Von der Menstruation bis zur Menopause erstreckt sich das Themenfeld, das fünf Zeichnerinnen der Comic-Ausstellung »Aus der Rolle gefallen« bearbeiten. In der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen werden geschlechtsspezifische Erzählmuster aus weiblicher Perspektive hinterfragt.
Sie kämpfen gegen das Böse und retten die Welt mit links. Gemeint sind »Superheldinnen« wie Batgirl oder Black Widow. »Schön wie Aphrodite, weise wie Athena, schnell wie Merkur und stark wie Herkules«, so beschreiben die DC-Comics-Macher*innen ihr Geschöpf Wonder Woman – 1941 schon hatte die Pionierin die Männerdominanz in der Comicszene ins Wanken gebracht. Eine Amazone mit Sexappeal, deren aufreizender Look sich als Mix aus Barbie, Pin-up-Girl und Pornostar erweist.
Superheldinnen kennt auch die aktuelle Comic-Literatur. Batgirl etwa, kreiert von Franziska Becker, Urgestein der Karikaturist*innen-Szene, langjährige Cartoonistin des Magazins Emma. Derweil bereicherte Lisa Frühbeis, wie Becker durch ihre feministischen Comics bekannt geworden, das Repertoire durch eine Ausnahmefrau namens Busen-Wonder-Woman. Begegnen kann man den beiden nun in einer Ausstellung der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen.
»Aus der Rolle gefallen. Deutsche Comiczeichnerinnen im Blick«, heißt die Schau, an der neben Franziska Becker und Lisa Frühbeis drei weitere Zeichnerinnen beteiligt sind, nämlich Julia Bernhard, Mia Oberländer und Paulina Stulin. Mit Ausnahme von Becker, der Altmeisterin der Zunft (Jahrgang 1949), kümmern sich die Künstlerinnen, geboren zwischen Mitte der 80er und 90er Jahre, sowohl um die Illustration als auch um die Texte, nehmen also alles, was eine Bildergeschichte benötigt, in die eigene Hand.
Zurück zu den Superheldinnen: In ihrer Kolumne »Den Frauen ein Vorbild« setzt Frühbeis ihre Busen-Wonder-Woman als Gegenbild und Parodie der klassischen Heroinen in Szene. Die Protagonistin der Episode möchte keiner medialen Figur nacheifern, »bei der der Busen rausfällt, weil der Charakterdesigner zu viele Pornos angeschaut hat«, wie es im Comic heißt.
Gleichfalls mit feministischer Stoßrichtung, freilich deutlich dynamischer kommt Beckers Batgirl daher. Die Wachablösung im Superheroes-Kosmos wird im Einstiegspanel unmissverständlich signalisiert: »Der gute alte Batman ist doch schon lange ein alter, abgelaberter Sack!«, heißt es dort. »Ich, seine Nichte, habe längst das Kommando übernommen.« Gemeinsam mit ihrer Busenfreundin Robina, mit der Batgirl obendrein das Bett teilt, zieht sie zu Felde gegen die Mächte der Finsternis. Die ortet Franziska Becker auf einem Terrain, das von Superman, Spider-Man oder Captain America vernachlässigt wurde: »Miese Chauvis haben sich in den Lesbenclub geschlichen, um Randale zu machen. Sie haben die Rechnung ohne Batgirl und Robina gemacht.«
Ein Beispiel, das den Tenor der Ausstellung auf den Punkt bringt: Die herkömmlichen Erzählmuster der Comics werden aus der weiblichen Perspektive hinterfragt und umgestrickt. In den Exponaten – Originalzeichnungen findet man ebenso wie Reproduktionen aus Comic-Kolumnen und Graphic Novels – geht es beispielsweise um Schönheitsideale, Sexualität oder das tendenziell problematische Verhältnis zum eigenen, als unzureichend empfundenen Körper; aufs Tapet gebracht werden ferner Geschlechterklischees, Identität, Gleichberechtigung und soziale Tabus.
Kuratorin Leonie Neidert verortet die Zeichnerinnen in einer rebellischen kunsthistorischen Ahnenreihe, zu der unter anderem feministische Vorkämpferinnen wie Niki de Saint Phalle, Yoko Ono oder Valie Export gehören. Kommt das Patriarchat der Karikaturist*innen im Ausstellungsprogramm der Ludwiggalerie zu Wort und Bild durch Walter Moers (seine Schau »Was gibt’s denn da zu lachen?« läuft parallel) und Loriot (die Hommage »Ach was« startet im Januar 2025), so ragt beim Frauen-Quintett Franziska Becker hervor: Seit der ersten Emma-Ausgabe, erschienen 1977, ist sie der Zeitschrift als Cartoonistin vom Dienst verbunden. Ein guter Grund, um ihr im »Kabinett« im Kleinen Schloss der Ludwiggalerie einen eigenen Bereich zu widmen.
In ihren detailreichen Wimmelbildern werden die Rollenbilder von Frau und Mann genüsslich durch den Kakao gezogen. Und gegen den Strich gebürstet – oft witzig, manchmal arg platt. So treffen wir auf »Dr. Minni Metzel. Die Ärztin, der die Männer vertrauen«. Sofern sich MM nicht gerade um das Wohl ihrer Patient*innen kümmert, animiert sie einen Assistenzarzt zum One-Night-Stand im Bereitschaftszimmer. Wenn in einem anderen Cartoon von Franziska Becker eine Bauarbeiterin mit dem Diamantbohrer das Straßenpflaster aufreißt, fallen den Männern an der Bushaltestelle prompt die Hosen runter.
Lisa Frühbeis setzt sich unter anderem mit der Menstruation auseinander. In ihrer Anatomie-Story »Der Tausch« malt sich die in Augsburg lebende Karikaturistin aus, wie Alltag und Beziehungsleben eines menstruierenden Mannes aussehen könnten. Männer, denen »jeden Monat ein einziges kostbares Spermium« zur Verfügung steht, sehen sich in puncto Ejakulation zum Haushalten gezwungen.
Julia Bernhard dröselt den körperlichen Veränderungsprozess vom anderen Ende her auf: In ihrer Serie »Wer hat Angst vor Maren Kroymann?« befasst sich die Berliner Zeichnerin mit dem Thema Wechseljahre. Offenbar ein vermintes Terrain vor allem im bisexuellen Diskurs: »Dass man bis heute nicht entspannt über die Periode reden kann, wissen wir ja bereits«, heißt es in dem Comic. »Aber versucht erstmal, im Beisein von Cis-Männern das Gespräch auf die Menopause zu lenken.«
Inzwischen hat das Freibad seine Unschuld als Ort unbeschwerten Badevergnügens längst eingebüßt. In Paulina Stulins bildfüllend farbiger Graphic Novel, inspiriert von einem Doris-Dörrie-Film, erscheint das Frauenfreibad als garstige Arena, wo fiese Gäste über mopsige Bikini-Trägerinnen oder muslimische Schwimmgäste im Burkini ablästern. Diffuse Fragen finden eine eindeutige Antwort: »Wann ist denn eine Frau eine Frau?« – »Da brauch ich nur meinen Slip runterzuziehen! So einfach ist das.«
Dass auch großgewachsene Frauen ins Fadenkreuz geschlechtsspezifischer Normen geraten können, davon handelt Mia Oberländers Graphic Novel »Anna«. »Großsein ist etwas Tolles, denkt man. Man denkt an Heidi Klum…«, ist auf einem der Panels zu lesen. Doch man ahnt, dass dies nur die halbe Wahrheit ist. Wer das gesamte Comic-Buch der in Hamburg lebenden Zeichnerin durchmustert und die eindrucksvoll-lakonischen, beinahe an Giacometti erinnernden Vertikalfiguren auf sich wirken lässt, kommt zwangsläufig zu dem Schluss: Hinter jeder großen Frau steht ein großes Problem.
»Aus der Rolle gefallen. Deutsche Comiczeichnerinnen im Blick. Franziska Becker,
Julia Bernhard, Lisa Frühbeis, Mia Oberländer, Paulina Stulin«
Ludwiggalerie Schloss Oberhausen
bis 2. Februar 2025