An der TU Dresden kennt man ihn als Professor, doch im Internet ist Simon Meier-Vieracker nur der »Fußballlinguist«. Während sich viele Wissenschaftler*innen schwertun, Neue Medien für die Verbreitung ihrer Forschung zu nutzen, hat der Fußballlinguist verstanden, dass man mit Smartphones auch auf dem Elfenbeinturm der Wissenschaft Empfang hat. Über 100.000 Menschen folgen ihm bei TikTok, womit er auf dem Campus klar als Social-Media-Star gilt. Sprache und Kommunikation gehen uns alle etwas an und bestimmen unser Leben Tag für Tag. Das zeigt Meier-Vieracker auch mit seinem neuen Buch, das pünktlich zum Start der Fußball-EM der Männer erscheint: »Reingegrätscht. Eine kleine Linguistik des Fußballs« versammelt 15 Beiträge zum Thema Sprache und Fußball – ob vor, während oder nach dem Spiel.
Schon die Kapitel greifen den Fußball auf kreative Weise auf: Sie gliedern den Inhalt in Vorberichte, Erste Halbzeit, Halbzeitpause, Zweite Halbzeit und Nachberichte. Vergleichbar einem Nationaltrainer habe er, der Herausgeber, Kader ausgewählt und sowohl etablierte Forscher*innen als auch Newcomer der linguistischen Fußballforschung angefragt. Es bleibt metaphorisch: Ziel des Bandes sei das titelgebende Reingrätschen in den Fußballdiskurs als Ausdruck von Einsatzwille und Leidenschaft.
Für Fachfremde dürften vor allem die alltagsnahen Untersuchungen der Fußballsprache interessant sein. So beschäftigt sich Karina Frick etwa mit der Frage, warum beim Sprechen über »Fußball« in der Regel heteronormativ-männliche Bilder aufgerufen werden. Warum reden wir beim Männerfußball einfach von der Nationalmannschaft und müssen beim Frauenfußball von der »Frauen-Nationalmannschaft« sprechen? Tatjana Scheffler untersucht in ihrem Beitrag (💪 🖤 💛) die Rolle von Emojis in der Fankommunikation und Alexander Geyken betrachtet Fußballsprache, die zur Alltagssprache geworden ist. Wer sich gerne mal über die Interviews nach dem Spiel aufregt, sollte Spaß an dem Beitrag »Über Scheißfragen« von Antje Wilton finden, die Fragedesign und Wissensaushandlung in Fußballinterviews analysiert und daraus einen Fragetypen ableitet, den Journalist*innen lieber nicht anwenden sollten. Und Stefan Hauser stellt fest, dass es auch beim Reden über Fußball so etwas wie Fehlpässe gibt: legendäre Versprecher wie der von Philipp Lahm: »Man muss nicht immer das Salz in der Suppe suchen«.
Wer den Sammelband aufmerksam liest, wird einige interessante Fakten zum Angeben für den nächsten Besuch in der Fankurve finden. So sehr die Aufmachung mit Fußballemojis und -metaphern das Lesen auch erleichtert, bleibt »Reingegrätscht« natürlich wissenschaftlich und enthält Fachtermini aus der Linguistik. Wenn es um semantische Klassifikationen, Komposita oder Korpora geht, wird man sicherlich nicht jedes Detail verstehen. Andersherum ist das Thema Fußball doch besonders dazu geeignet, auch etwas über die Linguistik zu lernen, darüber wie viel sie mit unserem Alltag zu tun hat. Das Buch will eine Brücke zwischen Universität und Gesellschaft sein, auf die sich auch fachfremde Menschen bedenkenlos begeben können.
Simon Meier-Vieracker (Hrsg.): »Reingegrätscht. Eine kleine Linguistik des Fußballs«,
Narr Francke Attempto, Tübingen 2024; 224 Seiten, 32 Euro