Beim Deutschen Tanzpreis ist Ruhe eingekehrt. Seit die höchste Auszeichnung dieser Kunstsparte in Deutschland vor drei Jahren völlig neu organisiert und ausgestattet wurde, ist von Streitigkeiten hinter den Kulissen nichts mehr zu vernehmen. Die Verantwortlichen haben ihren Blick ins Zeitgenössische geweitet: Die akademisch-klassischen Vertreter*innen stehen seltener im Scheinwerferlicht, dafür öfter Persönlichkeiten jenseits der Bühne.
Zum Beispiel Adil Laraki, der zwar betont, Tänzer zu sein, die Auszeichnung aber als Gewerkschaftsfunktionär bekommt. »Einmal Tänzer, immer Tänzer«, sagt er mit Bestimmtheit. Auch wenn er nicht für seine Virtuosität auf der Bühne geehrt wird – sondern für die am Verhandlungstisch. Laraki ist in der Republik der meistgefragteste Gewerkschafter und Betriebsrat in Sachen Bühnenrecht.
Die Tänzer-Karriere des 58-Jährigen, die ihn an das Staatsballett Hannover und an das Ballett Essen führte, liegt rund 30 Jahre zurück. Und wenn die Jury ihn als »herausragenden Interpreten« würdigt, dann denkt sie dabei nicht mehr an Rollengestaltung, sondern an seine Art und Weise, Gesetzestexte auszulegen. Seine »Hingabe und seine arbeitsrechtlichen Erfolge«, so die Begründung, haben die Jury überzeugt.
Als er noch Tänzer war, erlebte er täglich, dass die Bedürfnisse seiner Kollegen nicht ernst genommen wurden. »Unser Beruf wird nicht wertgeschätzt. Deshalb habe ich begonnen, mich in der Gewerkschaft zu engagieren«, erzählt Adil Laraki. Und obwohl er heute Vorsitzender des Landesverbandes NRW der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger und Betriebsratschef am Aalto Theater Essen ist – also zuständig für alle Sparten –, liegen ihm die Ballettensembles nach wie vor besonders am Herzen. »Tänzer sind eine Spezies für sich«, sagt Laraki, »viele wenden sich deutschlandweit an mich, weil ich ihre Sprache und Bedürfnisse verstehen kann.« Bei Tarifverhandlungen sei er einer der Initiatoren für die Belange der Tanzsparte. Denn: Obwohl der Tanz in den Stadttheatern mit Abstand die wirtschaftlichste Sparte sei, würden die Ensembles schlecht bezahlt.
Kämpfer für den Tanz
Als ein Ziel nennt Laraki, dass alle Tänzer*innen mindestens so viel verdienen, wie die Opernchormitglieder. Außerdem kämpft er mit seinen Mitstreiter*innen dafür, dass der Tanz als eine eigene Kunstsparte betrachtet wird. »Wir wollen, dass Ballettdirektoren vom Aufsichtsrat bestimmt werden, nicht von den Intendanten, weil die oft keine Ahnung vom Tanz haben.« Die Auszeichnung nimmt er als Motivation: »Ich fühle mich mit vielen anderen bestärkt, mich auf diesem Weg weiterhin unbeirrt zu engagieren,« so der Funktionär.
Adil Laraki wuchs mit sechs Geschwistern in Rabat auf, der Hauptstadt Marokkos. Umgeben von sehr vielen Kulturinstituten aus aller Welt lebte er dort, wie er sagt, internationaler als heute. Um die Ecke lag das Stadttheater. Erst schlich er sich mit fremden Großfamilien unbemerkt hinein. Als man ihn dann doch aufhielt, nahm er den Weg über den Pförtner. In diesem Theater wurde sein Interesse am Tanz geweckt – allerdings nicht im künstlerischen Sinne. Nachdem der Junge dort Gastspiele des russischen Balletts und auch Jochen Ulrichs Tanzforum Köln mit Kurt Jooss »Der grüne Tisch« gesehen hatte, glaubte er, den richtigen »Sport« für sich gefunden zu haben. Laraki war ein zarter Knabe und wollte trainieren, um sich zu kräftigen. Im Kino hatte er Bruce Lee gesehen. Da Karate-Unterricht teuer war, sprach er den Ballett-Lehrer seines Freundes an. Der war einverstanden – und wollte kein Geld.
Das Wort vom »gewieften Basarhändler« hängt dem Marokkaner nach. Er vermutet, dass er einmal einen Witz über seine Herkunft gemacht hat. »Es gibt ein paar Tricks, wie auf dem Basar – diese Kunst hat sich über Jahrhunderte entwickelt. Wichtig ist, dass man gute Argumente hat und auf der Basis seiner eigenen Forderung verhandelt. In dem Moment, in dem ich über das Gegenangebot verhandele, habe ich verloren«, verrät er. Die Kunst des Verhandelns will er sich aber erst in Deutschland angeeignet haben, nicht schon in der Heimat.
Für manchen Ballettdirektor ist der Gewerkschafter ein großes Ärgernis. Kein Wunder: Er hört sich die Klagen der Belegschaften über ihre Chefs an und setzt sich für die Belange der Bühnenangehörigen ein. Konflikte prägen seinen beruflichen Alltag. Adil Laraki erinnert sich an das Telefonat mit einem Tänzer, der sich über seinen Ballettchef beschwerte. »Eine Stunde später rief mich eben dieser Direktor an, um sich über den Intendanten zu beschweren. Da sieht man, wie Druck weitergegeben wird.«
23. Oktober, Gala zur Verleihung des Deutschen Tanzpreises, Aalto-Theater Essen