Vor dem Schloss Oberhausen haben sie Wilhelm Busch ein Denkmal gebaut, oder besser gesagt, von Ralf König zeichnen lassen – zwar nur vorübergehend und aus Sperrholz, aber immerhin. Von einem Lorbeerkranz gekrönt reckt der Pionier der Bildergeschichten eine Tuschfeder zum Himmel, unter dem Arm trägt er das berühmte Doppelporträt von Max und Moritz, und auf dem Denkmal ist »Das deutsche Volk hat auch Humor!« vermerkt. Im Turmzimmer treffen wir auf Max und Moritz, den schöngeistigen Hofhund Tassilo mit Hang zum Haiku aus Volker Reiches »Strizz«, den Igel Mecki sowie Walter Bromme, den gutmütig-sensiblen Homosexuellen aus Ralf Königs »Der bewegte Mann«. Sowie das kleine Arschloch.
Mecki: Na toll, alle sind pünktlich. Nur einer wieder nicht.
Max und Moritz: Natürlich nicht. Er ist ja auch ein kleines Arschloch. Hehehe.
K.WEST: »Ach, was muss man oft von bösen Kindern hören oder lesen« – ihr beiden, ihr würdet doch heute auch als Terror-Kids durch die Boulevardblätter gereicht.
Max und Moritz: Wahrscheinlich. Stattdessen sind wir aber seit 150 Jahren Weltliteratur! Wir haben gestohlen, Tiere und Menschen gequält, haben Sachbeschädigung begangen und einen Sprengstoffanschlag auf einen Lehrer verübt! Heute gilt das als die berühmteste Lausbubengeschichte der Welt!
Walter Bromme: Das könnt ihr doch echt nicht machen, da Schwarzpulver in diese Meerschaumpfeife packen, damit die beim Anzünden explodiert. Der Lämpel war doch später von den Brandwunden total gezeichnet!
K.WEST: Apropos gezeichnet: Wilhelm Busch hat in seinen Zeichnungen die Explosion, den Moment, als Pfeife und Möbel auseinanderfliegen, mit dynamischen Speedlines illustriert, und so schon damals die gesamte Manga-Ästhetik vorweggenommen.
Tassilo: Und erst die Sprache in Wilhelm Buschs Werken! Diese grammatikalischen Kühnheiten! Worttrennungen, wo sie keiner erwartet! »Jeder weiß, was solch ein Mai- / käfer für ein Vogel sei.« Das muss man sich erst mal trauen. Lautmalereien wie »Rickeracke« oder »Ritzeratze«! Wunderbar! Die meisten von Buschs Bildergeschichten sind in vierhebigen Trochäen verfasst – »Máx und Móritz, diese béiden / Móchten íhn darúm nicht léiden.«
Stimme von der Treppe: Vierhebige Trochäen, was soll’n das sein? Eine Geschlechtskrankheit?!
K.WEST: Ach, das kleine Arschloch ist auch schon da. Schön, dass Sie es doch noch einrichten konnten!
Das kleine Arschloch: Ich musste noch Peppi, die Töle von Frau Mövenpick, um den Block schleifen.
Tassilo: Kulturbanause! Trochäus kommt aus dem Altgriechischen, steht für Läufer und bezeichnet einen Versfuß, in welchem auf eine betonte eine unbetonte Silbe folgt. Weil dieser oft in griechischen Chorliedern vorkommt, wird er auch Choreus genannt. Hab ich vorhin noch gegoogelt.
K.WEST: Es gab 1901, noch zu Buschs Lebzeiten, den amerikanischen Verleger Randolph Hearst, der war von den beiden so begeistert, dass er something like Max und Moritz suchte. Aus dieser Idee sind dann die Katzenjammer-Kids entstanden, die zwar nicht als Buch, sondern als Strips in den US-Zeitungen erschienen.
Mecki: Auch Lyonel Feiniger hat damals Comics gezeichnet – »Wee Willie Winky«. Aber hier in Deutschland kamen doch erst in den 50er Jahren die Comics wieder in Mode, oder?
Max und Moritz: Ja, die mit dir meinst du? Total langweilig. Ein Igel in Menschengestalt! Kein Wunder, dass die später in der Hörzu abgedruckt wurden. Genauso harmlos-bieder wie »Vater und Sohn« von e.o. plauen.
Das kleine Arschloch: Ich hab gerade unten in den Vitrinen Propaganda-Comics aus den 40er Jahren gesehen, und daneben lag ein deutscher Superhelden-Comic von 1934. Echt krass.
K.WEST: Der ist damals im Magazin Die Gartenlaube erschienen – »Famany: Der fliegende Mensch« von F.F. Oberhauser und E.G. Hildebrandt. Schauplatz ist New York und von der Bildsprache her hat er damals »Batman« oder »Superman« vorweggenommen. Ganz großartig!
Das kleine Arschloch: Hähä, Oberhauser in Oberhausen!
Walter Bromme: Klappe jetzt! Ich fand früher ja »Fix und Foxi« ganz gut. Und später die Sachen von Jamiri, Robert Gernhardt, Bernd Pfarr, Ulf K. und natürlich »Space-Dog« von Hendrik Dorgathen; die sind auch alle hier in der Ausstellung vertreten.
Das kleine Arschloch: Dieses ganze Schlaumeier-Zeugs. Mein Vater, Walter Moers, hat das ja auch gemacht. Zuerst gab es mich, und später kam er mit »Käpt’n Blaubär«, diesem Kontinent Zamonien und »Die Stadt der träumenden Bücher« um die Ecke – und er hat sogar Erfolg damit! Da pöbelt man sich jahrelang mühsam durch Comic-Bücher, ist ordinär und psychopatisch und dann das: Niveau! Ich glaub’ es hackt!
Mecki: Du bist so 90er! Da muss man mit umgehen, dass man zu einer gewissen Zeit erfolgreich ist. Guck mich an, ich war das Nachkriegsmaskottchen Deutschlands – anfangs äußerlich ein wenig heruntergekommen, aber bauernschlau! Für die meisten Deutschen war ich aber immer schon da. Irgendwann wird man dann doch zum Klassiker, genau wie Lurchi!
Max und Moritz: Ihr wart doch alle die bundesrepublikanische Entsprechung für Disneys Micky Mouse – vermenschlichte Tiere. »Lurchi« wurde den Kinder als Entschädigung für den ertragenen Schuhkauf kostenlos aufgedrängt, anfangs noch in sütterlinartiger Schreibschrift; und der Frosch mit der Polizeimütze hatte was von Hermann Göring.
Tassilo: Alles nicht so meine Welt. Ich habe monatelang unter dem Fernsehprogramm des FAZ-Feuilletons wohnen dürfen, das hatte in der Tat Niveau. Einer meiner Nachbarn, der Andreas Platthaus, hat immer von diesen Graphic-Novels erzählt, wie der Comic-Biografie »Johnny Cash – I see a Darkness« von Reinhard Kleist, eine düstere Geschichte in Stil expressionistischer Holzschnitte; sehr beeindruckend. Aber Sie, werter Herr kleines Arschloch, sind wahrscheinlich schon bei der Lektüre von Mangas überfordert, denn die muss man ja von hinten nach vorne lesen!
Das kleine Arschloch: Was soll der Quatsch denn? Ich les meine Porno-hefte doch auch nicht von hinten nach vorne!
Tassilo: Das ist eben die japanische Kultur und die Struktur der Mangas. Es gibt aber seit einigen Jahren das Genre der Germangas, die von deutschen Zeichnerinnen wie Martina Peters gestaltet werden. Hochfaszinierend. Die deutsche Comicszene wird zunehmend internationaler, sei es durch diese Mangas, oder durch Zeichner wie Nic Klein, der in Kassel lebt und arbeitet, und von dort über das Netz an DC/Marvel-Heften wie »Thor – God of Thunder« oder »Captain America« mitzeichnet.
K.WEST: Für den Moment reicht das. Vielen Dank, meine Herren – für die mehr oder minder qualifizierten Aussagen. Übrigens, Herr Bromme – Ralf König kommt am 30. November zu einer Lesung und Signierstunde vorbei. Flix am 26. Oktober, und am 16. November kann man Martina Peters während eines Cosplay-Treffens beim Manga-Zeichnen über die Schulter schauen. Hendrik Dorgathen ist mit seiner Band The Almost Three am 11. Dezember da.
Walter Bromme: Ralf König? Nie gehört.
»Streich auf Streich – 150 Jahre deutschsprachige Comics seit Max und Moritz«, 14. September 2014 bis 18. Januar 2015. Ludwiggalerie Schloss Oberhausen. Tel: 0208/4124928. www.ludwiggalerie.de