Konsum und Begehren gehören oft zusammen. Doch wer spontan im »Ursprung Fi« in Köln raven will, muss anstehen – und das im Zweifel sehr, sehr lange. Kein Wunder, gilt der Club für elektronische Musik mit seiner raffinierten Architektur und einem prominenten Line-Up doch schon nur wenige Monate nach seiner Eröffnung als einer der besten Deutschlands. Ein Selbstversuch in eisiger Nacht.
In flackerndes Blaulicht gehüllt, findet man das Gittertor nicht gleich. Hinter ihm soll der Elektroclub »Ursprung Fi« in Köln liegen. Es ist Samstagabend. Menschen in Feierlaune haben sich im Industriegebiet von Ehrenfeld versammelt. Doch durch einen Krankenwageneinsatz direkt vorm Club ist die Stimmung ganz schön ruhig, fast gespenstisch. Dabei soll hier, auf einem ehemaligen Post- und Bahngelände, umgeben von Gewerbe- und Gleisflächen, gleich die Party losgehen. Dass »gleich« allerdings ein dehnbarer Begriff sein kann, wird sich erst noch zeigen.
Das »Ursprung Fi« soll einer der interessantesten Clubs Deutschlands sein. Als »Hotspot für Liebhaber elektronischer Musik« wird er etwa auf dem Blog mrkoeln.de gepriesen. In Foren feiern ihn Raver vor allem für die »neuen Klangerlebnisse«, die es hier gibt. Fest steht: Besonders ist die Location schon allein deshalb, weil sie erst kürzlich neu gebaut wurde. Das hat nicht nur in der Domstadt Seltenheitswert, sondern in ganz Deutschland. Laut einer Umfrage der »LiveInitiative NRW« (LINA) hatten Anfang des Jahres 77 Prozent aller befragten Clubs in NRW finanzielle Schwierigkeiten. Manche haben sich von den finanziellen Einbußen während der Pandemie bis heute nicht erholt. Bei anderen laufen Mietverträge aus, Kosten steigen. Auch mit Blick auf komplexe Gründungsverfahren sind Neueröffnungen wie das »Ursprung Fi« umso erstaunlicher – und dazu dann noch in einem Neubau.
780 Quadratmeter Partyfläche
Entworfen wurde das »Ursprung Fi« vom Kölner Büro Klara. Die 780 Quadratmeter große Partyfläche ist vor allem auf eines ausgerichtet: auf ihr soll es den besten Sound geben. Mit ihrem rautenförmigen Grundriss, der trichterförmigen Geometrie und dem schräg verlaufenden Dach garantiere der Bau »minimierte Schall-Interferenzen für ein ausgewogenes Klangerlebnis«, schreiben die Architekt*innen auf ihrer Homepage.
Doch wer in den Genuss des besten Sounds an diesem Abend kommen will, braucht Geduld. Sehr viel Geduld.
Brav stellen sich die Partygäste in die Reihe. Inzwischen scheint der Notarzteinsatz beendet zu sein. Doch die ersten zücken irritiert ihre Handys. »Auf Instagram stand doch, dass die Abendkasse ab 23 Uhr geöffnet sein soll«, bemerkt eine junge Frau und zeigt ihr Display wie zum Beweis. Gleich zu Beginn wird die Schlange systematisiert: Rechts stehen die mit Onlinetickets, links die für die Abendkasse. Doch während sich die Schlange mit den Onlinetickets nach und nach lichtet, geht es für die Wartenden an der Abendkasse kein Stück voran. Man steht so lange still, bis irgendwann so etwas wie der »Point of no Return« erreicht ist. Wer jetzt geht, hat umsonst angestanden. Also wird gemeinsam gewartet.
Das komplizierte Eingangsszenario gehört offenbar zur Attitüde der Clubbetreiber dazu: Schon im Vorfeld hatte sich das Club-Team um Betreiber Sebastian Seick und die LuL Luisenviertel Veranstaltungs GmbH mysteriös gegeben, rar gemacht. Mails blieben unbeantwortet und die auf der Website angegebene Telefonnummer 1234567 führte wenig überraschend zu keinem Anschluss. All das scheint eine Haltung zu sein: Die Unerreichbarkeit geht mit der Begehrlichkeit Hand in Hand. Schon 14 Mal sei er hier gewesen, erzählt einer der Partygäste. Egal, wo man tanze – der Sound sei überall gleich gut. Und das Line-up mit Szenegrößen wie Sven Väth oder Fatboy Slim hochkarätig. Nicht allein durch solche Infos wird das Partyparadies auf der anderen Zaunseite zum gelobten Land – und wir warten jetzt schon drei Stunden.

»Fi ist perfrekt« heißt es auf dem Instagramprofil des Clubs. »Perfrekt« steht auch auf den Aufklebern, die das Türpersonal allen Gästen beim Einlass auf die Handykameras klebt. Fotos sind streng verboten – zum Schutz von Persönlichkeitsrechten, aber auch im Sinne des Erlebens im Hier und Jetzt. Damit schließt der Club an gängige Praktiken der Szene an, wie sie etwa im Berliner Berghain existieren. Anders als im Szene-Club der Hauptstadt spielen im »Fi« aber Outfits beim Einlass sympathischerweise keinerlei Rolle.
Um 2:30 Uhr kommen die ersten sechs Personen aus der Schlange rein. Hoffnung macht sich breit. Nach weiteren 15 Minuten betreten denn endlich die nächsten sechs den Club – nach 3 Stunden und 45 Minuten Anstehen. In dieser Zeit haben sich Freundschaften gebildet. »Die gehört zu uns«, heißt es da plötzlich am Einlass, obwohl man getrennt gekommen war. »Ihr seid ganz schön brave« sagt ein Mitarbeiter. Jetzt muss der Club auch liefern. Der Mythos jedenfalls ist längst geschaffen.
In einem alten Wohnwagen zahlt man den Eintritt. Dass die Karten an der Abendkasse teurer sind als online, ruft nur noch ein zynisches Lächeln hervor. Und überhaupt müssen sich die festgefrorenen Abendkassler jetzt erstmal in Stimmung bringen. Zum Glück ist das im Club »Ursprung Fi« die leichteste Übung. Hat man den Bauwagen einmal passiert, erstreckt sich der Club vor allem in beeindruckende Höhen. Der große Floor befindet sich im Erdgeschoss. Wie üblich beim Rave sind alle und alles auf das DJ-Pult ausgerichtet, das altargleich inszeniert ist und über dem große Boxen in die Wand eingelassen sind. Im blauen Licht wird hier getanzt, geschwitzt, geknutscht. Ähnlich wie bereits in der Schlange scheinen die Gäste entspannt zu sein. Sie wollen eine gute Zeit haben und kommen dafür, wie sie sind: in kurzen Lederkleidern, weiten Stoffhosen, mit Band- oder Poloshirts, Heels oder Wanderschuhen. Über eine massive Betontreppe erreicht man den oberen Floor, den sogenannten »Tiefgang«.
Durch die zugespitzte Bauweise des Gebäudes erlebt man hier fast so etwas wie ein Dachbodenfeeling. Es ist kleiner und intimer hier, der Dancefloor ist in rotes Licht gehüllt. Silberne Lamettalampen verleihen dem Raum eine Spur von Seventies. Auch die Musik ist anders: Während der Bass unten schon ordentlich hämmert, geht es hier etwas smoother, melodiöser zu. An diesem Abend spielen DJs, die wohl auch zur eisernen Disziplin der Wartenden beigetragen haben: Atric, Flave, Frida Darko, Detmolt, Kiki Kokolores, Kira Kete und Sophya, Krachim und Nina Ypsilon legen auf.
Es ist erfreulich zu sehen, dass der Club an diesem Abend mehrheitlich weiblichen Artists eine Bühne bietet. Die Zusammenstellung der Musiker*innen sorgt zudem für Abwechslung – ob im Einzel- oder B2B-Set, von Dark Driving Downtempo bis zu treibenden Beats. Jetzt können mittlerweile hoffentlich alle Feierwütigen die Sets im Warmen genießen. Immer wieder trifft man einen von der Abendkasse und tauscht Blicke. Man kennt sich. Fühlt sich verbunden. Leidensgenossen.
Spielplatz für Partypeople
Vom »Tiefgang« führt eine Tür direkt zum Herzstück des Clubs: der Dachterrasse. »Im Sommer ist es hier proppenvoll«, erzählt ein Stammgast und das wundert kaum. Durch das schräge Dach des Gebäudes, das – mit Treppenstufen versehen – von unten bis oben begehbar ist, bietet sich hier eine riesige Fläche zum Verweilen, zum Durchatmen und Plaudern. Wer bis ganz nach oben geht, kann über die Dächer Kölns bis zum Colonius gucken. Und wer bis zum Ende der Party um 8 Uhr bleibt, sogar den Sonnenaufgang genießen. Auffällig ist die liebevoll verspielte und zu Teilen fantastisch-psychedelische Dekoration. Schaufensterpuppen werden zu Kunstobjekten: Aus ihnen wachsen futuristische Glitzerfiguren, Bäume und Stacheln. Eine CD-Installation wird so angeleuchtet, dass sich ihre pinken Reflexionen über die Dachterrasse erstrecken. Hier hängt eine Diskokugel, dort ein Dosenmobile. Überall stehen rote Blechtonnen, ein aufgerissener Mund mit Vampirzähnen zieht Blicke auf sich, es glitzert und funkelt. Die detailverliebten Kuriositäten auf dem Dach verströmen ein fantastisches Ambiente, das auch im Außenbereich rund um den Club zu spüren ist. Pinke Strahler beleuchten kleine Baumgruppen. An einem hängt eine Schaukel, und überall gibt es etwas zu entdecken: ein buntes Holzflugzeug, ein Segelboot, ein Klettergerüst, die überdimensionale Maske eines Zentauren.
Fast erscheint dieser Ort wie ein Spielplatz für Partypeople, ein Märchenwald, vielleicht inspiriert von halluzinogenen Fantasiereisen? Man fühlt sich geborgen und zum Verweilen eingeladen. Der »Ursprung Fi« scheint neben dem Tanzen und Trinken auch aufs Beisammensein zu setzen. Auf der anderen Seite des Märchenwalds finden sich kuschelige Sitzecken mit Sofas im Biedermeier-Stil auf Perserteppichen zum Rumhängen und Ausruhen. Es ist ein origineller Ort, an dem harte Beats und minimalistischer Beton auf etwas Träumerisches, fast Romantisches treffen. So als wolle Köln Berlin eine weiche Version des Techno-Clubbings entgegenstellen und trotzdem ernstgenommen werden.
Ob die lange Wartezeit an diesem Abend einer schlechten Organisation oder der Mystifizierung des Techno-Clubs geschuldet ist? Der Vorwurf der künstlichen Verknappung liegt in der stickigen Diskoluft, zumal sich die Gäste auf der gesamten Fläche verteilen und eigentlich kein Platzmangel erkennbar ist. Sound und Atmosphäre trösten über die verlorene Lebenszeit hinweg, und das Warten wird schon jetzt zur romantisierten Erinnerung. Dass so viele Menschen mit bemerkenswerter Resilienz auf ihre Party bestanden haben, ist fast rührend. Aber Freundschaften und Allianzen bilden kann man auch im Innern des Clubs und das wesentlich bequemer und mit viel mehr Bass. Insofern lautet das Resümee einer Gelegenheits-Raverin: »Ursprung Fi«? Ja! Abendkasse? Definitiv nie wieder.



