Die drastischen Kürzungen in der Freien Theaterszene NRWs stellen die Künstler*innen vor große Herausforderungen. Die Szene sieht ihre Existenz gefährdet und die gewachsenen Strukturen der lebendigen, reichen Szene zerstört. Gibt es bald nur noch Soli auf leerer Bühne? Der öffentliche Druck ist enorm – und hat das Kulturministerium immerhin zu kleinen Zugeständnissen bewegt.
Die Unruhe in der Freien Kulturszene NRWs angesichts der landesweiten Kürzungen ist bei vielen Kunstschaffenden der nackten Existenzangst gewichen. Es betrifft die Besten der Szene. Denn das von Ina Brandes (CDU) geleitete Kulturministerium hat sich die dreijährige Spitzen- und Exzellenzförderung vorgenommen. Akut: die Bereiche Theater sowie Kinder- und Jugendtheater. Bei einem Treffen mit den Künstler*innen wurde schnell deutlich, dass hier die Leuchttürme des Landes gekappt werden.
Konkret: Die Mittel werden fast halbiert, die bisherigen Strukturen, bundesweit gelobt, verändert. Die Anzahl der bislang acht spitzengeförderten Theaterensembles, die im Jahr bisher je 80.000 Euro bekamen, wird auf vier reduziert. Statt drei Plätze in der Exzellenzförderung (mit je 100.000 Euro/Jahr) gibt es nur noch zwei. Beim jungen Theater sinkt das Gesamtvolumen pro Jahr von 480.000 auf 360.000 Euro – davon sollen allerdings 120.000 Euro abgezweigt und an institutionell geförderte Theaterhäuser verteilt werden. Die Förderung für die Gruppen (bislang sechs à 80.000 Euro/Jahr) wird also auch hier auf 240.000 Euro halbiert. Künftig sollen nur noch vier Gruppen unterstützt werden, aber mit jeweils 60.000 Euro, nicht nur mit 30.000 Euro wie zunächst angekündigt – und doch wieder mit Juryentscheid. Ersparnis für das Ministerium in summa: jährlich 540.000 Euro. Zunächst sollten es 660.000 Euro sein.
Zeit großer Ungewissheiten
Von einer »Zerschlagung der bisherigen Förderarchitektur« spricht das Landesbüro Freie Darstellende Künste. Geschäftsführerin Ulrike Seybold kommentiert trotz der Nachbesserungen: »Diese Nachricht bleibt katastrophal für die Freie Szene in NRW, auch wenn jetzt kleine Schritte in die richtige Richtung unternommen wurden: Zum einen wird die extreme Kürzung diversen renommierten Theatergruppen die Existenzgrundlage nehmen. Sie wird aber auch dazu führen, dass dem Publikum weniger qualitätsvolle Kunst zur Verfügung stehen und die Strahlkraft NRWs über seine Grenzen hinaus verlöschen wird.«
Eine schillernde Figur der Szene ist Angie Hiesl. Ihre Site-Specific-Projekte im öffentlichen Raum haben schon manchen Passanten ins Staunen versetzt. Das Kölner Künstler-Duo Angie Hiesl + Roland Kaiser ist seit Jahrzehnten international unterwegs. Wenn sich mitten in der Stadt eine dicke Frau im Bikini in eine Badewanne setzt und sich eine Packung Zucker nach der anderen über den Körper schüttet, dann ist das Künstler-Duo am Werk (»Fat facts«). Mit ihrem Humor und ihren unaufdringlichen Botschaften sind ihre Arbeiten nicht nur Kunst-Hingucker, sondern auch Denkanstoß. Jetzt aber ist Hiesl empört: »Die Szene wird kaputtgeschlagen. Die Kürzungen sind so drastisch bei uns – warum? Hat das, was wir der Gesellschaft geben, keinen Wert mehr? Gerade in dieser Zeit…« Die Künstlerin, Jahrgang 1954, empfindet den Umgang als respektlos: »Wir sind in eine unmögliche Situation gebracht worden.« Hintergrund: Normalerweise findet im November eine Ausschreibung statt, im März folgt der Juryentscheid und das Geld kann im Juli fließen. Im November 2024 aber blieb die Ausschreibung aus. »Es gab ein halbes Jahr lang keine Kommunikation von Seiten des Landes«, erzählt Hiesl. Bitter fügt sie hinzu: »Klar, es sind freiwillige Leistungen. Deshalb kann man so mit uns umgehen.« Ohne Übergangsgeld müssten die meisten Gruppen ab Juli eigenes Geld einbringen – und im schlimmsten Fall Mitarbeitende entlassen. Jetzt aber hat das Land eingelenkt. Ein Sprecher des Kulturministeriums auf Anfrage: »Es wird eine Übergangsfinanzierung für die Ensembles geben, die in der jetzt zu Ende gehenden Periode von der Förderung profitiert haben. So werden sie in die Lage versetzt, fundierte und qualitativ hochwertige Förderanträge einzureichen. Zugleich können dauerhafte Verpflichtungen – wie Miete von Probe- und Lagerräumen und gegebenenfalls Personal – erfüllt werden.« Aber: Wann es Geld gibt, bleibt offen.
Es ist eine Zeit großer Ungewissheiten. Hiesl und Kaiser haben den Vertrag ihrer Managerin nicht verlängern können. Ihr Lager bei Euskirchen, wo sie beispielsweise Installationen untergebracht haben, überlegen sie nun aufzulösen, Proberäume zu kündigen, Projekte einzustampfen. Oder vielleicht doch nicht? Kooperationen? Hiesl: »Dafür muss man eigenes Geld mitbringen. Doch woher nehmen?«
Àpropos eigenes Geld: Viele Künstler*innen in der Freien Theaterszene leben in prekären Verhältnissen. Barbara Fuchs, mit ihrem Label tanzfuchs die wohl bekannteste Choreografin von Kinder- und Jugendstücken in NRW, geht davon aus, dass sie von Altersarmut betroffen sein wird. Dabei ist die 59-Jährige gut vernetzt, hat in diesem Jahr noch Aufträge für Gastregien in Bochum, Mannheim und Konstanz. Solche Engagements entstehen durch Festivals, auf denen sie ihre bislang vom Land geförderten Produktionen präsentieren konnte. Heute ist es übrigens nicht selten, dass die Freie Szene das Stadttheater inspiriert.
»Kinder- und Jugendtheater wird entprofessionalisiert«
Barbara Fuchs werden die Kürzungen besonders hart treffen. Ihre Kinderstücke, die vor originellen Einfällen, gestalterischer Fantasie und feinem Humor nur so sprühen, sind sehr beliebt – wie »Mampf!«, »Alles im Eimer« oder »Kopffüßler«. Aber die Einnahmen sind gering. Fuchs: »Ein Kind zahlt sechs Euro Eintritt. Und wir spielen bewusst vor wenig Publikum.« Dazu kommt, dass die Künstlerin ebenso wie ihre Kolleg*innen in diesem Bereich angehalten werden, inklusiv und integrativ zu arbeiten. Sie erklärt: »Bei Stücken für taubes Publikum braucht es zusätzliches Personal wie Dolmetscher für Gebärdensprache. Und man spielt natürlich in einer intimen Atmosphäre.« Ihre Prognose für die Zukunft: »Das Kinder- und Jugendtheater wird entprofessionalisiert.« Sie fügt mit leiser Ironie hinzu: »Ich überlege schon, ob ich nur noch Soli vor nackter Bühne mache.« Sie muss nun ihre Strukturen überdenken: Vermittlungsprogramme streichen, weniger Produktionen kreieren und ihr Repertoire aufgeben. Denn: Gefördert werden nur Neuproduktionen.
Tim Behren, Gründer von Overhead Project und Initiator des CircusDanceFestivals in Köln, ist derzeit nicht akut betroffen, da eine Aussage zu den Kürzungen in der Tanzszene noch aussteht. Die aktuelle Förderung läuft noch anderthalb Jahre. Doch die Zeichen sind alarmierend. Der Choreograf sieht seine künstlerische Arbeit in NRW existenziell bedroht. Tim Behren weiß: »Künstler*innen brauchen ein Zuhause für ihre Kunst. Das haben viele in NRW gefunden.« Dabei sei die Spitzenförderung unerlässlich. »Sie schafft nicht nur Kunst, sondern sichert langfristige, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze. Sie ist kein Luxus, sie bedeutet Verantwortungsübernahme für die Künstler*innen, für Qualität, faire Arbeitsbedingungen, professionelle Strukturen und die Stärkung einer wehrhaften, demokratischen Gesellschaft«, formuliert er sein Plädoyer. Ohne diese Mittel bräche die Basis für die Produktion weg, gewachsene Strukturen wie internationale Netzwerke würden zerfallen.