Nein, Empfehlungen dürfe er ja eigentlich nicht abgeben, aber dann erzählt Olaf Kröck, Intendant der Ruhrfestspiele Recklinghausen, doch von seiner »Entdeckung des Jahres«. Da fallen dann nicht die großen Theaternamen, die wieder beim Festival vertreten sind – Ulrich Matthes oder Isabella Rossellini zum Beispiel –, sondern er spricht von der Tanzproduktion »Nutcrusher« der südkoreanischen Choreografin Sung Im Her, die in Recklinghausen als Deutschlandpremiere zu sehen sein wird. Eine Arbeit, die sich mit der #MeToo-Bewegung und ihren Nachwehen auseinandersetzt, in der drei weibliche Körper in Metallic-Leggins und Latexschürzen auf der Bühne posieren, die Bilder zeigt, die dem weiblichen Körper aufgezwängt werden. »Es ist ein feministisches Manifest im Tanz«, sagt Kröck. Der Abend strotze nur so vor Kraft. Beschrieben wird die energetische Choreografie als ein Aufbegehren – und trifft damit sicherlich das Motto der diesjährigen Ruhrfestspiele: Rage und Respekt. Olaf Kröck nennt den mit Rage versehenen Widerstand der Frauen im Iran und in Afghanistan. Er benennt den Krieg in Europa, den Klimawandel. Und den Respekt, den jede Demokratie brauche.
Als politisches Festival haben sich die Ruhrfestspiele in der Tradition schon immer verstanden. In dieser Spielzeit gibt »Der Wij«, inszeniert am Hamburger Thalia Theater von Kirill Serebrennikov, der in Russland zu jahrelangem Hausarrest verurteilt war und seit über einem Jahr in Deutschland im Exil lebt, ein deutliches Statement gegen den Krieg. Der Regisseur ist Russe, der Autor Bohdan Pankrukhin Ukrainer. Auf der Bühne agiert ein internationales Ensemble aus russischen, ukrainischen und deutschen Schauspieler*innen. Für ihr Stück ließen sich Serebrennikov und Pankrukhin von der gleichnamigen Erzählung Nikolai Gogols inspirieren. Den russischen Klassiker bearbeiten sie radikal zeitgenössisch und lesen ihn als Erzählung über den Krieg – realistisch, exzessiv, drastisch.
Zur Eröffnung des Programms mit 90 Produktionen in 13 Spielstätten in Recklinghausen und Marl zeigt Regisseur Simon McBurney mit seinem britischen Theaterkollektiv Complicité am 3. Mai die Deutschlandpremiere »Drive Your Plow Over the Bones of the Dead« nach dem Roman von Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk. Eine vielschichtige Geschichte über eine Naturliebhaberin und ein polnisches Dorf, in dem die Männer wegsterben. Eine Geschichte über die Beziehung von Mensch und Natur und über toxische Männlichkeit.
Weibliche Positionen stehen bei den eingeladenen Tanzproduktionen im Fokus: Neben Sung Im Her gibt es Choreografien von Sharon Eyal (»Soul Chain«) und der Australierin Stephanie Lake (»Manifesto«). Sasha Waltz entwickelt ihr Minimal-Music-Format »In C« für die Ruhrfestspiele mit Studierenden der Folkwang Universität der Künste. Tanz, Schauspiel, Literatur, Neuer Zirkus, Kinder- und Jugendtheater, Musik, Kabarett, Gespräche und Projekte im Stadtraum – das Programm ist wie immer gut gemischt und international. Eine neue Entdeckung wird für viele auch die tibetanische Theaterproduktion »Pah-Lak« sein, zum ersten Mal auf Gastspielreise außerhalb von Indien. Die tibetische Sprache und Kultur sind bedroht, in China werden sie unterdrückt. Das Tibet Theatre und das Tibetan Institute of Performing Arts hätten sich im nordindischen Exil gegründet, um sie auch im zeitgenössischen Theater lebendig zu halten, erzählt Kröck. Auch sie begehren auf.
1. Mai bis 11. Juni, Ruhrfestspielhaus Recklinghausen (und weitere Orte)