Wo steht der Opernbetrieb heute? Wie geht es weiter in einem Kulturbereich, der mit seinen Sänger*innen nach dem Lockdown zunächst als besonders gefährlich eingestuft wurde – durch die enorme Verbreitung von Aerosolen? »Wir befinden uns gerade in einer Reha-Phase«, so hatte Generalintendant Michael Grosse vor einiger Zeit den Saisonstart in Krefeld/Mönchengladbach beschrieben. Und damit zunächst den nur eingeschränkten Zuschauerverkehr gemeint: 300 bis 350 Plätze werden in der kommenden Saison nun in den Verkauf gehen – in einem eigentlich 700 Plätze umfassenden Haus. Die Abonnent*innen werden zuerst bedient. Als eine der Premieren ist Richard Wagners »Die Walküre« angekündigt. Mit fast vier Stunden Spieldauer, einem blechbläserstarken, spätromantischen Orchester und Getümmel auf dem Walkürenfelsen. Das klingt nicht nach vorsichtigem Wieder-Gehen-Lernen, sondern nach einer Hochleistungs-Oper. Pausen sind in Krefeld/Mönchengladbach allerdings zunächst tabu, da der Ein- und Auslass aus dem Saal organisatorisch schwierig und zeitaufwendig ist.
Nur eine Stunde Spielzeit
So gibt es in Krefeld keine ganze Walküre, sondern nur den ersten Akt zu sehen. Das intime Beziehungs- und Familiendrama in Hundings Hütte, das Wagner zwischen Siegmund, Sieglinde und Hunding erzählt, ist in sich abgeschlossen und mit rund einer Stunde Spielzeit durchaus abendfüllend. Die Orchesterpartitur wird ersetzt durch eine Bearbeitung für zwei Klaviere, Cello und Schlagwerk.
Dass solche reduzierten Instrumentalfassungen einen ganz eigenen Reiz haben können, zeigt das Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen immer wieder in seinem kleinen Haus. Dort hatte in der vergangenen Spielzeit Paul Linckes Revue-Operette »Frau Luna« Premiere. Die kleine Band-Besetzung tat der Partitur extrem gut, weil Lincke zwar ein großer Melodienerfinder, aber ein sehr einfallsloser Arrangeur war (eine Rezension von »Frau Luna« finden Sie hier).
Wegen des Lockdowns waren etliche Vorstellungen der Operette ausgefallen, daher wandert das Stück nun vom kleinen Haus auf die große Bühne. Gesungen wird über Mikroports, was in der leichteren Muse gerade noch erträglich ist, der Chor muss vom Band eingespielt werden. Dazu tragen die Sänger*innen durchsichtige Plastikvisiere, die auf der Bühne aber kaum auffallen dürften und dazu bei der Mondgesellschaft sogar perfekt zum Kostüm passen. Video-Projektionen, die schon im kleinen Haus aufgrund des fehlenden Schnürbodens wesentlicher Bestandteil des Bühnenbilds waren, werden nun auf der großen Bühne noch wichtiger. Auch Krefeld/Mönchengladbach kündigt viele Premieren als konzertante Aufführung mit Video- und Lichtinszenierung an. Ein bisschen Tiefstapelei kann erstmal nicht schaden.
Ist die Nachfrage nach kleiner besetzen Werken also gestiegen? Der Schott Musikverlag, aber auch bei Breitkopf & Härtel wird dies bestätigt. Als Beispiel aus seinem Portfolio nennt der Verlag »Die weiße Rose« von Udo Zimmermann. Die Edition Peters hat gleich einen eigenen Katalog mit Kammeropern aufgelegt, die bei den Originalwerken überwiegend aus dem 20. Jahrhundert stammen.
So startet auch die deutsche Oper am Rhein mit einem dieser kammermusikalisch besetzten Werke in die Spielzeit. Viktor Ullmann hatte »Der Kaiser von Atlantis« geschrieben, eine Allegorie, in der die Welt ins Chaos stürzt, weil der Tod seine Arbeit verweigert. Weil das Werk im Konzentrationslager Theresienstadt entstand, musste er sich bei der Besetzung auf die mitgefangenen Musiker beschränken.
»Staatstheater« an der Oper Bonn
Die Oper in Bonn beginnt mit der Nachholpremiere von Mauricio Kagels »Staatstheater« (eine Rezension dazu lesen Sie hier). Die Inkunabel des zeitgenössischen Musiktheaters ist wie gemacht für die Aufführung unter Corona-Bedingungen, weil sie eher musikalische Aktion auf der Bühne als klassische Oper mit Orchester im Graben und Gesangensemble ist.
Auch andernorts wurden die Häuser im klassischen Repertoire fündig: Das Aalto-Theater in Essen setzt mit »Orfeo|Euridice« von Christoph Willibald Gluck auf Frühklassik (hier geht’s zur Besprechung) und auch das Theater Hagen findet mit Joseph Haydns »Die einsame Insel« unter Corona-Bedingungen Spielbares, stellt allerdings noch mit »Marilyn Forever« von Gavin Bryars eine zeitgenössische Kurzoper daneben.
Das Theater Dortmund (»Entführung aus dem Serail« – zur Besprechung der Inszenierung hier entlang) und die Oper Köln (»Die Zauberflöte«) starten mit Mozart in die Spielzeit. Mit eher historisch orientierter Orchesterbesetzung ist das auch unter Abstand im Graben möglich, der Chor muss zugespielt werden. Am Theater Münster wird »Le nozze di figaro« zunächst geteilt an zwei Abenden gespielt.
Es gäbe einen neuen Trend zum inszenierten Liederzyklus, vermeldet der Schott Verlag und nennt als häufig nachgefragtes Werk »Dichterliebe« von Christian Jost. Bei Breitkopf & Härtel ist es »Schuberts Winterreise« von Hans Zender, die in NRW gleich drei Häuser zeigen, allerdings in Schuberts Originalfassung. In Hagen inszeniert Intendant Francis Hüsers ein Kammerspiel, in Krefeld/Mönchengladbach erarbeitet Robert North eine Choreographie.
Selbst da, wo sich das Musiktheater im erprobten Repertoire bewegt, wird die Spielzeit viel Offenheit vom Publikum fordern. Es gilt, auch das Bekannte durch ungewohnte Besetzungen und medial erweiterte Inszenierungen neu zu erkunden. Daneben warten unbekannte Werke auf ihre Entdeckung. Zuallererst gilt aber mehr als sonst: Wer beim Aufbruch in neue Musiktheaterwelten dabei sein will und kein Abo hat, muss sich sehr rechtzeitig um Karten bemühen, denn die Platzkapazitäten sind natürlich in allen Häuser weiter begrenzt.
Theater Krefeld: »Die Walküre – 1. Akt« (4. Oktober)
Musiktheater im Revier Gelsenkirchen: »Frau Luna« (5. September), »Die Winterreise« (13. Februar 2021)
Opernhaus Düsseldorf: »Der Kaiser von Atlantis« (19. September), »Die Winterreise« (5. Dezember)
Theater Bonn: »Staatstheater« (13. September)
Aalto-Theater Essen: »Orfeo|Euridice« (26. September)
Theater Hagen: »Die einsame Insel/Marilyn Forever« (12. September)
Oper Dortmund: »Entführung aus dem Serail« (4. September)
Oper Köln im Staatenhaus: »Die Zauberflöte« (3. Oktober)
Theater Münster: »Le nozze di figaro« (25. September)
Theater Krefeld: »Die Winterreise« (14. November)