Mille Petrozza gründete Anfang der 80er Jahre in Essen-Altenessen die Metalband Kreator und wurde mit ihr weltbekannt. Jetzt bringt er ein Buch und einen Kinofilm dazu heraus. Ein Gespräch über Heimat und erste Punkkonzerte.
kultur.west: Bislang waren Sie vor allem Sänger in einer Metalband. Jetzt sind Sie auch noch Autor und haben ein Buch geschrieben über Ihr Leben als Metalhead, der aus Essen kommt und von dort aus in die Welt zog. Was auffällt: Darin geht es vor allem um die 80er und beginnenden 90er Jahre. Alles danach – und somit die erfolgreichste Zeit Ihrer Band – wird im Epilog abgehandelt. Warum?
MILLE PETROZZA: Die 90er waren für Kreator noch sehr turbulent. Aber ich wollte jetzt nicht noch über die 2000er, 2010er und 2020er gehen, sondern einfach da aufhören, wo es für die Leute auch noch ein Lesevergnügen ist. So ist es kurzweiliger. Ein bisschen knackiger. Und gerade im Metal ist es ja auch so, dass die 80er oft als die goldene Ära des Genres bezeichnet werden. Meine Beobachtung und Erinnerungen dazu kann man im Buch nachlesen. Zum Beispiel, dass die 80er nicht unbedingt so golden waren. Natürlich gab es damals eine Aufbruchstimmung. Der 80er-Metal ist schon irgendwie die Grundlage und immer noch meine Lieblings-Metal-Ära. Aber das heißt eben nicht, dass alles nur toll war. Es gab auch doofe Sachen – und die spreche ich dann eben auch an.
kultur.west: Sie räumen überhaupt mit einigen Klischees auf. Nicht zuletzt mit denen über den Ruhrpott, in dem Sie aufgewachsen sind, Kreator gründeten und bis heute – neben Berlin – leben. Sie schreiben: »Obwohl ich das Ruhrgebiet nicht als besonders trist empfand, war es kein romantischer Freizeitpark vor Industriekulisse, wie sich die Leute von der Ruhr Tourismus GmbH sich das heute in ihren bunten Prospekten vorstellen«.
PETROZZA: Ja. Denn es ist nunmal so: Dieses Romantisieren trifft es nicht immer. Natürlich ist das ein toller Ort. Natürlich haben die Menschen im Ruhrgebiet eine eigene Mentalität. Aber es gab schon damals eben auch komische Sachen. Wie überall. Das wollte ich mal aus meiner Sicht schildern. Wobei ich letztlich ohne den Pott auch gar nicht der geworden wäre, der ich heute bin.
kultur.west: Wie sehen Sie denn das Revier früher und heute?
PETROZZA: Auf der einen Seite gab und gibt es Tristesse. Auf der anderen ist gerade damals unglaublich viel passiert. Es gab es so viele Sozialprojekte. Die Zeche Carl. Tausend verschiedene Jugendzentren. Es wurde sich noch gekümmert. Ich bin ein Profiteur davon, dass ich diverse Sozialarbeiter um mich hatte, die auf mich achteten, die eine Anlaufstelle boten. Die uns einen Freizeitraum gaben, wo wir uns ausprobieren, wo wir unsere Kreativität entdecken, wo wir arbeiten, wo wir uns austoben konnten. Und das fällt ja in der heutigen Zeit leider eher weg.
kultur.west: Das Buch springt zwischen Revier, Berlin und Los Angeles. Das sind die Städte und Gegenden, an denen sich für Sie und Ihre Band das meiste abgespielt hat. Existiert für Sie der – heute ja oft negativ besetzte – Begriff »Heimat«?
PETROZZA: Sie haben recht: Der Begriff Heimat wird manchmal von gewissen Leuten missbraucht. Aber ich würde dennoch sagen: Ja, Heimat gibt es. Und wahrscheinlich ist das Ruhrgebiet meine erste Heimat. Wobei auch Berlin Heimat für mich ist. Oder – gezwungenermaßen – der Tourbus. (lacht).
kultur.west: Zum Revier gehört auch Fußball. Zu dem haben Sie allerdings eher keine Beziehung. Sie schreiben ob eines Besuches im Stadion sogar: »Es irritierte mich, was der Sport in den Leuten auslöste. Bei einigen schien es zu einer regelrechten Persönlichkeitsveränderung zu kommen.« Ist das beim Besuch eines Metal-Konzertes nicht auch so?
PETROZZA: Ja, klar. Aber ich konnte das damals nicht einordnen. Als ich das erste Mal bei einem Spiel war, fiel mir auf: Die Leute sind echt hardcore! Der Typ, der vorher noch so cool war, ist ja jetzt völlig fanatisch und schreit rum! Beim zweiten Mal war ich dann auf Schalke. Und da habe ich gesehen: Fußball kann auch strategisch sein. Das macht richtig Spaß. Wobei ich immer noch kein Fan bin.
kultur.west: Ein wichtiger Moment war Ihr erstes Konzert: Kiss in der Düsseldorfer Philipshalle. Gab es danach je wieder eines, das an dieses heranreichte?
PETROZZA: Nein. Diesen Moment, den gibt es nur einmal. Den kriegst du nicht wieder. Leider. Ich habe Kiss nochmal bei ihrer Abschiedstour gesehen – und das war überhaupt nicht mehr so, wie ich das damals erlebte. Generell gilt für Konzerte – egal ob von Kiss, Iron Maiden, Judas Priest oder all den Punkbands, die ich mochte und mag: Ich habe sie alle diverse Male gesehen. Und sie waren eben manchmal besser, manchmal schlechter.
kultur.west: Parallel zum Buch erscheint ein Film über Kreator. Sie dürften Kameras zwar gewohnt sein. Aber wie war das, für dieses Projekt der Regisseurin Cordula Kablitz-Post auch in intimen Momenten gezeigt zu werden?
PETROZZA: Wir wollten diese Projekt ja von uns aus mit ihr angehen. Aber es war trotzdem manchmal ein bisschen nervig. Ich bin tatsächlich nicht der Typ dafür, immer Kameras um mich zu haben. Ich bin nicht derjenige, der sofort anfängt, zu entertainen. Im Gegenteil. Ich mache dann eher zu. Wobei genau das manche Szenen ja auch wieder automatisch lustig werden lässt. Wenn man sich den Film anschaut, sieht man sofort, wenn ich genervt bin. Und: Als ich den Film zum ersten Mal gesehen habe, war ich denn auch erleichtert, weil ich ihn wirklich gelungen finde. Er ist respektvoll, kurzweilig. Auch wenn der Backstage-Bereich 2025 ja auch nichts anderes ist als ein Raum, in dem fünf Typen vor ihren Handys sitzen und darauf glotzen (lacht).

Kreator wurden 1982 von Mille Petrozza – dem Sohne eines Italieners und einer Deutschen aus der ehemaligen DDR – und seinen Schulfreund Jürgen »Ventor« Reil und Rob Fioretti in Essen-Altenessen als Tyrant gegründet. 1983 benannten sie sich 1983 in Tormentor um, 1984 dann in Kreator. Ihr Metier war von Beginn an der schnelle Thrash-Metal, zu dessen weltweiter Etablierung Kreator extrem viel beitrugen. Bands wie Metallica, Anthrax oder Slayer bezeichnen sich bis heute als Fans von Mille und Co. 15 Alben und zahlreiche Touren auf alle Kontinente haben sie zu internationalen Stars werden lassen, die auch regelmäßig Spitzenplätze in den Charts belegen und immer schon politische Texte schrieben. Gemeinsam mit Petrozza bildet Reil als Schlagzeuger bis heute den Kern der Band. Das aktuelle Album »Hate über alles« erschien 2022.
»Your heaven, my hell – wie Heavy Metal mich gerettet hat« ist im Ullstein-Verlag
erschienen. Der Film über Kreator (»Hate & Hope«) läuft seit 4. September im Kino.