Löwen, Hauptstadt der Provinz Flämisch-Brabant, ist immer eine Reise wert. Das filigrane Rathaus, die benachbarte Sint Pieterskirche, der Große Beginenhof oder die Bibliothek der ältesten Universität Belgiens – all diese geschichtsträchtigen Gebäude zeugen vom kulturellen Reichtum des Ortes, der vor allem im 15. Jahrhundert eine eindrucksvolle Bühne für spätgotische Kunst und Architektur war.
In diesem Kunstherbst gibt es einen weiteren – und besonders guten – Grund, die belgische Stadt zu besuchen: Am 20. Oktober eröffnet das Museum M Leuven eine Retrospektive des niederländischen Malers Dieric Bouts. Flankiert wird die Schau mit dem Titel »Beeldenmaker« (»Bildermacher«) vom »New Horizons | Dieric Bouts Festival«, das mit Stadtführungen, Zirkus-Performances, Vorträgen oder dem kulinarischen Programm »Bouts on your Plate« aufwartet.
In seiner Heimatstadt sind rund 30 Werke des Künstlers versammelt, darunter Altartafeln, Andachtsbilder, Heiligendarstellungen und Porträts. Bedeutende Museen unterstützen die Präsentation – so zeigt das Museum etwa Leihgaben des Rijksmuseum in Amsterdam, der Berliner Gemäldegalerie und des Palais des Beaux-Arts in Lille. Das wohl wichtigste Exponat hat jedoch ein Heimspiel: Im Zuge der Ausstellung »Dieric Bouts. Bildermacher« verlässt sein Hauptwerk, ein dreiflügeliges Altarbild, den angestammten Platz in der Sint Pieterskirche, um vorübergehend im Museum M gezeigt zu werden. Das vielfigurige, episodenreiche Triptychon wurde zwischen 1464 und 1468 von der Bruderschaft des Allerheiligsten Sakraments in Auftrag gegeben. Im Zentrum ist das Letzte Abendmahl dargestellt. Kurios: Der Künstler hat es im heimischen Ambiente angesiedelt – durch die Fenster des Saals kann man den Grote Markt ausmachen, auf dem zu dieser Zeit das Rathaus errichtet wurde. Auf den Seitenflügeln sind Szenen aus dem Alten Testament wiedergegeben.

Foto: artinflanders.be, Dominique Provost
Ein weiteres zentrales Werk von Dieric Bouts, das Triptychon mit der »Marter des Heiligen Erasmus« (um 1460), verlässt ebenfalls die Sint Pieterskirche, um die Ausstellung zu bereichern und eine Betrachtung aus der Nähe zu ermöglichen, die sonst so nicht möglich ist. Dem Märtyrer, der für den christlichen Glauben in den Tod ging, werden die Eingeweide mittels einer Winde bei lebendigem Leibe herausgezogen. Einen bemerkenswerten Kontrast zu der grausigen Folterszene bildet hier die idyllische Landschaft, die Bouts als einen aufmerksamen Beobachter der Natur erweist.
Obwohl seine Bilder zu den Spitzenwerken der altniederländischen Malerei gehören, wissen wir recht wenig über sein Leben. Sicher ist: Er wurde zwischen 1410 und 1420 in Haarlem geboren und starb am 6. Mai 1475 in Löwen. 30 Jahre zuvor hatte er sich in der flämischen Stadt niedergelassen, die im 15. Jahrhundert unter burgundischer Herrschaft florierte. Hier heiratete er die Patriziertochter Catharina van der Brugghen. Zwei der vier Kinder – Dierick Bouts der Jüngere und Aelbert Bouts – machten als Maler ebenfalls Karriere.
Dass das Museum M den angesehenen Maler als »Beeldenmaker« tituliert, mag zunächst befremden – »Bildermacher« klingt für uns wie ein Understatement. Doch müssen wir uns vor Augen halten, dass die mittelalterliche Sicht auf Rolle und Bedeutung des Künstlers mit heutigen Vorstellungen vom einsam-eigenwilligen Genie à la Van Gogh wenig zu tun hatte. Der Grund: Spätgotische Künstler wurden nicht als Individualisten angesehen, die lediglich ihrem eigenen Kunstwollen folgten. Vielmehr galten sie gleichsam als Handwerker, die Aufträge ausführten und an die Weisungen ihrer Kunden gebunden waren.
Den Bildermacher des 15. Jahrhunderts bringt die Ausstellung mit heutigen Bildproduzenten zusammen – sie entstammen der Comic-Branche, dem computeranimierten Film, dem Grafikdesign oder der Werbung. Wie einst Bouts, so agieren auch sie nicht nach eigenem Gutdünken, sondern im Dialog mit dem Auftraggeber und mit Rücksicht auf die Zielgruppe. Als Bouts-Wahlverwandte und Vertreter*innen zeitgenössischer visueller Kultur präsentiert die Ausstellung beispielsweise den Cartoonisten Steven Degryse (er agiert unter dem Pseudonym Lectrr), die Designer Ryan Church und Amira Daouidi sowie den Werbefachmann Luc Shih.

Foto: Lucas Museum of Narrative Art
Manche Parallelen, die das Museum M Leuven zwischen Spätmittelalter und Jetztzeit zieht, mögen zunächst überraschen, ergeben aber bei näherem Hinsehen Sinn. So der Vergleich zwischen den flämischen Meistern des 15. Jahrhunderts und heutigen Top-Athleten. Im Einklang mit der im Mittelalter enorm einflussreichen Frömmigkeitsbewegung »Devotio Moderna« versuchten die Künstler, unter ihnen Bouts, das Leiden Jesu Christi, aber auch seinen letztendlichen Triumph möglichst anschaulich zu schildern. Ihr Ziel bestand darin, das Publikum in den Bann zu ziehen. Ähnlich gehen Sportfotografen wie Jasper Jacobs oder Sebastian Steveniers vor, wenn sie Eddy Merckx als Schmerzensmann auf zwei Rädern charakterisieren: Der Leidensweg, den die belgische Legende bei der Tour de France auf sich nahm, führte ihn am Ende gleich fünf Mal zum Sieg beim bedeutendsten Straßenradrennen der Welt. Korrespondenzen wie diese machen die Bouts-Hommage im Museum M Leuven zu einer Ausstellung, bei der wir über magische Bilder der Gegenwart ebenso viel erfahren wie über mittelalterliche Malerei.
»Dieric Bouts. Bildermacher«, Museum M Leuven, Löwen, 20.10.–14.1.2024