Das Aalto Musiktheater zeigt die deutsche Erstaufführung der Oper »The Listeners« von Missy Mazzoli. Die US-Komponistin rückt einen machtgeilen Manipulator ins Zentrum ihres Werkes.
Da ist ein Brummen. Nur einige Menschen hören es, die große Mehrheit nicht. Aber wer davon geplagt wird, dem zerbrummt es das Hirn. Claire kann ihre Emotionen nicht mehr kontrollieren, verliert ihren Job als Lehrerin und verlässt schließlich Mann und Kind. Sie schließt sich einer Sekte namens »The Listeners« an, die von einem Guru namens Howard geleitet wird. Ein machtgeiler Manipulator, das wird schnell klar. Einige aus der Gruppe rasten aus, die Polizei wird aufmerksam.
Die 2022 uraufgeführte Oper erzählt von einem gesellschaftlichen Phänomen. Menschen verhalten sich nicht mehr rational, akzeptieren keine Verabredungen mehr, werden vom mysteriösen Brummen in eine neue Ordnung getrieben. Das Libretto von Royce Vavrek nimmt nicht eindeutig Stellung. Ob man Claires Verhalten als asozialen Egotrip oder feministische Befreiung versteht, liegt ganz beim Betrachter. Howard ist ein Fiesling, das ist klar. Aber das Brummen bleibt ein ungreifbares Rätsel, jenseits aller moralischen oder politischen Einordnungen.
Irritation und Spannung
Schade, dass Katrin Connans Bühnenbild die Mehrdeutigkeit durch einen großen Schriftzug verzwergt. »Anger« – Wut ist da zu lesen, als ob sich das Brummen auf ein einziges Gefühl reduzieren ließe. Dazu laufen psychedelische Videos, Farbverwischungen, bei denen nicht ganz klar ist, ob sie ironisch gemeint sind oder nicht. Ein Tänzer mit Maske begleitet Claire als Kojote. Die Rolle bleibt seltsam ungreifbar, eine Irritation. Im ersten Teil hat die Oper wenig Handlung. Das ändert sich nach der Pause, und es zahlt sich aus, dass Regisseurin Anna-Sophie Mahler die meisten der 14 Rollen klar entwickelt und mit psychologischen Feinheiten ausgestattet hat. Es wird richtig spannend.
Das Aalto Musiktheater hat Erfahrungen mit groß besetzten zeitgenössischen Opern. Gordon Kampes »Dogville« war vor zwei Jahren ein überwältigender Erfolg. Das spielerisch wie gesanglich ausgezeichnete Ensemble trägt nun auch »The Listeners«. Betsy Horne gibt Claire glaubwürdige Verzweiflung, ohne schrill zu werden, und Heiko Trinsinger singt Howard mit gefährlich kultiviertem Bariton, ein kraftvoller Verführer.
Doch Missy Mazzolis sinnliche, klangfarbenreiche Musik verlangt vor allem Höchstleistungen von Chor und Orchester. Es gibt sehr lange Bögen, die kaum melodische Struktur entwickeln, aber immer nah dran sind an Personen und Handlung, ein feinfühliges Pulsieren. Der zuvor nicht immer überzeugende Essener Generalmusikdirektor Andrea Sanguineti ist hier ein aufmerksamer Dirigent, der mit Tönen zu malen weiß. Und der von Klaas-Jan de Groot einstudierte Chor verdient besonderes Lob. Man braucht ein bisschen Geduld für die dreistündige Aufführung, aber »The Listeners« ist ebenso ungewöhnliches wie zeitnahes Musiktheater.
8. und 22. März