Das NRW-Kulturministerium hat die neue Ruhrtriennale-Intendanz für 2027 bis 2029 bekannt gegeben: Die in den USA geborene Opernregisseurin Lydia Steier wird es.
Die künftige Intendantin hat den weitesten Weg bis nach Bochum, Duisburg, Essen und Gladbeck zurückgelegt, auch wenn sie schon seit langem in Berlin zuhause ist. Die US-Amerikanerin Lydia Steier wird ihre Intendanz im 25. Jubiläumsjahr des NRW-Festivals antreten, um den Drei-Jahres-Turnus 2027 bis 2029 zu bestimmen.
Mit Gerard Mortier als Gründungs-Intendant, Johan Simons, der von der Ruhrtriennale naheliegend ans Schauspielhaus Bochum wechselte, und dem aktuell amtierenden Ivo Van Hove überwiegt seit 2002 bislang das nachbarschaftlich belgisch-niederländische Herkommen. Der Tausendsassa Jürgen Flimm, der viel ruhigere Willy Decker sowie im weiteren Sinn auch Heiner Goebbels standen für das Rheinische. Stefanie Carp kam aus Hamburg; während die Schweizerin und Wahl-Wienerin Barbara Frey den Radius erweitert hat.
Verwunderlich bleibt, dass bisher keine ostdeutsche Biografie das Festival tief im Westen geprägt hat, wo doch für das Land und die Landschaft an der Ruhr wie auch für die neuen Bundesländer an Oder und Elbe der Strukturwandel sich tief eingegraben, ähnliche Spuren hinterlassen und Fragen aufgeworfen hat, zumal die IBA Emscher Park (1989-1999) das Fundament für die Ruhrtriennale gelegt hatte.
Es war zu erwarten und dann doch eine Überraschung, die die Anwesenden bei der Vorstellung im Dampfgebläsehaus der Jahrhunderthalle Bochum nahezu sprachlos gemacht hat. Die Erwartung: dass für die neunte Intendanz – zum dritten Mal – auf eine Frau die Wahl fallen würde. Das Überraschende jedoch der Name: Lydia Steier, ein Shootingstar unter den Opernregisseur*innen mit Leitungserfahrung als Operndirektorin am Theater Luzern (2020 bis 2023), die Jüngste gegenüber den Vorgänger*innen und in Connecticut geboren – wenngleich mit europäischen Wurzeln und dem jüdisch-österreichischen Großvater väterlicherseits, der 1938 emigriert und dessen Familie großteils ermordet worden ist.
Die als Sängerin Ausgebildete kam 2002 als Stipendiatin nach Berlin und sei, wie sie sagt, »im Kellertheater« künstlerisch sozialisiert worden. Dort lägen ihre Wurzeln: kollektives Arbeiten, offene Projekte, medial Übergreifendes, Experimente, »zusammengestückelte Stücke«, wie sie in ihrem charmanten Deutsch sagte.
Ihre Beschäftigung mit den Opern-Klassiker von Händel, Mozart, Puccini oder Wagner verbindet sich mit Neugier auf und dem Faible für Neue Musik und die Gegenwart, u.a. von Pascal Dusapin, Du Yun, Huang Rao, Dennis DeSantis oder Michael Wertmüller.
Ruckzuck ging es für Steier vom Keller hinauf in die höheren Etagen und führt sie seit eineinhalb Jahrzehnten in die tradierten Musentempel. Vom Nationaltheater Weimar an die Stuttgarter und an die Wiener Staatsoper, an die Komische Oper Berlin, nach Dresden und Köln, nach Basel (2016 Aufführung des Jahres laut der Zeitschrift Opernwelt für Karlheinz Stockhausens »Donnerstag aus Licht«), nach Salzburg, Paris, Tokio, Los Angeles und und und. Zweimal wurde sie für den Theaterpreis Der Faust nominiert, 2024 ebenfalls von Opernwelt als Regisseurin des Jahres ausgezeichnet.
Von Kulturministerin Ina Brandes wurde Steier mit dem über sie veröffentlichten Zitat »Rockstar unter den Opernregisseuren« vorgestellt und ihre kreative Arbeit charakterisiert mit »schlaue Unterhaltung«, was eine Selbstbeschreibung Steiers sei, und ihr zugleich attestiert, Appetitanreger für »Gourmet und Currywurst« sein zu können und ein berauschendes Erlebnis zu versprechen.
Die Ruhrtriennale selbst sei für sie, so Steier, »ein Liebesbrief an die Kunst«. Sie erinnere sich gut daran, 2009 Willy Deckers Schönberg-Inszenierung von »Moses und Aron« auf dem Festival gesehen zu haben. Sie erkenne, dass die »neuen Realitäten« uns und die Künste fordern und zu großen Fragen herausfordern; dass es gelte, Überlegungen dazu anzustellen, was »gesellschaftlicher, künstlerischer und menschlicher Wandel« bedeute. Steier: »how can my work make a change«. Das wolle sie mit ihrer »Erfahrung, Leidenschaft und ihren Träumen« umsetzen. Und wolle verstärkt »das Urbane« in das Festival einbringen, Begegnungen mit den Menschen des Reviers ermöglichen, Gemeinschaft wagen, »neue Allianzen schmieden«.
Der Glamour-, Show- und Event-Effekt, den sich die für das Festival Verantwortlichen zu wünschen scheinen und den Ivo Van Hove, zumindest mit seinen Eröffnungsproduktionen, einlöst, hat offenbar auch Steiers Wahl mitbeeinflusst. Doch die um Regie-Einfälle und furios pralles Erzähltheater nicht verlegene Steier (Bizets »Carmen« 2019 in Köln im Schlachthof, auf dem Straßenstrich, als Madonna und Märtyrerin) ist jedoch zu intelligent, zu geistesgegenwärtig und geschichtsbewusst, als dass sie sich damit begnügen wollen würde.
Von der Liebesbrief-Leserin wird sie in zwei Jahren nun zur Liebesbrief-Verfasserin.