Instagram, TikTok und YouTube, Computer-Spiele, interaktive Animationen, multimediale Reportagen… Im Netz finden sich diverse Formate und immer mehr Möglichkeiten, Informationen zu vermitteln. Es ist ein spannendes, sich immerfort wandelndes Feld, das der Grimme Online Award seit mehr als zwanzig Jahren in den Blick nimmt. Angebote werden gesammelt, gesichtet, bewertet und besonders gelungene werden ausgezeichnet. Diesmal hätten deutlich weniger Einreichungen aus dem breiten Mittelfeld herausgestochen als in den Jahren zuvor, so stellte die Kommission unverhohlen fest: »In diesem Sinne war dies leider kein herausragender Jahrgang der Online-Publizistik in Deutschland.«
Trotzdem sind 27 wirklich interessante Beiträge zusammengekommen. Die Jury hat sich an die Arbeit gemacht und wird einige Zeit damit beschäftigt sein, die Besten unter den Besten in vier Kategorien heraussuchen – bis zu acht sollen es sein, die am 23. Juni nach der Preisverleihung in der Kölner Flora eine Trophäe mit nach Hause nehmen können. Auch gibt es wieder einen Publikumspreis: Jede*r kann mitmachen und online voten. Die Wahl wird aber sicher nicht leichtfallen, auch wegen der Vielfalt an Inhalten und Formaten. Stark vertreten sind diesmal Podcasts in allen Kategorien – von »Information« über »Wissen und Bildung« bis zu »Kultur und Unterhaltung«.
Ziemlich preisverdächtig scheint Lukas Sam Schreibers Audio-Dokumentation »Aitutaki Blues«. Gemeinsam mit seiner Mutter, der Kölner Schriftstellerin Claudia Schreiber, geht der junge Autor hier mit dem Thema Alzheimer um. Eine berührende Krankheitsgeschichte aus erster Hand. Denn Claudia Schreiber selbst ist die Protagonistin: Mit Anfang 60 erhält sie die niederschmetternde Diagnose. Und der Sohn hilft ihr nun dabei, sich ihren großen Traum von einer Fahrt in die Südsee noch zu erfüllen.
Auf der Reise schalten die beiden immer wieder das Aufnahmegerät ein – wenn sie sehr ehrlich über die Krankheit sprechen, über ihre Gefühle, Freuden und Ängste. Wenn sie über all das reden, was uns zu denen macht, die wir sind. Nach der Heimkehr schneidet Lukas Sam Schreiber aus dem rund zwölf Stunden umfassenden O-Ton-Material seinen siebenteiligen Podcast »Aitutaki Blues« und ist glücklich über die Reaktionen, die er seither erfahren hat. Besonders gefreut habe ihn die E-Mail einer Pflegekraft, die seit elf Jahren mit Demenz-Erkrankten arbeite: Erst durch unseren »Aitutaki Blues« habe sie verstanden, wie die Betroffenen sich wirklich fühlen.
Beim Stöbern durch die 27 ausgewählten Angebote beeindrucken die oft sehr aufwändigen Recherchen, die den Podcasts zugrundeliegen: Unter dem Titel »Breitscheidplatz« wird da etwa der Frage nachgegangen, was bei dem islamistischen Anschlag in Berlin wirklich passiert ist, und ob er hätte verhindert werden können. Ein anderer Podcast beschreibt in zwölf Folgen das Leben von Mohamedou Slahi, der von den USA unter Terrorverdacht inhaftiert und gefoltert wurde – zu hören ist unter anderem ein Gespräch zwischen dem Opfer und seinem Peiniger.
Ein gelungenes Beispiel bietet auch Alexander Gutsfeld, der in seinem fünfteiligen Podcast »Narcoland« für die Aachener Zeitung das Thema Crystal Meth im Dreiländereck angeht. Der junge Journalist reiste dazu etwa in ein Drogenlabor in Limburg und zu einem ehemaligen Meth-Koch nach Prag. »Das Coole am Podcast ist für mich, dass man vieles aus der eigenen Recherche miterzählen kann«, so Gutsfeld. Dinge, die in einer klassischen Printreportage nicht möglich seien. »Man kann sich ja über mehrere Folgen Zeit nehmen, seine Geschichte zu erzählen. Und anders als beispielsweise in einer Videoreportage kommt man beim Podcast sehr nah dran an seine Protagonisten.«
Wieder ganz andere Möglichkeiten der Vermittlung bietet Instagram. Genutzt werden sie etwa von der Bonner Historikerin Charlotte Jahnz, die den Account »Ich bin nicht Sophie Scholl« ins Leben gerufen hat und mittlerweile mit zwei Mitstreiterinnen betreibt. Ursprünglich als kritische Reaktion auf das Insta-Projekt »Ich bin Sophie Scholl« des Bayerischen Rundfunk und des Südwestdeutschen Rundfunk entstanden, läuft der Kanal inzwischen gelöst davon weiter und bringt den Followern sachlich und packend zugleich das Unfassbare nahe. In den Posts kommen die Schicksale vieler, auch unbekannter Widerstandskämpfer*innen aus der NS-Zeit zur Sprache. Und immer wieder wird die Maschinerie des Folterns und Mordens beschrieben. Zum Beispiel mit Blick auf den Alltag im Konzentrationslager Sachsenhausen, wo Häftlinge auf einer speziellen Teststrecke Tag für Tag 48 Kilometer zurücklegen mussten, um Schuhe zu »testen«.
Podcasts und Instagram-Accounts gehören mittlerweile zu etablierten Größen beim Grimme Online Award – dies zeigen auch die Nominierungen. Für die Zukunft hoffen die Experten nun auf mehr Mut zum Experiment – auf Plattformen wie TikTok etwa. Auch frische Ideen, wie man sich Virtual- oder Augmented Reality publizistisch zunutze machen kann, wären wünschenswert – denn die hätten 2022 bedauerlicherweise gefehlt.