Ta-Ta-Taaa
Auf dem CD-Markt gab es im Beethoven-Jahr nur ganz wenige, wirkliche dicke Kirschen auf der Geburtstagstorte. Eine der prallsten hat Kölns GMD Franҫois-Xavier Roth mit seinem Originalklang-Ensemble Les Siècles geboten – und das mit Beethovens Ohrwurm-Fünfter! Roth hat ihr alles Schicksalhafte und »Don Giovanni«-Dämonische ausgetrieben. So lässt er sogar sein Musikerteam geradezu beiläufig die markanten Eröffnungsinitialen hinlegen – bevor es atemberaubend federnd, schnittig und schon mal leicht swingend losgeht und man dabei Stimmen freilegt, die man bei diesem angeblich ausgelutschten Opus so noch nie gehört hat. Das zweite Hauptwerk dieser Einspielung stammt aus der Feder des französischen Beethoven-Zeitgenossen Franҫois-Joseph Gossec. Und auch bei seiner Sinfonie à 17 parties zeigen Les Siècles, was für Klangwunderfarben man historischen Instrumenten entlocken kann.
Beethoven, Gossec: Sinfonie Nr. 5, Sinfonie à 17 parties, Les Siècles, Franҫois-Xavier Roth, Harmonia Mundi HMM 902423
Böhmische Entdeckung
Wie sein Zeitgenosse, der Ungar Béla Bartók, war der Böhme Bohuslav Martinů ein musikalisch Weitreisender. Heimatliche Folklore und großstädtische Trends wie Jazz haben in seinen Werken genauso ihre Spuren hinterlassen wie allerfeinstes impressionistisches Kolorit und kraftvoll zupackende Motorik. Trotzdem steht Martinů weiterhin im Schatten Bartóks. Wie gut, dass es Fans wie den aus Duisburg stammenden Weltklasse-Geiger Frank Peter Zimmermann gibt. Mit den Bamberger Symphonikern und ihrem Chef Jakub Hrůša hat er die beiden Violinkonzerte Martinůs aufgenommen und mit Bartóks Solo-Violinsonate kombiniert. Brillante Attacke folgt da auf schnittig hingelegte Turbulenzen. Zugleich besitzt Zimmermanns Ton und Spiel auch im Intimen klangraumfüllende Leuchtkraft – was gerade die rhapsodisch-sehnsuchtsvollen Momente im 2. Violinkonzert besonders veredelt.
Martinů, Bartók: Violinkonzerte Nr. 1 &2, Sonate für Solo-Violine, Frank Peter Zimmermann, Bamberger Symphoniker, Jakub Hrůša, BIS/Klassik-Center BISSACD-2457
Raritätenkabinett
Wie bei nahezu allen Klassik-Festivals fuhr das Corona-Biest 2020 auch dem Klavier-Festival Ruhr in die Parade. Dennoch konnten so manche verlegten Konzerte stattfinden und zudem für die festivaleigene CD-Reihe mitgeschnitten werden. 2020 stand natürlich das Klavierschaffen von Beethoven im Mittelpunkt. Dass der Jubilar auch abseits seiner Klassiker, etwa der 32 großen Klaviersonaten, hörenswert ist, beweist die Doppel-CD mit Aufnahmen von vier Pianistinnen. Olga Pashschenko gibt den frühreifen »Kurfürsten«-Sonaten am Hammerflügel aufregend die Sporen. Lila Bibileishvili, Anna Zassimova sowie Anika Vavic widmen sich am modernen Steinway kleineren und größeren Klavierstücken sowie Variationswerken, zu denen Beethoven sich nicht nur von Opernarien, sondern auch von Schweizer Weisen inspirieren ließ.
Edition Klavier-Festival Ruhr Vol. 29: 250 Jahre Ludwig van Beethoven, 2 CDs, Avi-Service/Harmonia Mundi 8553327
Zuhören mit Consord
2021 feiert das Münsteraner Ensemble consord seinen 5. Geburtstag. Trotz seines jungen Alters hat man sich auch international einen Namen gemacht, was die etwas andere, keinen stilistischen Dogmen gehorchende Pflege der zeitgenössischen Musik angeht. Genau diese Richtung spiegelt nun auch das Debüt-Album von consord wider, für das man Werke von drei in NRW geborenen bzw. arbeitenden Komponist*innen ausgewählt hat. In allen Werken wird das Hören zu einer vielschichtigen Abenteuerreise, bei der Perspektivwechsel neue Ausdruckstiefen entstehen lassen. Das trifft auf »frames I« der in Köln lebenden Perserin Elnaz Seyedi genauso zu wie auf die Ensemblestücke »reinhören« und »HÖRZU« von Brigitta Muntendorf, die sich hintersinnig mit Anton Weberns Streichquartett-»Bagatellen« auseinandergesetzt hat. Sein Herz für »Schnulzen« hat der aus Herne stammende Gordon Kampe in seinem gleichnamigen Stück ausgeschüttet.
Ensemble consord, Werke von Kampe, Seyedi, Muntendorf, Dreyer Gaido/Note 1 DGCD 21128
Enno Poppe: Brot und Haare
Die Kompositionen des Sauerländers Enno Poppe tragen zumeist kurze, prägnante Titel wie »Schrank« oder »Öl«. Gedacht sind sie aber zumeist nicht als eine Art Höranleitung. Im Fall der fünf Solo- und Kammermusikstücke, die jetzt das einmal mehr phänomenale Kölner Ensemble Musikfabrik unter der Leitung des Komponisten aufgenommen hat, sieht es hingegen etwas anders aus. Immerhin verweist »Fell« schon mal auf die Drum-Bespannung, die Dirk Rothbrust auch mit leichtem Rock-Appeal virtuos bearbeitet. Das Violin-Solo »Haare« (ebenfalls bravourös: Hannah Weirich) entpuppt sich als eine schauerlich-schöne Glissando-Geschichte. Und ob es sich darüber hinaus auch um den wild phosphoreszierenden »Stoff« für neun Musiker handelt, um das ausgedünnte und doch so schelmisch burleske Stück »Brot« oder »Zug« für sieben Blechbläser – bei Enno Poppe kann die Neue Musik was erleben.
Enno Poppe: Fell, Stoff, Brot, Haare, Zug, Dirk Rothbrust, Hannah Weirich, Ensemble Musikfabrik, Enno Poppe, Wergo/Naxos WER 7395 2
(66 Min., 2017, 2019, 2020)
Moderner Schwangengesang
Auf der gemeinsamen CD-Reise durch das sinfonische Schaffen Gustav Mahlers sind die Düsseldorfer Symphoniker unter Leitung ihres Chefdirigenten Adam Fischer bei der Neunten angekommen. 1912 und damit ein Jahr nach Mahlers Tod wurde seine letzte vollendete Sinfonie uraufgeführt. Nahezu in jeder Notenpore meint man, den Abschiedsgedanken des schwer kranken Komponisten zu begegnen. Die Verlockungen sind dementsprechend riesig, sich diesem Weh und Ach hinzugeben und somit das große Pathos zu inszenieren. Doch allein schon die Spieldauer des Konzertmitschnitts vom Januar 2019 aus der Düsseldorfer Tonhalle lässt mit knapp 80 Minuten erahnen, dass Fischer die Gefühlstiefe nicht zur Gefühlsduselei auswalzt. Das Existenzielle dieser Musik ist da mit den Händen, aber eben auch mit dem Verstand zu (be-)greifen.
Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 9, Düsseldorfer Symphoniker, Adam Fischer, Avi-Service/Harmonia Mundi 8553478
Alle Neune
»Beethoven ist für mich der Turning Point in der Entwicklung der orchestralen Komposition.« Mit dieser Meinung steht Marek Janowski, seines Zeichens Ex-Kapellmeister des Kölner Gürzenich Orchesters, natürlich nicht allein da. Trotzdem hat er bei seiner Einspielung aller Beethoven-Sinfonien mit dem WDR Sinfonieorchester nicht versucht, diesen vielbeschworenen Turning Point effektvoll herauszuarbeiten. Vielmehr erweist sich Janowski in den zwischen September 2018 und November 2019 entstandenen Aufnahmen als ein Kapellmeister erster Güte, der die Balance zwischen philharmonischem Schönklang, lichter Durchzeichnung und spannungsvoller Innenschau findet.
Beethoven: Sämtliche Sinfonien, WDR Sinfonieorchester & Rundfunkchor u.a., Marek Janowski, 5 CDs, Pentatone/Naxos PTC 5186 860