»Wenn ich mich nicht irre«, um es mit Sam Hawkens zu sagen, aber dessen sich daran anschließendes »HiHihi«, wie es sein Darsteller Ralf Wolter herauskichert, zu unterschlagen, also »wenn ich mich nicht irre«, haben die Verfilmungen der Karl-May-Abenteuerromane aus dem Wilden Westen (und auch die aus dem Orient) nicht viel gemeinsam mit den Büchern des vor 110 Jahren in Radebeul gestorbenen sächsischen Schriftstellers. Böse gesagt: Als Kintopp sind sie Dutzendware.
Wieso dann der enorme Erfolg damals in den Kinos und bis heute im Fernsehen oder mit Ablegern wie den Karl-May-Festspielen in Bad Segeberg? Die Sehnsucht nach Idyll und unbeschwerter Teilung der Welt in Gut und Böse, in der ein gottvoll überlegener, aufrechter und gerechter weißer Mann (Old Shatterhand) dem edlen Wilden die Hand reicht und ihn zum Christentum bekehrt, hat den Zuschauer exkulpiert und den Persilschein zur Entlastung ausgestellt. Am deutschen Wesen kann eben doch unter Umständen die Welt genesen.
Wieso funktioniert das heute noch – Nostalgie vielleicht und die eigene Erinnerung an Kinder und Jugendjahre und immer noch ein eskapistischer Impuls, eine gesicherte Ordnung und unberührte bzw. wiederhergestellte und von räuberischem Zugriff befreite Natur zu erleben? Dabei haben sich uns längst Verbotslinien im sozialen, kulturellen und politisch korrekten Gedächtnis mit Blick auf die Kolonialgeschichte, deutschen Superioritätsdünkel (besonders gegenüber dem Englishman, wie wir ihn bei May und auch in den Verfilmungen etwa in Gestalt von Chris Howland antreffen) und die Vorherrschaft eurozentriert männlichen Denkens eingezeichnet.
Zwar Karl May gilt nicht mehr als jener Outcast, dem zu Lebzeiten der beamtete Bürgersinn den Prozess gemacht und ihm Schundliteratur und Hochstaplertum vorgeworfen hat. Schon 1974 hat Hans-Jürgen Syberberg ihm in drei Filmstunden Gerechtigkeit widerfahren lassen: als Figur in der träumerischen Nähe zu Richard Wagner und Ludwig II. von Bayern.
Hufgetrappel, Feuer und Flamme
Aber es gibt auch Gutes zu sagen: Martin Böttchers Filmmusik setzt die Weite der Prärie, das Blau des Horizonts und die Vision einer Nationalitäten und Rassen überwindenden Freundschaft in Noten um. Und vor allem ist da die idealtypische Verkörperung des Roten und Weißen Bruders durch den dunklen Franzosen Pierre Brice und den blonden Amerikaner Lex Barker in ihrem sowohl Forsch- und Kühn- wie auch Weichsein. Deutschtum hingegen musste sich in den Filmen an Nebenfiguren Genüge tun. Die im Jahres-Rhythmus in Kroatien und angrenzenden Landschaften gedrehten Filme – dass Jugoslawien in dieser Zeit zu einem der beliebtesten Reiseziele deutscher Urlauber wurde, mag kein Zufall sein – hatten neben Barker und Brice eine Riege prominenter Akteure, die oft hölzerner spielten, als ihnen gegeben war und sie es ansonsten zeigten: darunter Mario Adorf, Eddi Arent, Götz George und Stewart Granger (als Old Shurehand), Karin Dor, Daliah Lavi, Elke Sommer, Marie Versini und sogar die Theaterkönigin Marianne Hoppe.
Der Croco-Film-Verleih bringt neben dem »Schatz im Silbersee« auch wieder die dreiteilige »Winnetou«-Serie neu heraus, die alle Vier der aus Österreich stammende Routinier Harald Reinl gedreht hat. Andere Regisseure der Serie waren u.a. Robert Siodmak und Alfred Vohrer. Reinl stand mit Heimat- und Paukerfilmen, einem Mabuse- und Nibelungen-Remake nach Fritz Lang sowie Edgar-Wallace-Krimis wie wenige andere für »Opas Kino« der fünfziger / sechziger Jahre, das die Unterzeichner des Oberhausener Manifests von 1962 überwinden wollten und dem der Junge Deutsche Film bald darauf radikal widersprochen hat.
Dass bei Karl May auch ein sozialrevolutionäres und urchristliches Element die Erzählungen (vor allem die in Deutschland spielenden Geschichten bis hin zu den mystisch verstiegenen Ideenromanen) durchdringt, geht in den Filmen unter Bewegungsfuror, Hufgetrappel, Feuer und Flamme, wüster Ballerei und schurkischem Geschrei komplett unter. Dagegen war der Italowestern ein neorealistischer Knaller.
Dennoch, Henrystutzen und Silberbüchse der beiden Blutsbrüder behalten gewissermaßen das letzte Wort. Romantik made in Germany von einem, der sich aus seiner dürftigen Heimat fortfantasiert hat und von Karl zu Charlie wurde.
»Der Schatz im Silbersee«, Regie: Harald Reinl, Deutschland / Jugoslawien 1962, 110 Min., Wiederaufführung ab 15. Dezember