Vigdis liebt David. Sie ist eine adelige Christin, er ein Jude. Im 11. Jahrhundert ist so eine Beziehung undenkbar, zumindest aus christlicher Perspektive. Vigdis flieht, konvertiert zum Judentum, ihr Vater schickt Ritter, um nach ihr zu suchen. Eine unglaubliche Leidensgeschichte beginnt. Vigdis erlebt Pogrome, ihr Mann wird ermordet, Ritter entführen ihre Kinder. Auf der Suche nach ihnen wird sie versklavt und vergewaltigt, bis sie, dem Wahnsinn nahe, wieder in die Stadt ihrer Eltern zurückkehrt. »The Convert (Beten – zu wem?)« ist keine Gute-Laune-Oper. Im Gegenteil, sie geht einem richtig nah. Weil die Musik sehr emotional wirkt, und das Theater Bielefeld eine überwältigende Inszenierung präsentiert.
Das Stück wurde vor zwei Jahren in Antwerpen uraufgeführt. Grundlage von Krystian Ladas Textbuch ist der Roman »Die Fremde« von Stefan Hertmans. Darin beschreibt der Autor neben der Geschichte von Vigdis auch die seiner Spurensuche. Denn es gibt eine historische Grundlage, zwei mittelalterliche Briefe und eine Legende, aus denen Hertmans dieses heftige Frauenschicksal möglichst realitätsnah konstruiert hat. Komponist Wim Henderickx, der ein halbes Jahr nach der Uraufführung überraschend gestorben ist, kombiniert ein klassisches Orchester mit einer Menge Schlagzeug und Instrumenten aus dem Nahen Osten, Oud, Duduk und Kanun.
Die Stimmen sind nur zum Teil fest notiert, oft dürfen sich die Spielerinnen und Spieler frei improvisierend im Orchesterklang bewegen. Das führt zu einem faszinierend lebendigen Klang mit vielen ungewohnten Farben. Dirigentin Anne Hinrichsen schafft mit den fabelhaften Bielefelder Philharmonikern einen musikalisch reichen Abend. Es gibt Anklänge an christliche geistliche Musik, Filmsoundtracks, impressionistisches Schwirren – und immer ist die Partitur erzählend, emotional, nah dran an Vigdis und dem, was ihr passiert.
Das Bühnenbild von Marvin Ott wirkt zunächst karg. Vor der Pause gibt es Wände, schraffiert wie Marmor, die immer neue Räume öffnen und verengen. Im zweiten Teil steht eine Treppe im dunklen Raum, die ebenfalls ein überzeugender Spielort für ganz verschiedene Szenen ist. Mit einer sehr präzisen Personenführung lotst Regisseur Nick Westbrock das Publikum durch die anspruchsvolle und komplexe Handlung und gestaltet die instrumentalen Zwischenspiele mit packenden Bildern. Vigdis, die später den jüdischen Namen Sarah Hamoutal annimmt, wird von der Sängerin Dusica Bijelic und der Tänzerin Lena Paetsch verkörpert. Ihre Geschichte läuft in einer Art Rückblende ab. Die Tänzerin ist immer präsent, beobachtet – mal aus der Nähe, mal aus der Distanz. Eine unaufdringliche zweite Ebene, die das Gleichnishafte der Handlung betont. Auch wenn die Christen hier zum größten Teil widerliche Fundamentalisten sind und die Juden unter ihnen leiden, wird klar, dass es um den Fanatismus geht, den jede Religion auslösen kann. Wenn sie als Alibi für Unmenschlichkeit und Machtstreben missbraucht wird.
Das Theater Bielefeld zeigt oft Zweitaufführungen zeitgenössischer Opern. Das hat den Vorteil, dass man Stücke von besonderer Qualität aussuchen kann, die anderswo bereits erprobt wurden. »The Convert« ist ein herausragender Musiktheaterabend, getragen von einem großartigen Ensemble.
9.5., 14.6., 29.6., 2.7. im Stadttheater Bielefeld