Eine große Ausstellung in der Ludwiggalerie Oberhausen würdigt das Gesamtwerk Loriots, dessen komische Kunst längst ins kulturelle Gedächtnis übergegangen ist – und erinnert auch an seine erste Ausstellung in seinem Geburtstort in der DDR.
Wäre er nicht 2011 gestorben, hätte Loriot 2023 seinen 100. Geburtstag gefeiert. Das Frankfurter Museum Caricatura zeigte im Jubiläumsjahr die Ausstellung »Ach was. Loriot zum Hundertsten« – aus ihren Beständen hat die Ludwiggalerie Oberhausen jetzt »Ach was. Loriot – Künstler, Kritiker und Karikaturist« zusammengestellt. Wenn man ehrlich ist, muss man eingestehen: Es wäre wohl fast egal, was das Museum genau zeigen würde. Solange »Loriot« drauf steht, dürfte einer Ausstellung großer Erfolg beschieden sein – so ungebrochen ist die Liebe der Deutschen zu dem Mann, der ihre Sitten und Gebräuche, ihre Kommunikation und ihre Doppelmoral so herrlich durch den Kakao gezogen hat.
Nehmen wir den Titel beider Ausstellungen: Man kann gar nicht so genau sagen, was einen immer noch schmunzeln lässt, wenn jemand in einem Gespräch mit »Ach was« antwortet. Der Ausspruch lässt viele Deutungen von wirklicher Überraschung bis zu höflichem oder schlecht geheucheltem Interesse zu und es liegt einfach viel Wahrheit in seiner Überspitzung. Menschen, die mit der deutschen Sprache aufgewachsen sind, gehen wirklich so miteinander um – und man weiß nicht, was ist die Henne und was ist das Ei: Hat Loriot Aussprüche wie »Früher war mehr Lametta« oder »Sagen Sie jetzt nichts« einfach abgeschaut oder hat er sie erfunden und sie sind in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen?
Es könnte heute immer noch vorkommen, dass sich bei einem Date, auch wenn es online ausgemacht wurde, zwei Menschen gegenüber sitzen – und einer hat vielleicht eine Nudel im Gesicht. Auch der Sketch über den Mini-Luftschutzbunker zum Preis eines Geschirrspülers, in dem Loriot mit seiner kongenialen Fernseh-Partnerin Evelyn Hamann eng eingezwängt sitzt, bekommt in einer Zeit neuer Kriegsszenarien wieder Aktualität.

Geht es um Staubsauger-Vertreter oder den Marschmusik hörenden Opa Hoppenstedt, mögen manche seiner Fernseharbeiten vielleicht für heutige junge Menschen etwas in die Ferne gerückt sein. Aber Sarah Hülsewig, die Kuratorin der Ausstellung, sagt: »Ich habe die steten Wiederholungen der Sketche in lebendiger Erinnerung. Im kulturellen Gedächtnis ist Loriots Humor nach wie vor stark verankert«. Hülsewig ist Jahrgang 1989, war also zwei Jahre alt, als der Komiker seinen letzten Film »Pappa ante portas« in die Kinos brachte.
Beim Sichten der Ausstellungsstücke hat Sarah Hülsewig vor allem Loriots Gesellschaftskritik fasziniert, die teilweise auch harsch und beißend sein kann. »Der Kern der Ausstellung ist ein Konvolut von 400 Zeichnungen, die wir auch alle zeigen«, sagt die Kuratorin. »Viele sind in Vergessenheit geraten und nicht in den Büchern erschienen, die man aus den Zeichnungen zusammengestellt hat.« Jahrzehnte lang hat Loriot seit den frühen 1950er Jahren für Illustrierte wie Stern, Quick oder Weltbild Cartoons gezeichnet und einige von ihnen, die in der Schau zu sehen sind, sind tatsächlich nur in einer Zeitschriften-Ausgabe zu sehen gewesen.
Protagonist*innen der Zeichnungen sind stets aus der Zeit gefallene und damit überzeitlich gültige Jedermanns: Die Knollnasenmännchen (oder -weibchen). Die Männchen tragen Bowler-Hut und Stresemannanzug, Kleidungsstücke aus dem späten 19. Jahrhundert, einer Zeit, die für Loriot immer von großer Bedeutung war. Der Witz entsteht meistens durch eine Text-Bild-Schere, die meist darauf zurückzuführen sein wird, dass der Humorist sich durch hunderte Seiten von Ratgeber-Literatur wie den Knigge durchgearbeitet hat. Die Figuren in den Cartoons sprechen nicht direkt durch Sprechblasen miteinander, der Text steht immer unter den Zeichnungen, so dass die Bilder auch stärker selbst sprechen und die Schere deutlicher wird.
Behördendeutsch und beißende Kommentare
Da ist zum Beispiel der Mann im Publikum einer Theater- oder Opern-Aufführung. Im ersten Bild (das mit »Falsch« unterschrieben ist) isst er Brötchen aus der Tüte, im zweiten Bild (»Richtig«) ein Tellergericht mit Messer und Gabel. Loriots Text dazu: »Niemand kann Ihnen eine Mahlzeit während der Vorstellung verwehren. Das Auswickeln von Broten und Süßwaren verursacht störendendes Knistern. Warme Tellergerichte dagegen sind nicht nur bekömmlicher, sondern auch geräuscharm einzunehmen.« Dieser Einsatz von Sprache ist typisch: Sie klingt sehr beflissen und korrekt, nicht nur nach Ratgeber-Literatur, auch nach Behördendeutsch, hat aber diesen feinen, freundlichen Humor und strahlt dadurch eine Wärme aus.
Beißender wurde es, wenn Loriot sich seltener tagesaktuellen, politischen Themen zugewandt hat: Da gibt es zum Beispiel die Collage aus einem echten Foto des CSU-Politikers Franz Josef Strauß, das ihn in einem Schwimmbecken zeigt. Der Karikaturist hat ein sinkendes Schiffchen mit einer SPD-Flagge und eine schimpfende ältere Knollnasendame dazu gezeichnet und ergänzt den Schriftzug: »Nimm doch die Spielerei nicht so ernst, Franz Josef.«
Die Oberhausener Ausstellung zeigt allerdings nicht nur die Cartoons. Auch erste Arbeiten, die der Protagonist als Gebrauchsgrafiker gefertigt hat, sind zu sehen, Bild-Stills aus seinen Fernseh-Sketchen, und außerdem interessante Objekte wie Filmpreise, ein grünes Sofa (leider nicht ganz das originale aus seiner Fernsehsendung) und eine Säule. Die Säule stand im Eingangsbereich von Loriots Anwesen und wenn er prominente Gäste empfing, bat er sie immer, für ein Foto an ihr zu posieren. Viele erlaubten sich mit dieser Aufgabe Scherze, einer posiert mit dem Rücken zur Kamera und es sieht aus, als würde er an der Säule seine Notdurft verrichten.
Loriot inszenierte auch Oper
Was man selten bis gar nicht zu sehen bekommt ist das Bühnenbild, das Loriot für eine seiner beiden Operninszenierungen gefertigt hat: »Der Freischütz«, 1988. Genau wie in seinen Fernseh-Sketchen oder -Filmen hat der Künstler hier akribisch gearbeitet und nichts dem Zufall überlassen. Das Bühnenbild, das an das klassische Illusionstheater, das bis ins 19. Jahrhundert (und auch danach noch) üblich war, erinnert, hat er als detailliertes Modell gefertigt – in Oberhausen kann man es eingehend betrachten. Auch die Kostüme hat er selbst entworfen. An diesen Entwürfen zeigt sich, dass er durchaus nicht als progressiver Künstler wahrgenommen werden muss. Loriot hatte selbst eine konservativ-spießige Seite, führte vielleicht selbst ein bürgerlich-konventionelles Leben wie die Figuren, über die er sich so gern lustig gemacht hat.
Die ersten vier Lebensjahre verbrachte der 1923 als Bernhard-Viktor Christoph-Carl von Bülow (kurz Vicco von Bülow) auf die Welt Gekommene in Brandenburg an der Havel. Lebenslang verband ihn eine besondere Beziehung zu seinem Geburtsort und ein besonderes Alleinstellungsmerkmal der Oberhausener Schau ist, dass sie als Ergänzung zur Retrospektive die Geschichte einer historischen Ausstellung erzählt: Dieser Bereich ist mit »…als größtes Hindernis die Grenze« überschrieben und informiert über den Hintergrund von Loriots erster Ausstellung in der DDR. Sie fand im Mai 1985 im Dommuseum Brandenburgs statt und geht auf eine Initiative von dessen Leiterin Gerda Arndt zurück.
Da die DDR Mitte der 1980er Jahre schon erste Auflösungserscheinungen zeigte, war den Politik-Kadern nicht an der Einladung eines im Westen erfolgreichen Komikers gelegen. Die Aktivitäten der Kirche entzogen sich allerdings zumindest teilweise ihrem Einflussbereich. Die Exponate konnten durch die abenteuerliche Schmuggel-Aktion eines Rentners besorgt werden, der bei Loriot in Bayern persönlich Zeichnungen abholte und sie in seinem Reisegepäck versteckte.
Die Schau in der Schau erzählt in der Ludwiggalerie damit anschaulich ein weiteres Stück deutsch-deutscher Geschichte – und macht deutlich, dass Loriots Humor offenbar in beiden Landesteilen verstanden und geliebt wurde: Bei der Eröffnung 1985 platze der Brandenburger Dom aus allen Nähten. Und auch nach Oberhausen werden die Menschen sicher strömen.
»Ach was. Loriot – Künstler, Kritiker und Karikaturist«
Bis 18. Mai
ludwiggalerie.de