die Filmerzählung zu auf die Schrecksekunde des Todes und auf eine beinahe unheimliche Beunruhigung und ein Befremden, mit dem Isabell auf Anja schaut. Jetzt könnte ein Thriller beginnen. ****
»Zikaden«, Regie: Ina Weisse, Deutschland/Frankreich 2025, 100 Min., Start: 19. Juni.