Die Künstlerin Rebecca Racine Ramershoven bereitet für die »Grand Snail Tour« der Urbanen Künste Ruhr eine Interview- und Video-Arbeit vor, die sich mit der Unterdrückung von Schwarzen beschäftigt. Ein Gespräch.
Die »Grand Snail Tour« der Urbanen Künste Ruhr zieht weiter durchs Land. Beim mobilen Ausstellungs- und Aktionsprojekt, das von 2024 bis 2027 alle 53 Städte und Gemeinden des Ruhrgebiets ansteuern will, spielt Rebecca Racine Ramershoven eine wichtige Rolle. Per Zoom erzählt sie von ihrer Interview- und Video-Arbeit, die sie gerade für die Schneckentour vorbereitet. Es soll um die Unterdrückung von Schwarzen und Women of Color gehen.
kultur.west: Frau Ramershoven, Ihr Projekt, das 2027 das Finale der »Grand Snail Tour« markiert, heißt »Kiss My Anger«. Wann und wo wird man die Video-Arbeit, die auf Interviews basiert, erleben können? Und wie weit sind die Vorbereitungen gediehen?
RAMERSHOVEN: Die Arbeit wird in jedem Fall zwei Interview-Standorte haben. Der erste steht schon fest – am 20. Februar 2026 macht die »Grand Snail Tour« mit meinem interaktiven Projekt Station in Hagen. Dafür wird ein Trailer eigens zum Ton- und Filmstudio umfunktioniert. Die zweite Etappe müssen wir noch festlegen – sie wird wahrscheinlich im Sommer 2026 stattfinden. Anschließend will ich aus dem gesamten Interviewmaterial ein Video machen, das zum Ende der »Grand Snail Tour« im Oktober 2027 erstmals präsentiert wird. Was ich in meinem Auftakt-Video gemacht habe, hat schon einen ersten Eindruck davon vermittelt, in welche Richtung sich das Langzeitprojekt entwickeln soll. Es war mir wichtig, potenziellen Interviewpartnerinnen ein Gefühl zu geben, in welches Umfeld sie am Ende eingebettet sind.
kultur.west: Wie erreichen Sie die Kandidat*innen für Ihr Gesprächsformat? Werden die Interviews spontan vor dem Kunst-Anhänger der »Grand Snail Tour« arrangiert? Oder gibt es vorher Absprachen?
RAMERSHOVEN: Zum einen wollen wir weiblich sozialisierte Personen über Social Media einladen. Ich werde aber auch selbst Personen aus dem Freundes- und Bekanntenkreis sowie Vereine und Kollektive ansprechen, um sie zum Mitmachen zu bewegen. Wir müssen sehr flexibel reagieren, weil wir vor Ort und mit dem Ort arbeiten. Ich fände es auch total schön, wenn jemand zufällig vorbeikommt und man so ins Gespräch kommt.
kultur.west: Mit »Kiss My Anger« betonen Sie den Zusammenhang von Gender und race. So bringen Sie die Kontrolle weiblicher Emotionen direkt mit dem vermehrten Auftreten von Autoimmunerkrankungen bei Frauen in Verbindung.
RAMERSHOVEN: Verschiedenen Untersuchungen zufolge ist eine erhöhte Zahl von Personen, die Autoimmunerkrankungen haben, weiblich bzw. weiblich sozialisiert. Sie sind stark mit der Psyche und mit unterdrückten Emotionen und dem damit verbundenen Stress verbunden. Das gilt noch mehr, wenn wir die Kategorie race einbeziehen. Das Ausdrücken von Emotionen bei nicht-weißen Frauen wird häufig stark verurteilt. Begriffe wie »Zicke«, »Bitch« und »Angry Black Woman« sind Beispiele, wie unbequeme weibliche Stimmen zum Schweigen gebracht werden sollen. Darauf reagieren die Betroffenen mit Wut, Trauer und Unsicherheit – aber auch mit einer Rebellion des körpereigenen Immunsystems.
kultur.west: Beim Umgang mit der eigenen Wut hat man zwei Optionen: sie herauslassen oder runterschlucken.
RAMERSHOVEN: Ja, genau, es gibt alle möglichen Empfehlungen, wie man sich verhalten soll. Ich persönlich finde nur schwer Zugang zu meiner Wut und unterdrücke diese schon fast automatisch. Grundsätzlich halte ich das »Runterschlucken« für destruktiv. Das ist ein Umgang, den vor allem weiblich sozialisierte Personen von klein auf eingetrichtert bekommen: »Sei lieb, sei nett und höflich,, nicht zu laut oder forsch. Und eben erst recht nicht wütend.«
kultur.west: Der Ausdruck »Wutbürger« ist in der Regel negativ besetzt. Auf einer rein sprachlichen Ebene dagegen klingt das Wort »Wut« fast wie »Mut«, also positiv. Kann Wut helfen – als Form des Widerstands?
RAMERSHOVEN: Absolut – und genau darauf zielt meine Arbeit ab. Bei »Kiss My Anger« geht es darum, die eigene Wut zu hinterfragen, andere anzustiften, anders über Wut zu denken. Warum werden weiblich sozialisierte Personen in dieser patriarchalen Gesellschaft dazu erzogen, ihre Wut zu verdrängen? Ein Grund dafür ist vielleicht, weil Wut sehr mächtig sein kann. Beispielsweise um Widerstand gegenüber repressiven Systemen zu leisten. Ich glaube, wir erfahren gerade im Alltag in den Strukturen, in denen wir leben, sehr viele Beispiele von ausgelebter männlicher Wut. Darum geht es mir jedoch hier nicht. »Kiss My Anger« zielt auf die weibliche Wut, die unterdrückt wird. Das können kleine, aber auch große Momente sein, auf die man reagiert, Momente der Dominanz und der Unterdrückung von weiblich sozialisierten Personen.
kultur.west: Der Titel »Kiss My Anger« beinhaltet eine Art Wertschätzung dieses negativen Gefühls. Wie genau versuchen Sie in den Interviews, Wut in einen »liebevollen Akt« umzuwandeln?
RAMERSHOVEN: Liebevoller Akt in dem Sinne, dass ich nicht nur selbst meine Wut wertschätze, sondern auch andere in ihrem Ausdruck von Wut bestärke. Sich gegenseitig reflektieren und ernst nehmen in der Wut, darauf kommt es mir besonders an.
kultur.west: Die »Grand Snail Tour« befasst sich mit der Frage, wem der öffentliche Raum gehört und wie Kunst zu den Menschen kommen kann. Wie beeinflusst der öffentliche Kontext der Tour die intime Natur von »Kiss My Anger«? Wird die physische Abgeschiedenheit im Trailer bewusst als temporäre Gegenwelt zur Öffentlichkeit der Tour eingesetzt?
RAMERSHOVEN: Der Trailer, der als Schauplatz meiner Arbeit dient, wird komplett neugestaltet und mit Möbeln ausgekleidet. Wir werden zwei Kameras dort aufstellen. Ich versuche, für die Interviews eine wohlige, aber auch spannende Atmosphäre zu kreieren. Mir ist bewusst, dass ich sehr viel Vertrauen von den Menschen verlange.
kultur.west: Haben Sie für die Gespräche ein Skript mit vorbereiteten Fragen parat?
RAMERSHOVEN: Ich habe zwar ein Set von Fragen, die ich auf jeden Fall stellen will, überlasse es aber zugleich der Intuition und der Situation, wie ich mit den Teilnehmenden am besten ins Gespräch komme.
kultur.west: Und dokumentiert werden sämtliche Interviews durch einen Film, der eine Art Resümee des künstlerischen Prozesses ist?
RAMERSHOVEN: Ja, aber es wird keine klassische Interviewabfolge geben. Ich möchte sehr frei an das Ganze herangehen. Vielleicht laufen Bild und Ton auch gar nicht synchron. Wenn wir über Wut oder das Verhandeln von Emotionen sprechen, können auch kleine Gesten und minimale mimische Veränderungen bedeutsam sein.
Zur Person
Rebecca Racine Ramershoven wurde 1987 in Bad Nauheim geboren und lebt derzeit in Köln. Zunächst in der Werbebranche tätig, entdeckte sie mit 20 ihre Leidenschaft für die Fotografie – ein Studium an der Folkwang Universität der Künste Essen legte den Grundstein für ihre künstlerische Karriere. In ihrer medienübergreifenden Arbeit befasst sie sich vor allem mit der Repräsentation Schwarzer Körper, denen die Artikulation in weiß dominierten Räumen erschwert, wenn nicht gar verwehrt wird. Ihre rassismuskritischen Arbeiten wurden unter anderem im Kunstpalast Düsseldorf und im Essener Museum Folkwang gezeigt. Dank des Villa-Aurora-Stipendiums, vergeben vom KunstSalon Köln, hält sich Ramershoven bis Ende des Jahres in Los Angeles auf. Ausgangspunkt ihres dort entstehenden Projekts sind die Rückforderungsbemühungen enteigneter schwarzer Familien seit den 1920er Jahren sowie die aktuelle Gentrifizierung schwarzer Wohnviertel.
Grand Snail Tour 2025/26 – Die kommenden Stationen
Mäandern in Holzwickede, 11. Dezember 2025
Treffen in Schwerte, 29. Januar 2026
Wüten in Hagen, 20. Februar 2026

