Ein neuer Preis, eine neue Ausstellung im Schauraum: Comic + Cartoon, eine Comic-Stadtschreiberin und die dritte Comic-Lesewoche – Dortmund legt sich für die Kunstform mächtig ins Zeug.
Wenn man eine Welthauptstadt des Comics küren müsste, würde man sich wahrscheinlich für New York City entscheiden, wo sowohl Marvel als auch DC Comics ihren Sitz haben. Oder man denkt an Brüssel, wo so viele Comiczeichner*innen leben wie nirgendwo sonst auf der Welt: 700 Künstler*innen schaffen hier rund 30 Millionen Hefte pro Jahr. Vielleicht kommt einem bei der Suche aber bald auch Dortmund in den Sinn – denn die Ruhrgebietsstadt hat ihre Aktivitäten auf dem Feld der Comics zuletzt stark erweitert.
Seit mittlerweile fünf Jahren gibt es den Schauraum: Comic + Cartoon direkt gegenüber des Dortmunder Hauptbahnhofs im Gebäude der Stadtbibliothek. Kurator Alexander Braun sorgt hier regelmäßig für überregionale Aufmerksamkeit und hat zuletzt mit einer Jubiläums-Ausstellung zum 35. Geburtstag der Simpsons den Vogel abgeschossen: Bald haben 30.000 Menschen die tolle Schau auf kleinem Platz besucht. Und schon das nächste, hochinteressante Programm kündigt sich an: »Black Comics« startet am 15. November und blickt anhand von Originalzeichnungen auf die Entwicklung von Schwarzen Figuren im Comic.
Diese wurden anfangs ausschließlich von Weißen gezeichnet, dann zunehmend und immer selbstbewusster auch von schwarzen Künstler*innen. Die Entwicklung während des 20. Jahrhunderts ist enorm: von einem kolonialistischen Tim und Struppi 1930 (»Tim im Kongo«) bis zu kongolesischen Zeichner*innen, von Schwarzen Sidekicks im Comic-Strip der 1910er Jahre bis zu Schwarzen Superhelden wie Black Panther oder einem Schwarzen Batman. Die Schau läuft bis zum 27. April 2025.
Auch abseits des Schauraums haben die Kulturbetriebe der Stadt den Comic ganz aktuell gestärkt: Am 7. Februar 2025 wird etwa der erste Dortmunder Comic-Preis verliehen, durch Oberbürgermeister Thomas Westphal höchstpersönlich. In der Stadtverwaltung ist Sophia Paplowski zuständig für den Schauraum und das Thema Comic und sie sagt: »Der Comic-Preis wurde auch aus der Notwendigkeit geboren, die Comicszene zu fördern. Comic kommt zwar immer mehr im Mainstream an, ist aber immer noch absolutes Nischenthema. Viele Comic-Einreichungen fallen aus normalen Ausschreibungen für Literaturpreise und-Stipendien heraus. Kulturschaffende in diesem Bereich benötigen aber dringend diese Förderungen.«
So ist Hannah Brinkmann die erste Trägerin des mit 10.000 Euro dotierten Dortmunder Comic-Preises. Die 34-Jährige stammt aus Hamburg und fühlt sich nicht nur geehrt, dass sie die erste Trägerin des neuen Preises ist, »der einer der wenigen in Deutschland ist, die exklusiv Comics ehren«. Sie freut sich auch ganz besonders, dass die Jury sie für ihre bereits 2020 erschienene Graphic Novel »Gegen mein Gewissen« geehrt hat und sie dadurch nochmal Aufmerksamkeit erfährt. Anhand ihrer eigenen Familiengeschichte erzählt sie darin von der Wiedereinführung der Wehrpflicht in der jungen Bundesrepublik seit 1957. Ihr pazifistischer Onkel Hermann scheiterte 1973 an der sogenannten Gewissensprüfung. Sein Leiden an der von ihm als ausweglos empfundenen Grundausbildung bei der Bundeswehr führte ihn schließlich in den Suizid.
»Hannah Brinkmann gelingt es in herausragender Weise, den politischen Diskurs der jungen Bundesrepublik und die Frage, ob ein Staat berechtigt sein kann, über das Gewissen seiner jungen Bürger zu entscheiden, mit dem persönlichen Schicksals ihres Onkels zu verknüpfen, den sie nie kennengelernt hat: eine gleichermaßen meisterliche wie empathische und somit äußerst preiswürdige Leistung«, befand die Jury. In ihr sitzen unter anderem Schauraum-Kurator Alexander Braun, Journalist Andreas Platthaus und die Medienwissenschaftlerin Veronique Sina, die sich für Comic stark macht.
Tatsächlich zieht Brinkmanns Comic mit großartig-detailreichen, auch ornamentalen Zeichnungen sofort in die Zeit der 1970er Jahre und gibt ein Gespür dafür, in welch einem gesellschaftlich-politischen Umfeld der Onkel als Jugendlicher lebt und seine pazifistische Grundeinstellung gegen harte Widerstände verteidigen muss. Die Chance, sich durch eine Ausmusterung der Wehrpflicht zu entziehen, ergreift er nicht. Er möchte seiner Überzeugung folgen – und das soll auch offiziell gehört werden.
Dortmund hat nicht nur den Schauraum: Comic + Cartoon und den Comic-Preis. In der Stadt gibt es mit dem Comic Haus und dem Comicland zwei gut laufende Comic-Läden. Seit Jahren laufen an verschiedenen Orten Veranstaltungen zum Thema Comic: im U, im Museum für Kunst und Kulturgeschichte, in der Stadt- und Landesbibliothek, unter anderem zur Leseförderung. Das Fritz-Hüser-Institut veranstaltete eine Konferenz zum Thema Comic. Und vom 18. bis 23. November findet an all den genannten Orten bereits die dritte Comic-Lesewoche statt – mit namhaften Gästen: Da liest zum Beispiel am 19. November Nicolas Mahler im Literaturhaus Dortmund aus »Komplett Kafka« und am 23. November Hennes Bender im Kino im U aus seiner mittlerweile neunten Asterix-Übersetzung ins Ruhrdeutsche: »Glück auf, der Gallier kommt«.
Wie kann man sich eine Comic-Lesung vorstellen? Meistens, eigentlich immer, gibt es zur Stimme der Lesenden Visualisierungen: Manchmal wird einfach die passende Comic-Seite mit den Sprechblasen an die Wand geworfen. Manchmal erscheint die Schrift erst, wenn sie auch im gelesenen Text vorkommt. Manchmal haben die Zeichner*innen aus ihrem Comic sogar einen kleinen Film animiert. Und manchmal wird auch passende Musik zur Geschichte eingespielt und das Ganze vollends zum multimedialen Spektakel.
Die erste Comic-Stadtschreiberin
So war es zum Beispiel, als die in Mainz geborenen und in Hamburg lebenden Ika Sperling zum Jubiläum fünf Jahre Schauraum zur Comic-Lesung nach Dortmund kam. »Da kamen nachher viele Menschen auch aus der Politik zu ihr und sagten: Das ist großartig, jetzt haben wir verstanden, wie toll Comic-Lesungen sind!«, erinnert sich die Dortmunder Comic-Verantwortliche Sophia Paplowski. Deshalb war Ika Sperling auch keine Unbekannte, als sie sich für die Residenz als Stadtschreiberin bewarb. Ab Mai 2025 wird sie nun als erste Comic-Stadtschreiberin in Dortmund aktiv sein – ihre Vorgänger*innen waren alle auf dem Feld der Literatur oder Lyrik angesiedelt.
Sperling hat sogar schon Erfahrung als Stadtschreiberin, 2023 hat sie als solche Zeit in Rottweil verbracht. Das zeigt zum einen, dass Zeichner*innen auf solche Stipendien weiter angewiesen sind – aber auch, dass die Residenz-Programme ihre starren Richtlinien zu öffnen bereit sind. Ihr Graphic-Novel-Debüt heißt »Der große Reset«, erschien im Mai im renommierten Verlag Reprodukt und wurde mit dem Hamburger Literaturpreis in der Kategorie »Comic« ausgezeichnet. Die Autorin erzählt darin von einem Besuch im Dorf ihrer Kindheit, wo sie vom Alltag mit einem Verschwörungsgläubigen erzählt.
»Ich will in meinem Buch nicht auf Verschwörungsgläubigen herumhacken, mich über sie lustig machen oder sie bloßstellen«, sagt Ika Sperling. »Aber ich will ihren demokratiefeindlichen Ideologien auch keine weitere Bühne bieten. Es handelt sich auch nicht um einen wissenschaftlichen Ratgeber für Angehörige. ‚Der große Reset‘ ist ein persönlicher Erfahrungsbericht, der sich, im Schatten eines großen gesellschaftlichen Konflikts, auf familiäre Beziehungen, Emotionen und Kommunikation bezieht und diesen im Kleinen widerspiegelt.«
Für die Dortmunder Stadtschreiberschaft hat sie sich mit einem konkreten Projekt beworben: Sie will mit den Jugendszenen in Kontakt kommen, sich anschauen, wie sie Räume für sich erobern. Darüber will sie eine eigene Graphic Novel schreiben. Eine Graphic Novel also, die mitten in Dortmund spielt, der Comic-Hauptstadt mindestens des Ruhrgebiets.
»Black Comics: Vom Kolonialismus zum Black Panther«
Schauraum: Comic + Cartoon
15. November bis 27. April
Comic-Lesewoche
18. bis 23. November
verschiedene Orte in Dortmund