Pure Funktion und kalter Rationalismus – die Nachkriegsmoderne hatte den Städten Schönheit und Spaß ausgetrieben. So sahen es zumindest die Architekten der Postmoderne in den 1970er Jahren. Mit einem Kanon aus als ewiggültig identifizierten Formen – Giebel, Säule, Portal, Rotunde und Apsis – stemmten sie sich dagegen und wollten das Erzählerische und die Ironie zurück in die Architektur bringen. Dekoration und Farbe gegen »Form follows Function«. Doch die Re-Historisierung der Architektur währte nur eine Generation.
Mielke + Scharff, ksg und RKW: »Belsenpark« in Düsseldorf
Es würde Aldo Rossi, Hans Hollein, Philip Johnson, Oswald Mathias Ungers und selbst Terry Farrell und Michael Graves nicht gerecht, sie mit den heutigen Vertretern der Retro-Achitektur in einem Atemzug zu nennen. Mit jenen Büros, die für Immobilienentwickler Luxuswohnanlagen und Geschäftshäuser realisieren, die meist ein »Park«, »Carrée«, »Palais« oder »Residence« im imagegebenden Namen tragen. Im von CA Immo entwickelten Düsseldorfer »Belsenpark« versammelt sich ein ganzer Haufen dieser Retro-Klötze um einen Grünstreifen mit Ententeich. Zum Belsenplatz hin blicken den Besucher zunächst zwei einfallslose moderne Bürogebäude an. Dahinter wird dann Luxus und Geschichte simuliert. Die Architekten von Mielke + Scharff, ksg und RKW kleben Natursteinplatten an die Sockel der Häuser, strukturieren Fassaden durch Gesimse horizontal, was Solidität symbolisieren soll, der allgegenwärtige französische Balkon steht für das mediterrane Flair, Symmetrie erhebt die Einfallslosigkeit zum klassischen Prinzip und Lampen kommen oft im Art-Deco-Look daher. Übermannshohe Zäune hegen Arrangements aus englischem Rasen, Tiefgaragen-Lüftungsschächten und gestutzten Hecken und Bäumchen, die auch aus Plastik sein könnten, ein.
Wo sich die Postmoderne noch über das Urbane Gedanken machte, ist diese Retro-Architektur völlig dem Städtischen abhanden gekommen. Sie minimiert den öffentlichen Raum und hat mit ihrer absurd historisierenden Formensprache keinerlei ästhetische Anbindung an die Umgebung. Das zeigt sich schon daran, dass sie genauso in Düsseldorf-Oberkassel wie in Essen-Rüttenscheid, in Berlin, München oder Köln herumsteht. Einzig Robert Venturis in der Postmoderne geprägtes Bild vom »dekorierten Schuppen« trifft noch immer zu. Das Solide und Handwerkliche ist nur vorgeblendet, pure Simulation. Wer im »Belsenpark« etwas genauer hinschaut, sieht, wie die Staunässe oberhalb der Simse in den Putz zieht, Algen und Schmutzfahnen die Fassaden rasant altern lassen und sich die Deko schon vom Beton löst.
Heinrich Böll: Gemeindezentrum in Essen-Altenessen
Wie erfrischend ist dagegen der kluge Retro-Charme eines Gemeindezentrums in Essen-Altenessen! Gebaut hat das Backstein-Kleinod der Essener Architekt Heinrich Böll 2017. Das weiße, auf filigranen Säulen ruhende Dach und das teilweise durchbrochene rote Mauerwerk geben dem Gebäude eine 50er-Jahre-Eleganz, die sich nahtlos in die Umgebung einpasst. Genauso schafft der Backstein den Bezug zur historistischen Kirche gegenüber. Durch die leicht verschobene Geometrie des Innenhofes und das mehrfach gefaltete Dach zeigt sich Bölls Entwurf gleichzeitig eindeutig zeitgenössisch und modern, ohne dabei aufdringlich und laut zu sein. Hier ist eine Architektur gelungen, die selbstbewusst mit und in der Umgebung besteht.